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dass Sie das weiter mit der Kommission bedenken, dass wir nicht nur die historischen, die dogmatischen und andere Quellen nehmen, sondern das, was die Menschheit heute braucht, von Frauen, von Männern, vom ganzen Volk Gottes.“50

      Mein Statement war durch und durch pastoral(theologisch) motiviert. Schließlich hatte das Zweite Vatikanische Konzil formuliert, dass die Kirche zur Erfüllung ihres Auftrags die Pflicht hat, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben“ (GS 4). Die „neuen gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau“ (GS 8) identifizierte das Konzil als eines der „Megatrends“. Neben der Arbeiterfrage und dem Streben der Völker nach Demokratie und sozioökonomischer Teilhabe hatte der Konzilspapst Johannes XXIII. die Frauenfrage bereits 1961 in seiner Enzyklika Pacem in Terris zu den Zeichen der Zeit gezählt. Da heißt es: „An zweiter Stelle steht die allgemein bekannte Tatsache, daß die Frau am öffentlichen Leben teilnimmt … Die Frau, die sich ihrer Menschenwürde heutzutage immer mehr bewußt wird, ist weit davon entfernt, sich als seelenlose Sache oder als bloßes Werkzeug einschätzen zu lassen; sie nimmt vielmehr sowohl im häuslichen Leben wie im Staat jene Rechte und Pflichten in Anspruch, die der Würde der menschlichen Person entsprechen“ (PIT 22).51

      Gleichzeitig bekannte die Kirche schon Mitte der 1960er Jahre, wie schwer sie sich tut, der Komplexität des gesellschaftlichen Wandels, v. a. im Geschlechterverhältnis, „die ewigen Werte recht zu erkennen und mit dem Neuen, das aufkommt, zu einer richtigen Synthese zu bringen“ (GS 4). Die Kirche ist hier zu einer Antwort gezwungen. Diese kann aber nicht darin bestehen, alle gegenwärtigen Entwicklungen als Relativismus oder Anbiederung an den Zeitgeist abzutun und sich selbst in der Wagenburg des ewig Gestrigen und Gültigen zu verschanzen, indem Wahrheiten, die ihrerseits in einer gewissen Zeit und mit bestimmten Absichten formuliert worden sind, auf eine überzeitliche, dem innerweltlichen Geschehen entzogene Bühne gestellt werden und somit nicht hinterfragt werden dürfen.

      Die Herausforderung und der Auftrag der Kirche bestehen doch gerade darin, die geoffenbarten Wahrheiten mit den innerweltlichen Freuden und Sorgen, Ängsten und Nöten in eine kreative Auseinandersetzung und Konfrontation zu bringen, so dass aus dem Evangelium, der bleibend gültigen frohen Botschaft Jesu Christi, das Reich Gottes Wirklichkeit werden und das individuelle, soziale, globalisierte, pluralistische Leben vom Licht des Evangeliums her erleuchtet werden kann. Neben den traditionellen Quellen der Offenbarung, wie sie die Heilige Schrift, die Tradition und die Lehre der Kirche darstellen, teilt sich Gott auch im Heute und in den Erfahrungen der Menschen mit. Diese Quellen der Vergegenwärtigung Gottes in den Lebenswirklichkeiten der Menschen gilt es ernst zu nehmen und diese Erkenntnisquelle theologisch zu würdigen.

      In der Frage nach der Einführung eines sakramentalen Diakonats für Frauen sieht das Matthias Sellmann ähnlich: „Denn die Entscheidung, was gegenwärtig theologisch begründet getan werden kann, lässt sich prinzipiell nicht an die Theologiegeschichte auslagern – und zwar auch dann nicht, wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommen sollte, dass es einen sakramentalen Diakonat der Frau in der alten Kirche gegeben habe. Von der Geschichte Handlungsanweisungen für die Gegenwart zu erwarten und den Raum dessen, was getan und geglaubt werden darf, auf das zu legitimieren, was schon einmal in der Vergangenheit getan oder geglaubt wurde, würde die Geschichte und die mit ihr befasste Geschichtswissenschaft überfordern.“52

      Nach meiner Frage, die ja im Prinzip mehr ein Statement und Plädoyer war, antwortete der Papst lange und ausführlich. Mit der Metapher des Weges beschrieb Franziskus, dass sich die Kirche permanent in einem Prozess des Wachstums und Voranschreitens befindet. Zwar bleibe die Offenbarung stets dieselbe, unser Verständnis der Offenbarung entwickle sich dagegen weiter, „und wir verstehen mit der Zeit den Glauben besser“. Aus diesem Grund brauche es den Rückgriff auf die Geschichte und auf die Dogmatik. „Die Kirche ist nicht nur der Denzinger“, hielt der Papst fest, das Lehrbuch sei hilfreich, „weil die ganze Dogmatik drinsteht, aber wir müssen andauernd wachsen“. Als Beispiel verwies Franziskus auf die Haltung der katholischen Kirche zur Todesstrafe. „Hat sich die Kirche verändert? Nein: das moralische Bewusstsein hat sich weiterentwickelt. Eine Entwicklung.“53 Übertrüge man diese Argumentation auf die Frauenfrage in der Kirche, wäre es jederzeit möglich, Frauen zu Diakoninnen, ja sogar zu Priesterinnen und Bischöfinnen zu weihen sowie nicht geweihte Männer und Frauen in höchste kirchliche Ämter zu berufen. Eine kritische Relecture der bisher geltenden lehramtlichen Aussagen wäre nötig. Sie müsste erweitert werden mit den heute verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen der Bibelforschung, Kirchengeschichte, Dogmatik und Pastoraltheologie. Und es bräuchte den Mut, innovativ, also wirklich Neues hervorbringend, zu lehren, zu entscheiden und zu handeln.

      Diese gedanklichen Schritte vollzog Papst Franziskus bei der Audienz im Mai 2019 allerdings nicht. Sondern er sagte vielmehr: „Deshalb müssen wir im Fall des Diakonats nachforschen, was am Ursprung der Offenbarung war, und wenn da etwas war, es wachsen lassen, und dann soll es auch ankommen; wenn da nichts war, wenn der Herr dieses Amt nicht wollte, dann geht der sakramentale Dienst für die Frauen nicht.“54 Dann folgt ein Satz, vor dem der Papst mit einem Lachen die Zustimmung der Schwestern zu gewinnen suchte, bevor er etwas abwiegelnd oder vereinnahmend sagt: „Wir sind doch katholisch. Wir müssen die Offenbarung respektieren. Aber wenn eine von Ihnen eine andere Kirche gründen will …“ Der Satz bleibt unvollendet und verschwebt im Raum. Er klingt wie eine Ohrfeige, und im Nachhinein verstehe ich ihn auch so.

      Unmittelbar im Anschluss an die Audienz hatte ich die Aussage des Papstes noch als schlechten Witz gedeutet.55 Ich wollte den ersten Jesuiten auf dem Stuhl Petri, der sich den Namen Franz von Assisi gewählt hatte, verteidigen, ich wollte mir einfach nicht das Bild eines Papstes verderben lassen, der sich in pastoraler Hinsicht redlich um eine neue Gestalt von Kirche müht: in seinem Anprangern von Egoismus und Gleichgültigkeit, in seinem Einsatz für weltweite soziale Gerechtigkeit, für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, für die Ärmsten der Armen, durch seine Gesten der Menschlichkeit, sein permanentes Mahnen, die Verlierer*innen des globalen und immer aggressiver agierenden Raubtierkapitalismus nicht zu vergessen.

      Der deutsche Jesuit Bernd Hagenkord hat die ganze Rede mitverfolgt und – ähnlich wie ich – die letzten Sätze des Papstes als Scherz empfunden, wenngleich man sich fragen darf, ob der Humor hier passend, peinlich oder als Ausdruck patriarchaler Bevormundung total verfehlt war.56 Mehrmals wurde ich in der Nachberichterstattung gefragt, ob ich mich von der letzten Aussage des Papstes persönlich angegriffen fühlte. Das kann ich verneinen. In der Situation selbst empfand ich die Stimmung durchaus wertschätzend, freundlich und offen. Wie schwer die inhaltlichen Aussagen einzuordnen sind, ist mir erst im Nachhinein voll zu Bewusstsein gekommen. Der eigentliche Angriff während der Audienz kam aus meiner Sicht nicht so sehr durch den Papst selbst, sondern wenige Minuten später durch die nächste Rednerin. Die aus Osteuropa stammende Generaloberin, die unmittelbar nach mir ans Mikrofon trat, leitete ihr Statement mit einem Seitenhieb an mich ein: „Heiliger Vater, was die Schwester vorhin gesagt hat, ist uns ja gar nicht so wichtig. Aber …“ Diese Abwertung meines Anliegens durch eine Kollegin hat mich in dem Moment mehr verletzt als die letzten Sätze des Papstes.

      Am Ende seiner Ansprache vor Beginn der Fragerunde hatte der Papst in Aussicht gestellt, dass er an der nächsten Mitgliederversammlung der Generaloberinnen in drei Jahren teilnehmen werde: „Wenn ich am Leben bin, gehe ich hin“.57 Das wäre ein Novum. Sollte er bis dahin nicht mehr am Leben sein, bat er die Präsidentin der UISG seinen Nachfolger einzuladen. Eines ist sicher: Sobald der Termin feststeht, werde ich mich anmelden, in der Hoffnung, unser Gespräch fortsetzen zu können.

Teil 2

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