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als eine aszetische oder moralische Haltung“297 zu verstehen ist. Worum es primär geht, ist die Bereitschaft des Menschen, sich ganz auf die Erfahrung Gottes einzulassen. „Es liegt im Wesen des Wortes Gottes, daß es als Samenkorn im Acker der Herzen ein- und aufgehen will, daß es gleichsam nur in einer ‚Momentaufnahme‘ als ein reines, objektives An-sich erfaßt werde“298. Wenngleich die göttliche Wahrheit dem Menschen auch vor-gegeben ist, so wird sie doch nur im je subjektiven Raum in ihrer Objektivität vernehmbar und kann auch nur von dort her als Wahrheit bezeugt werden. Nur „die Liebe als das denkbar Subjektivste im Erkennenden fordert und ermöglicht … aus sich heraus den ganz anderen Pol des denkbar Objektivsten im Erkannten“299, weil sie das Interesse an je neuen Erkenntnissen wach hält, ohne das geliebte Gegenüber dadurch vereinnahmen zu wollen.

      Die Erkenntnismöglichkeiten innerhalb der Theologie werden, im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften, nicht etwa durch menschliches Streben nach immer mehr und tieferer Einsicht vorangetrieben; im Gegenteil: Nur da wo der Mensch sich seiner eigenen Fragen und Bedürfnisse so weit als irgend möglich entleert, wird er das Wort Gottes hören können. Dann aber, so Balthasars unumstößliche Überzeugung, und damit schließt sich der gedankliche Kreis, ist jeder Irrtum und Zweifel ausgeschlossen; die Wahrheit ist durch Gott verbürgt. Als Hörende steht Theologie in der „christliche(n) Gewissheit, vom Gott der Offenbarung immer schon gefunden worden zu sein. (…) Im letzten ist es weniger eine Suche als eine Zuwendung zu Dem, der auf die Umkehr des Menschen wartet“300.

      Balthasars Theologieverständnis ist, so wird man zusammenfassend sagen können, in diesem Sinne zutiefst theozentrisch, näherhin trinitarisch fundiert: „Gott ist sein eigener Exeget“301. Der Vater legt sich menschwerdend in seinem Sohn aus302; im Geist Gottes erhalten die Menschen, insbesondere die eigens dazu berufenen TheologInnen, Anteil an diesem Auslegungsprozess. „Das Objekt theologischen Erkennens, der dreifaltige Gott selbst, wird, indem er sich selbst auslegt, zum Subjekt wirklicher Theologie.“303

      Aus dieser inneren Struktur des theologischen Erkenntnisprozesses leitet Balthasar nun zwei Folgerungen ab, die sich im engeren Sinn auf die Theologie als wissenschaftliche Disziplin beziehen. Zum Ersten sieht er damit ihre eindeutige Verortung gegeben. „Die Auslegung des Geistes erfolgt innerhalb der von ihm aufgebauten und geschützten Strukturen: Kirche mit der ihr gehörenden Heiligen Schrift und Überlieferung, mit der sie kennzeichnenden Unterscheidung von ‚Hirt‘ und ‚Herde‘: Diese Elemente sind die Voraussetzung für ein immer weitergehendes lebendiges Auslegen des Geistes“304. Eine Wissenschaft, die sich nicht ausdrücklich in den Dienst der kirchlichen Gemeinschaft stellt oder gar die Unterordnung unter die kirchliche Autorität verweigert, kann also keinerlei Anspruch darauf erheben, Ausdruck göttlicher Wahrheit zu sein und verdient so den Namen ‚Theologie‘ nicht; Theologie ist notwendig kirchlich.

      Zum Zweiten aber stellt Balthasar epistemologische Überlegungen an, die in einem sehr eigentümlichen Spezifikum seines Theologieverständnisses münden, das es im Folgenden unbedingt eingehender zu betrachten gilt. Angesichts der unendlichen Fülle göttlicher Wahrheit, so sein Grundgedanke, ist der Auslegungsprozess ein unabschließbarer. Dabei stehen die unterschiedlichen weltgeschichtlichen Epochen vor sich wandelnden Denkhorizonten, aus denen je eigene Fragen, aber auch je eigene Antwortmöglichkeiten erwachsen. Balthasar geht nun davon aus, dass es in Entsprechung zu jeder neuen religiösen, kulturellen und politischen Situation „eine neue, an die gewandelte Situation sich anpassende, aber diese Situation zugleich entscheidend miterschaffende Offenbarungsweise Gottes“305 gibt. Gott verbindet sich mit jeder Zeit neu und gibt sich kraft seines Geistes stets neu zu erkennen. „Die beiden Glaubensquellen des Katholizismus sind so, aufs letzte zurückverfolgt der Sohn und der Geist; die Offenbarung des Sohnes ist niedergelegt in der Schrift, die des Geistes ist kirchliche lebendige Auslegung der Schrift“306.

      Solche lebendige Auslegung geschieht nun nach Balthasar immer da, wo der Geist Menschen in besonderer Weise zu experimenteller, unmittelbarer und in diesem Sinne mystischer Erfahrung und Erkenntnis Gottes beruft. Ein wesentliches Spezifikum des balthasarschen Theologieverständnisses liegt also darin, dass ihm Mystik als unverzichtbare theologische Erkenntnisquelle gilt.

      Diese Eigentümlichkeit entspringt, so wird man wohl sagen müssen, der langjährigen intensivsten Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr. Von Speyr wurde eine Vielzahl mystischer Erfahrungen zuteil, die in einem umfangreichen Werk theologisch ausgewertet sind. Der Einfluss ihrer Einsichten auf das Werk Balthasars ist kaum zu überschätzen, legen sie doch nach seiner eigener Aussage den Grund für das Meiste, das nach 1940 von ihm veröffentlicht wurde.307 Mehr noch: In allen zentralen theologischen Fragen Balthasars sind seine Gedanken letztlich unlösbar mit denen von Speyrs verquickt. Dies gilt im besonderen Maße – ohne vorgreifen zu wollen sei das an dieser Stelle bereits erwähnt – für seine Theologie der Hölle.

      Es wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nun nicht möglich sein, den Versuch zu unternehmen, Ursprung und Genese einzelner theologischer Aussagen nachzuvollziehen, um dergestalt eine Zuordnung zu Denker oder Denkerin vornehmen zu können. Ein solches Unterfangen wäre im Sinne Balthasars auch gar nicht sachgerecht, betont er doch mit Blick auf Adrienne von Speyr ausdrücklich: „Ihr Werk und das meine sind weder psychologisch noch philologisch zu trennen, zwei Hälften eines Ganzen“308. Wohl aber erscheint es im Sinne eines angemessen Zugangs zur Gedankenwelt Balthasars an dieser Stelle sinnvoll, in einem Exkurs die symbiotische Verbindung beider einmal grundsätzlich, wenn auch in gebotener Kürze zu bedenken. Vor diesem Hintergrund wird dann auf Balthasars Würdigung christlicher Mystik als locus theologicus zurückzukommen sein.

       Exkurs: Hans Urs von Balthasar und Adrienne von Speyr

      1902 in La Chaux-de-Fonds geboren, wächst Adrienne von Speyr in einem streng protestantischen Milieu auf. Schon in früher Kindheit und Jugend verspürt sie den Drang, „Gott allein zu gehören, ihm mit ihrem ganzen Dasein restlos zur Verfügung zu stehen“309, kann innerhalb ihrer eigenen Kirche jedoch keine diesem innersten Wusch entsprechende Lebensform und somit keine religiöse Heimat finden. „Mit jedem Pastor setzt es neue Diskussionen ab: sie fühlt sich unerklärlich enttäuscht, der ihr vorgetragene Protestantismus dünkt sie leer, ‚Gott ist anders‘ erklärt sie aufs bestimmteste ihren Lehrern.“310

      Zwei Elemente sind es vor allem, die sie schmerzlich vermisst: Zum einen fehlte ihr die Dimension der Mütterlichkeit.311 Eine Marienvision, die sie als Fünfzehnjährige hat, und vor allem „nach der Konversion der unglaublich intime Umgang mit der Mutter des Herrn wird ihr die Antwort auf das Fehlende geben.“312 Zum anderen sehnt sie sich nicht minder intensiv nach der Möglichkeit der Beichte, der bevollmächtigten Sündenvergebung. Noch 1940, im Jahr ihrer ersten Begegnung, konvertiert Adrienne von Speyr bei Hans Urs von Balthasar.

      Schon bald darauf macht sie erste geistliche Erfahrungen, die sich zunehmend intensivieren. Die mystischen Einsichten, die ihr dabei zuteil werden, bilden die Grundlage für das, was Speyr und Balthasar immer deutlicher als an sie gemeinsam ergehenden Auftrag Gottes „ganz auf der Linie der großen, aus der Trad. bekannten ‚geistlichen Freundschaften‘ bzw. ‚Doppelsendungen‘“313 erkennen. Diese Sendung findet ihren Niederschlag sowohl auf der Ebene christlicher Lebensführung wie auf im engeren Sinne theologischdogmatischer Ebene, wobei unbedingt daran zu erinnern ist, dass beide Ebenen sich nach balthasarschem, aber auch nach speyrschem Verständnis notwendig wechselseitig durchdringen.

      Im Hinblick auf Möglichkeiten, Ernst mit einem Leben ganz aus dem Glauben zu machen, wächst schon früh bei von Speyr, zunehmend dann auch bei Balthasar das Bewusstsein, von Gott dazu beauftragt zu sein, eine neue Gemeinschaft von Frauen und Männern zu gründen, die zwar mitten im weltlichen Leben stehen und arbeiten, sich aber dennoch zu einem Ordensleben im Geiste ignatianischer Spiritualität verpflichten. „Die Besten sollten sich hier zusammenfinden, die wichtige Stellungen in der Gesellschaft einnehmen sollten und stark genug wären, um in der schwierigen Position zwischen Welt und Kloster zu stehen.“314

      In diesem Sinne

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