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war. Seine knappe Aussage im Interview mit der BBC lautet: „Es gab Bischöfe, die Komplizen der Diktatur waren, Bergoglio nicht.“ Er fügt hinzu, dass Bergoglio, der in dieser Zeit noch gar kein Bischof war, vielleicht „der Mut fehlte, um sich in den schwierigen Momenten dem Kampf für die Menschenrechte anzuschließen“, doch „ein Komplize der Diktatur“ sei er nicht gewesen.5 Damit stimmt überein, wenn Franz Jalics heute sagt, dass ihm seit Ende der 1990er-Jahre in zahlreichen Gesprächen klargeworden sei, dass Orlando Yorio und er nicht von Bergoglio angezeigt wurden.6

      Die Aussagen von Pérez Esquivel und Jalics machen für mich auch glaubwürdig, wie Bergoglio in seiner Autobiographie von 2010 die Dinge selbst sieht: „Ich habe getan, was ich konnte, um mich für die Entführten einzusetzen, mit dem Alter, das ich hatte, und den wenigen Verbindungen, auf die ich zählen konnte.“7 Bergoglio intervenierte persönlich beim Diktator Jorge Videla und bei Admiral Emilio Massera, dem führenden Vertreter des „schmutzigen Krieges“ – ein Vorgehen, das ihn ins Zwielicht brachte und ihm den Vorwurf der Nähe zur Junta eintrug. Die Liste derer, die angeben, dass ihnen Bergoglio damals entscheidend zum Überleben geholfen hat, wird immer länger,8 doch das, was mir wirklich hilft, diesem Papst zu vertrauen, ist, dass er sich selbst nicht zum Helden hochstilisiert. Er gesteht ein, dass er Fehler gemacht hat und dass sein autoritärer und schroffer Leitungsstil viele Probleme verursachte.9

       Der Erzbischof von Buenos Aires

      Das Erste, was mich aufhorchen und vermuten ließ, dass Jorge Mario Bergoglio seit seinen Jahren als Provinzial einen weiten Weg gegangen ist und inzwischen ein ganz anderes Persönlichkeitsprofil entwickelt hat, war eine E-Mail eines meiner Schüler, eines kritischen, linken argentinischen Theologiestudenten in El Salvador. Er verkündete über die digitalen Medien: „Bergoglio ist nicht die schlechteste Nachricht“ – und sprach begeistert von dessen Zeit als Erzbischof von Buenos Aires seit 1998. Es zeichne ihn vor allem seine Empathie und Nähe mit den Opfern und Marginalisierten aus. Als 2004 in Buenos Aires fast 200 Jugendliche wegen völlig unzureichender Sicherheitsmaßnahmen durch einen Brand bei einem überfüllten Rockkonzert starben, war Bergoglio der Mann der ersten Stunde in den Krankenhäusern an der Seite der Verbrannten und begleitete die Familien in ihrer Trauer und in ihrer Anklage der für diese Tragödie Verantwortlichen. Am 7. August 2009 gründete er in seiner Diözese ein eigenes Vikariat „de los curas villeros“, „der Priester in den Elendsvierteln“, genau in dem Moment, als diese Todesdrohungen erhielten, weil sie die tödlichen Machenschaften der Drogenmafia publik machten. Die Elendsviertel („villas“) sind heute in Argentinien nach der Wirtschaftskrise von 2001 eine noch dramatischere Realität als in der Zeit der Militärdiktatur. Auch klagte Erzbischof Bergoglio den modernen Menschenhandel immer wieder mit harten und klaren Worten an. In Argentinien werden vor allem Migranten aus Bolivien und Peru in illegalen Werkstätten und unter unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgebeutet. Bergoglio spricht Klartext nach der Art der biblischen Propheten: „Sie sagen, das Parlament hätte 1813 die Sklaverei abgeschafft. Doch das ist Rotz von Truthähnen. In diesem eitlen und stolzen Buenos Aires gibt es noch immer Sklaven und Sklaverei, das Produkt der Kaine und Herodesse von heute.“10

      Zeitungsberichte, Videos, persönliche Zeugnisse über den Erzbischof Bergoglio machten mir immer klarer: Das, was jetzt mit Papst Franziskus ans Licht der Weltöffentlichkeit tritt – wenn er jungen Strafgefangenen die Füße wäscht und in Lampedusa die Gleichgültigkeit der Europäer gegenüber dem Flüchtlingselend anprangert –, sind keine Augenblickseingebungen, sondern die konsequente Weiterführung einer in Buenos Aires lange eingeübten Praxis. Dieser Mann vereint in idealer Weise zwei Elemente: Auf der einen Seite ist er selbst der „Hirte, der nach Schafen riecht“11. Seine Herzlichkeit, Empathie, Aufmerksamkeit gegenüber den Opfern, den Ausgegrenzten und den von der Gesellschaft Getretenen, das ist keine Mache für die Medien. Da ist er zutiefst er selbst. Und auf der anderen Seite ist jede seiner Gesten hochpolitisch, konfrontiert er die Gesellschaft mit ihrem Spiegelbild und deckt ihre menschenverachtenden Machenschaften auf.

      In meinem Prozess der persönlichen Annäherung an Bergoglio befahl ich mir selbst, kritisch und nüchtern zu bleiben – und es drängten sich mir doch zwei Analogien auf. Ich konnte nicht anders, als mir einzugestehen: Dieser Mann hat etwas von Oscar Romero, der als konservativ und reaktionär galt und sich dann gegen alle in ihn gesetzten Erwartungen bedingungslos mit dem „gekreuzigten Volk“ identifizierte. Ich begann zu vermuten, dass Bergoglio wie Romero durch einen echten Prozess der „Bekehrung“ gegangen ist, dass seine Selbstdefinition („Ich bin ein Sünder, den der Herr anschaut“) keine fromme Phrase ist, sondern dass sein heutiges Sein und Tun nicht ohne die „Sünden“ in seiner Lebensgeschichte zu verstehen sind.

      Und dieser Mann hat etwas Jesuanisches. Wie in den Wundern Jesu wird die ganz und gar echte persönliche Begegnung, die genau diesem konkreten Menschen zärtliche Nähe schenkt, zugleich zur prophetischen Zeichenhandlung, die schonungslos „die Sünde der Welt aufdeckt“. Wenn Franziskus seine erste „Auslandsreise“ ins Auffanglager von Lampedusa macht, so hat sich das nicht ein „Publicitystratege“ ausgedacht, sondern es entspringt seinem natürlichen Bedürfnis. Und wenn er den Menschen dort die Hände schüttelt, dann instrumentalisiert er sie nicht für „übergeordnete Ziele“, dann ist er mit ungeteilter Aufmerksamkeit und Zuwendung ganz bei ihnen. Doch genau dies wird zur scharfen Anklage eines narzisstischen Europa, das gleichgültig die Tragödie an seiner Südgrenze ignoriert und höchstens darüber nachdenkt, wie es sich noch wirksamer abschotten kann.

       Franziskus und die Frauen

      Meine Achterbahn der Gefühle ist damit jedoch noch nicht an ihr Ende gekommen. Anfang Mai 2013 war ich von der internationalen Generaloberinnenkonferenz (UISG) als Referentin zu ihrer Vollversammlung eingeladen. Diese stand unter dem Motto: „Bei euch soll es nicht so sein (Mt 20,26). Leitungsdienst im Lichte des Evangeliums“. Mein eigener Beitrag hatte die „Autorität der Leidenden“ zum Thema, und ich schloss ihn mit Bergoglios inzwischen berühmt gewordenem Appell aus seiner Rede im Vorkonklave, mit dem ich mich voll identifiziere: gegen eine Kirche, die um sich selbst kreist – für eine Kirche, die aus sich selbst herausgeht, an die Ränder der menschlichen Existenz, die Ränder der Sünde, des Schmerzes, der Ungerechtigkeit, jeglichen Elends.

      Zum Abschluss der Konferenz konnte ich an der Audienz teilnehmen, zu der der Papst die 800 Generaloberinnen in der „Aula Paul VI“ empfing. Ich ging mit hohen Erwartungen hin – und wurde herb ernüchtert. Oben auf der „Bühne“ die agierenden Männer, der Präfekt und der Sekretär der Religiosenkongregation, die im Namen von 800 Generaloberinnen, tief unter ihnen, den Papst um sein Wort bitten. Und dieser hält dann eine Katechese. Zuvor wurde uns Frauen eingeschärft, uns nicht von den Plätzen zu erheben und nicht ungefragt das Wort zu ergreifen. Dies alles unter dem Motto „Bei euch soll es nicht so sein“. Kierkegaard hätte wohl gesagt: „Und keiner lacht …“

      Dass die Katechese mit dem Aufruf zum „Fühlen mit der Kirche“ und zur „Treue zum Lehramt“ endete, hatte offensichtlich die Spannung mit der Vereinigung der US-amerikanischen Ordensfrauen (LCWR) zum Hintergrund. Im Rahmen einer Untersuchung hatte die Glaubenskongregation im April 2012 bei ihnen „lehrmäßige Defizite“ bei Themen wie Abtreibung und Frauenordination festgestellt. Danach wurden sie unter bischöfliche Aufsicht gestellt. Bei einem Treffen mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, teilte dieser den Vertreterinnen des LCWR mit, dass ihm Papst Franziskus bestätigt habe, hinter dem „Reformprogramm“ seines Vorgängers für das US-amerikanische Ordensleben zu stehen.

      Nach der Audienz fragte ich mich hilflos: Warum ist dieser Papst, der mit solch souveräner Freiheit das Protokoll zu durchbrechen weiß und so ausdrucksstarker Gesten fähig ist, nicht einfach hinuntergestiegen und hat auf Augenhöhe das Gespräch und den Erfahrungsaustausch gesucht – mit den Frauen, deren Positionen nicht vom Himmel fallen, sondern Konsequenz ihres redlichen Engagements für die Ärmsten und Verletzlichsten der US-amerikanischen Gesellschaft sind? Wenn sie im Gegensatz zu den Bischöfen die Gesundheitsreform Obamas bejahen, dann nicht, weil hier aufmüpfige Emanzen gegen das Lehramt und die „heilige

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