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Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel
Читать онлайн.Название Rückkehr zu Gott
Год выпуска 0
isbn 9783429060831
Автор произведения Jörg Gabriel
Жанр Документальная литература
Серия Studien zur systematischen und spirituellen Theologie
Издательство Bookwire
Was aber ist unter dominikanischer Kontemplation zu verstehen? Da die Konstitutionen des Ordens vom Denken des Thomas von Aquin beeinflusst worden sind, finden wir auch bei Thomas die Antwort.31 In der Summe der Theologie definiert Thomas die Kontemplation als „Schau der Wahrheit“32. Diese Schau ist eine „contemplatio infusa“ („eingegossene Kontemplation“).33 D.h. sie ist ein Gnadenakt Gottes, für den sich der Mensch durch Gebet, Meditation oder Schriftlesung bereiten kann.34 Letztlich bleibt sie aber das Werk Gottes. Diese „Schau“ wird im irdischen Leben niemals vollkommen sein, erst im zukünftigen bei Gott. Zu irdischen Lebzeiten kommt dem Menschen die Beschauung wie durch einen Spiegel zu, der aber die Wirklichkeit der Wahrheit Gottes nur unvollkommen wiedergibt.35
Mit der Formel des Thomas von Aquin – „contemplari et contemplata aliis tradere“36 – können wir das Ziel des Predigerordens folgendermaßen zusammenfassen: „Das Ziel oder das spezifische Element des Ordens und seiner Spiritualität ist die Predigt, insofern sie Frucht der Kontemplation ist.“37
3. Die Armut
Ein wirksames Mittel38 zur Erreichung des Ordenszieles ist das Gelübde der Armut. Doch ist die Armut nicht nur einfach Askese, sondern sie ist „sub ratione evangelisationis, unter dem Aspekt der Botschaft, zu sehen.“39 Armut bedeutet zuallererst die Befreiung von unnötigem Ballast, der die Predigt behindern könnte.40 Von dorther hat die Armut für Dominikus eine positive Bedeutung:
„ - Sie ist erstens ein Weg von der Beherrschung der Affekte hin zur Souveränität des Geistes. Dies ist der wahre Sinn christlicher Askese.
- Sie ist zweitens eine Form, die einfachsten Bedingungen der menschlichen Natur zu teilen, nämlich die Situation der Gekreuzigten der Welt. Durch die ganze Armut hindurch zeigt Dominikus in wirksamer Weise sein Mitleid mit der leidenden Menschheit.
- Sie ist drittens ein angemessener Weg, die Erfahrung göttlicher Vorsehung und menschlicher Geschwisterlichkeit zu machen. Beide offenbaren sich, wenn Menschen die materiellen Güter teilen.
- Sie ist viertens eine Form, dem armen Christus nachzufolgen, der sich selbst entäußerte und bis zum Äußersten erniedrigte. Das Ideal der Nachfolge des armen Christus, von Franziskus so gewünscht, wird auch von Dominikus geteilt, obgleich er es sich im Sinne einer ‚Nachfolge der Apostel‘ zu Eigen machte.
- Und schließlich ist sie ein Weg der Freiheit zur radikalen Nachfolge Jesu und zur Verkündigung des Evangeliums. Die Armut ist das Beglaubigungsschreiben der Prediger. Sie ist Kraft, welche die Predigt des Dominikus bestärkt und legitimiert, indem sie den Erfolg der ketzerischen Predigt neutralisiert. Die so verstandene Armut hat einen bemerkenswerten prophetischen Wert. Armut radikal zu leben, ist schon eine wirksame Form, das Evangelium zu verkünden und das Bildnis des Goldenen Kalbs – eines der größten Götzendienste menschlicher Geschichte – anzuklagen. Deshalb hinterlässt Dominikus seinen Brüdern als Erbe die Armut.“41
Dominikus hat mit seiner Spiritualität die Einheit von Kontemplation und Aktion hervorgehoben42 und damit auch Thomas von Aquin43, Meister Eckhart und Johannes Tauler beeinflusst.44
II. Christozentrische Spiritualität 45
Die dominikanische Spiritualität ist keine spezifisch auf den Gründer bezogene Spiritualität, sondern eine christozentrische, eine Spiritualität der Nachfolge Christi46:
„Dominikus hat seine ersten Gefährten nicht aufgefordert, ihm nachzufolgen, sondern vielmehr Jesus, dem Modell und Vorbild jeglicher christlicher Erfahrung. ... Wie bei den meisten Ordensgründern der Fall, strahlt auch Dominikus durch die Praxis aus und zeigt mit seinem Leben, was es bedeutet, Jesus nachzufolgen, und wie man dies treu und radikal tun kann.“47
Dominikus wandte sich gegen Tendenzen im Christentum, die durch den dualistischen Manichäismus des häretischen Umfelds noch verstärkt wurden und in Versuchung führten, spirituelles Leben (oder Kontemplation) und praktische Tätigkeit (Aktion) zu trennen, um in der Weltflucht („fuga mundi“) den einzig richtigen Weg zu sehen.48
Eine Häresie, gegen die auch Tauler predigte, das freigeistige Denken49, deutete die Welt pantheistisch: Das Universum sei eine Emanation Gottes, der im Sein dessen lebe, der sich ihm schweigend und liebend öffne. Die Seele werde dann Gott selbst. Nicht die Gnade Gottes erlöse demzufolge den Menschen, sondern er befreie sich selbst durch Bewusstwerdung der eigenen Göttlichkeit. Wenn sich der Mensch derart vergottet habe, lebe er wie im unschuldigen Zustand des Paradieses, und er könne, da er Gott sei, nicht mehr sündigen. Er brauche deshalb weder ein Tugendleben zu führen noch Verantwortung für die Mitmenschen zu übernehmen; er bedürfe auch keiner Kirche.50 Einer solchen dualistischen Welt- und Verantwortungsverneinung begegnet Dominikus mit einer „Spiritualität der Menschwerdung“51:
„Der Christus des Dominikus ist kein Christkönig oder ein romanischer Pantokrator, dem menschlichen Drama gegenüber fremd und empfindungslos. Vielmehr ist er ein gotischer Christus, feinfühlig und geduldig, leidend und gekreuzigt, der die Tiefgründigkeit menschlichen Dramas verinnerlicht. ... Denn es handelt sich um eine Spiritualität der Menschwerdung, welche die eigene und fremde ´conditio humana´ erkennt und aufgreift.“52
Die dominikanische Spiritualität ist also nicht das Resultat einer Weltflucht, sondern der Menschwerdung Christi und seiner Verflechtung in die Welt. Dabei wird für Dominikus die leidende Menschheit zum Weg, „sich auf eine Spiritualität der Menschwerdung einzulassen und das Geheimnis der Menschwerdung und der Passion Christi zu entdecken.“53 Zur leidenden Menschheit gehören nicht nur die Armen und Geknechteten, sondern ebenso die Ketzer in Südfrankreich bzw. die heidnischen Kumanen in Norddeutschland und Ungarn. Für Dominikus gilt:
„Man muss der Menschheit nicht den Rücken kehren, um Gott zu finden; im Gegenteil, man muss sie verinnerlichen, um Gott zu erfahren und um leibhaft die Kraft seines heilenden Willens zu spüren.“54
Seine Spiritualität ist eine, die man in der Begegnung mit der leidenden Menschheit erlernt und anwendet. Für Dominikus offenbart sich in der Menschwerdung Christi Gottes liebevolles Angesicht; im menschlichen Schmerz und im Leiden aber enthüllt sich der gekreuzigte Christus. Das Geheimnis der Menschwerdung mündet im Geheimnis des Kreuzes. Die Spiritualität des hl. Dominikus ist also zugleich eine Spiritualität der Menschwerdung und der Passion.
„Die Berührung mit der leidenden Menschheit ist die Quelle der religiösen Erfahrung, der Spiritualität, der christlichen und apostolischen Berufung des Dominikus ...: die Lasten der leidenden Menschheit auf sich zu nehmen und sich in christlichem Mitleid zu üben.“55
Vom Kreuz und der Passion der Menschheit her richtet Dominikus schließlich seinen Blick auf das Erlösungsgeheimnis:
„Dominikus glaubt fest an den Heilsplan Gottes für die Menschheit und verkündet ihn mit Hingabe. Er ist kein Prophet der Ungnade, Verdammnis und Zerstörung. Er verkündet keine schlechten Nachrichten. Er ist Prediger der guten Nachricht.“56
Diese christozentrischen und passiozentrischen Züge seiner Spiritualität zeigen sich – an erster Stelle – in der Wertschätzung der evangelischen Armut, die im Geheimnis der Menschwerdung ihren Ursprung hat, sich aus der Kenosis Christi57 ableitet, „der Selbstentäußerung, des Abstiegs aus den Höhen der Göttlichkeit in die Niederungen der Menschheit“58 und sich in der Passion und im Tod vollendet. Gott greift selbst in die Schöpfung und in die Natur des Menschen ein, indem er selbst Teil der Natur und Teil der Menschheit wird und sogar Erniedrigung und Tod auf sich nimmt. Diesem Vorbild Christi in der Selbstentäußerung will Dominikus mit seiner Armutspraxis nachfolgen: „Wer den armen Christus predigen will, muss in