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Vier Pilger - ein Ziel. Christian Rutishauser
Читать онлайн.Название Vier Pilger - ein Ziel
Год выпуска 0
isbn 9783429062170
Автор произведения Christian Rutishauser
Жанр Религия: прочее
Издательство Bookwire
Pilger B: Das ist viel. Noch ohne Wasser und Proviant.
Pilger A: Ja, dann habe ich mal die Kleider rausgenommen, die ich sowieso anziehe, die Wanderstöcke abmontiert und einige Dinge eingescannt, die ich nicht unbedingt in Papierform mitnehmen muss.
Pilger B: Und dann?
Pilger A: Weißt du, was die ganze Apotheke wiegt? 780 g! Und dann noch die ganzen Blasenpflaster, die extra dazukommen, die sind nochmals 149 g. Fast ein Kilo.
Pilger B: Ich überleg mir wirklich, ob ich nicht mein Notebook mitnehme. Es hat 1,458 kg.
Pilger A: Mit Akku und Stromkabel?
Pilger B: Ja, alles inklusive. Das hätte den schönen Vorteil, dass ich mein GPS anschließen und damit arbeiten könnte.
Gast: Voll krass, eure Gespräche. Wenn die jemand mithören würde … Übrigens, hast du diese Speckblätterteigschnecken so gekauft?
Pilger A: Nein, einen Teig ausgerollt, Frühstücksspeck draufgelegt, wieder eingerollt, in Scheiben geschnitten und gebacken.
Gast: O. k. Schmecken gut. Und wie schwer ist eine Scheibe …? (ha)
Trainieren
In den letzten Tagen bin ich zweimal nach meinem Training für das Pilgern nach Jerusalem gefragt worden. Als die Frage erstmals kam, zuckte ich innerlich leicht zusammen und konnte einen aufkommenden Stress gerade noch rechtzeitig abfangen. Beim zweiten Mal konnte ich unumwunden antworten: Nein, ich trainiere nicht besonders darauf hin. Ich lebe wie vorher, gehe hie und da joggen und im Winter langlaufen. Ansonsten – trainieren würde heißen, dasselbe tun, also mit 10 kg auf dem Rücken durch die Landschaft wandern. Dazu komme ich nicht. Mein Wunsch, vor dem Pilgern 5 kg an Körpergewicht zu verlieren, habe ich als für mich unrealistisch ad acta gelegt.
Gute Voraussetzungen für unser Unternehmen gibt es aber dennoch, füge ich jeweils an: mentale Stärke mit einem Durchhaltewillen, der Schwierigem und Schwerem nicht ausweicht, sondern darin Möglichkeiten fürs Weitergehen sucht. Gesunder Menschenverstand, der nicht leistungsbetont ausgerichtet ist. Der Glaube, dass das Vorhaben in Gottes Hand liegt, sodass die nötige Kraft und die Bereitschaft, mit Unsicherem und Ungewissem umzugehen, auch von einer Quelle gespeist wird, die außerhalb des uns Machbaren liegt. (ha)
ZWEITES KAPITEL:
Abschied
Endlich
Die Klarheit über Gruppe und Zeitpunkt des Pilgerns legt die nächsten Schritte der Vorbereitung nahe. Seit elf Jahren leite ich das Studierendenhaus Salesianum in Freiburg / Fribourg, habe da unter rund 100 Studierenden gelebt und gewirkt. Eine große und erfüllende Aufgabe. Als Allein-Stehende bezeichne ich diese Jahre als „Mutterjahre“. Ich war da. Die Studierenden wussten, dass sie jederzeit an meine Tür klopfen durften. Ich schätzte die Kontakte zu vielen jungen Menschen aus allen Landesteilen der Schweiz und zuweilen aus bis zu 21 anderen Nationen – eine Art Swissminiatur war das Umfeld dieses Lebensabschnitts.
Ich kündige meine Arbeitsstelle und entscheide mich, die Wohnung aufzulösen, Hab und Gut einzulagern. Was danach sein wird, ist noch unklar. Ich weiß aber um die privilegierte Situation als kirchliche Mitarbeiterin. Ich kann ohne Bedenken davon ausgehen, wieder eine gute Stelle zu finden. Der Abschied von allen Hausbewohnenden im Salesianum, vom Personal und von der Stadt Freiburg / Fribourg ist sehr bewegend und erfüllend. Im Gottesdienst erhielten Franz und ich einen Pilgerstab, auf welchen die Anfangsworte des Gebets von Franz von Sales eingeschnitzt sind: „Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück und versetze es sanft in die Gegenwart deines Gottes. Und selbst wenn du nichts getan hast in deinem ganzen Leben außer dein Herz zurückzubringen und wieder in die Gegenwart unseres Gottes zu versetzen, obwohl es jedes Mal wieder fortlief, nachdem du es zurückgebracht hattest, dann hast du dein Leben wohl erfüllt.“
Ich kann leichten Herzens weiterziehen. Die Studierenden stehen Spalier und begleiten mich zum Bahnhof. Tränen? Nein. Ich bin froh, dass endlich beginnt, woraufhin ich lange Zeit hingelebt habe. Ich bin dankbar, dass ich die Freiheit habe, mich aus allem herauszunehmen und einen großen und unbekannten Weg zu beschreiten. (ha)
Zeichen der Anteilnahme
Karten mit Segenswünschen und E-Mails zum Adieu-Sagen, eine leichte Feder und ein kleiner Kristall, ein Schutzengel aus Olivenholz und ein Teddybär als Maskottchen, Fußsalbe und Blasenpflaster, eine CD mit Texten zum Durchhalten und Pilgertabletten, ein Kompass und ein Taschenmesser, ein Kerzchen und ein starker Spiritus … unzählig und vielfältig, witzig und nützlich, hilfreich und tröstend sind die Zeichen des Abschieds, die in diesen Tagen des Aufbrechens zu mir gelangen. Mein Herz ist berührt von der Anteilnahme. Hin und wieder staune ich, welche Ideen sich Menschen von einem solchen Pilgerweg nach Jerusalem machen. Wie realistisch sind sie? Wie realistisch sind meine Gedanken? Die einen würden gerne mitwandern, sagen sie. Die anderen sind froh, dass sie zu Hause bleiben können. Vielleicht gehen wir für beide Gruppen von Menschen stellvertretend. (chr)
Tränen
Tränen des Abschieds gibt es bei meiner sechsjährigen Nichte Manon. Als sich alle meine Geschwister und deren Familien zum Abschied für mich treffen, beginnt die Kleine herzzerreißend zu weinen. Und sie hört gar nicht mehr damit auf. Als ich sie in die Arme nehme und nach dem Grund der Traurigkeit frage, schluchzt sie: „Ich verstehe einfach nicht, warum du so lange und so weit weg gehst.“ Später nimmt sie ihre Kette, die Lieblingskette mit einem großen silbernen Herzen, vom Hals und hängt sie mir um. Dieses Zeichen von Manon und ihr Schluchzen berühren mich sehr. Ich trage ihre Kette in meinem Rucksack mit. An Weihnachten, so ich den Weg schaffe, werde ich diese in Bethlehem zur Krippe des Jesuskindes legen. (ha)
Loslassen
Mittwochmorgen, der 1. Juni 2011. Jetzt ist es so weit! Heute verlasse ich mein Haus und meine Arbeit. Ich stehe mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf. Das Erste, was mir ins Auge fällt, ist der gepackte Rucksack im Gang, die imprägnierten Schuhe, die Kleider, die mich jetzt viele Tage anziehen. Meine Schränke sind leer, das Badezimmer ist geputzt, den Blumen habe ich Wasser gegeben, schnell noch den Balkon schön gemacht und mit dem Staublappen überall drübergefahren. Alles ist bereit für die Untermieterin, die sieben Monate lang meine vier Wände bewohnt.
Bald kommen zwei Journalistinnen der beiden Ortszeitungen. Sie wollen ein Bild der Abreise, versprechen hie und da etwas zu schreiben. Ich stelle mich in Pose, binde die Schuhe und winke in die Kamera. Ein letzter Umtrunk im Haus mit meinen Arbeitskollegen ist organisiert. Uff, meine Beine sind ganz weich, denn das Abschiedsgeschenk meines Teams berührt mich sehr. Sie schenken mir ein Assisikreuz und das Versprechen: Wir werden jeden Tag für dich beten. Viele haben mir etwas zugesteckt: einen Schutzengel, einen Glückskäfer, einen besonderen Bonbon, einen Segen, ein Medaillon, ein Einrappenstück, ein Heiligenbildchen, ein Stück vom eigenen Glück, ein Foto und vieles mehr. Ganz zum Schluss bekomme ich noch ein wirklich leichtes Mitbringsel: eine Zeichnung direkt aufs Bein mit einem Segensspruch. Und dann ist es wirklich Zeit zu gehen. Es steigen Tränen der Angst und der Freude in mir hoch – ich gehe. Weiß noch nicht, dass sich am nächsten Tag beim Abschiedsgottesdienst im Lassalle-Haus die Tränen wieder Raum suchen und ich sie nicht werde zurückhalten