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völlig vom Lernstoff ablenkt.

      So kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit zur sogenannten sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Die Person versagt bei der Prüfung, hat womöglich vor lauter Stress auch noch einen Blackout – weil sie vorher eben geglaubt hat, sie würde versagen. Der Blackout hat aber gar nichts mit der Person an sich zu tun, er ist eine ganz normale physiologische Reaktion, denn große Cortisolmengen legen den Hippocampus in unserem Gehirn lahm. Daten, Fakten, Zahlen sind in so einem Moment nicht mehr zugänglich, auch wenn sie dort eigentlich gespeichert sind.

      Nun ist es leider so, dass wir unser Selbstbild und unsere Identität aus der Summe unserer Erlebnisse bauen – besonders eindrückliche Erfahrungen wiegen dabei natürlich entsprechend schwer. Das heißt, in diesem Beispiel wird das Selbstbild des »Versagers« weiter verfestigt und zementiert – umso stärker, je länger diese Spirale fortläuft. Und umso schwieriger ist es später auch, ein solches Bild dann wieder aufzulösen. Schwierig, aber nicht unmöglich!

      Bei der Definition von Stress möchte ich mich gern Prof. Oliver T. Wolf, Kognitionspsychologe der Ruhr-Universität Bochum, anschließen. Er sagt: »Stress ist ein Ungleichgewicht zwischen Belastungen und den Möglichkeiten, diese zu bewältigen.«9 Nicht jede Situation ist für jeden Menschen gleich stressig. Die Frage ist: Glaubt dieser Mensch, über die nötigen Ressourcen zu verfügen, um die Situation in den Griff zu bekommen? Wenn ja, dann spürt diese Person nur den leichten, beflügelnden Stress, der besonders wach macht und die Leistung fördert. Wenn sie aber glaubt, zu schwach, zu dumm, zu dick, zu dünn, zu sonst irgendwas zu sein – dann spürt sie starken Stress, also die Sorte, die lähmt.

      Der Neurowissenschaftler Prof. Bruce Sherman McEwen von der Rockefeller University in New York drückt es so aus: »Das Gehirn ist das Organ, das entscheidet, welche Erfahrungen stressig sind.«10 Und obwohl unsere Gehirne natürlich grundsätzlich gleich aufgebaut sind, sind manche Strukturen eben bei manchen Menschen größer oder kleiner, dichter oder weniger dicht von Nervenzellen durchzogen.

      Das Angstzentrum im Gehirn, die Amygdala, wird durch anhaltenden und intensiven Stress größer. Ein Mensch, der lange Zeit mit mehr belastet wurde, als er ertragen oder bewältigen konnte, neigt in der Folge dauerhaft dazu, mehr Angst und auch mehr Aggressionen zu empfinden als der Durchschnitt. Dabei werden die Aggressionen allerdings aus Angst vor Konsequenzen oft auch unterdrückt und gegen sich selbst gerichtet. Das kann unter anderem die Entstehung von Depressionen begünstigen.

      In einer bedrohlichen – oder als bedrohlich wahrgenommenen – Situation, meldet die Amygdala dem Hippocampus jedenfalls schon mal gleich, er solle sich das Erlebte gut merken. Denn so sind wir bei erneutem Auftreten der Bedrohung gewappnet und können schnell reagieren. Sie legt sich also ihre eigene Gefahren-Datenbank an, anhand derer sie alles abgleicht, was an Sinneseindrücken aus der Außenwelt einströmt. Das bedeutet aber auch, dass eine ähnliche Situation in der Zukunft noch schneller zu einer Stressreaktion führt. »Ähnlich« kann sogar einfach nur heißen, dass ein Mensch beispielsweise einem anderen optisch ähnelt, der Ihnen einmal Schaden zugefügt hat. Schwupps, spüren Sie eine massive innere Unruhe und Ablehnung diesem neuen Menschen gegenüber, obwohl der arme Tropf doch gar nichts gemacht hat.

      Die Amygdala stört das nicht. Sie ist nicht die Diplomatin, sondern quasi die Gefechtsleitzentrale unseres Gehirns, wie Diplompsychologe Martin Hess es treffend ausdrückt.11 Die aufmerksame Besatzung eines U-Boots löst ja auch erst Alarm aus und weckt nicht gleich den schlafenden Kapitän, wenn etwas Verdächtiges auf sie zukommt. Also drückt die Amygdala ebenso erst einmal auf den roten Alarmknopf und löst damit eine Überlebensreaktion aus: Fight or Flight, Kampf oder Flucht. Adrenalin pumpt durch unsere Adern und versetzt die Muskeln in Spannung. Das wir dann nicht wirklich zuschlagen oder weglaufen, verdanken wir der Großhirnrinde, die ein wenig träge nachzieht und der Instinktreaktion quasi im letzten Moment einen Riegel vorschiebt. Sie hat nämlich die Daten mittlerweile eingehender analysiert und hält ein anderes Verhalten für angemessener. Nun stehen wir da, mehr oder weniger regungslos, mit Stresshormonen im Blut und starren unseren Chef an. Oder wer auch immer sonst der Trigger war.

      Weil sie nach dem Ähnlichkeitsprinzip arbeitet, hat die Amygdala kein Problem damit, in Schubladen zu denken und alle Menschen oder Dinge mit einem bestimmten Merkmal über einen Haufen zu scheren. Sie generalisiert, was das Zeug hält. Und ihre Datenbank reichert sie nicht bloß durch selbst gemachte Erfahrungen an. Angstauslöser können auch gelernt sein. Schreckhafte, zögerliche Eltern geben dieses Muster an ihren Nachwuchs weiter. Teilweise muss man sagen: zum Glück. Denn sonst wäre die Menschheit schon längst ausgestorben, weil die Kleinen geradewegs ins Maul eines Säbelzahntigers gestapft wären.

      Tatsächlich hat sogar unser Medienkonsum Auswirkungen auf unsere Ängste. So halten es Menschen, die abends vor dem Fernseher Krimis gucken, für wahrscheinlicher, dass sie einmal Opfer eines Gewaltverbrechens werden könnten. Deswegen kommt Filmemachern auch eine besondere Verantwortung zu. Bedienen sie zu viele Klischees – etwa: Der Bösewicht ist ein dunkler Typ mit Lederjacke –, wird genau dieses Erscheinungsbild bei den Zuschauern Unbehagen auslösen, wenn sie einer solchen Person auf der Straße begegnen.12

      Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend intensivem und anhaltendem Stress ausgesetzt waren, neigen im Erwachsenenalter zu einer schnelleren, stärkeren Stressreaktion als der Durchschnitt.13 Neue Situationen, die nicht vorhersehbar und mit Unsicherheit verbunden sind, werden von ihnen eher als besonders bedrohlich empfunden. Haben wir also Nachsicht mit der Generation, die noch den Krieg oder dessen Folgen miterleben musste. Dass sie am liebsten in festgefahrenen Bahnen vor sich hin lebt, hat neurologische Gründe. Doch dieses Muster kann sich auch über Generationen fortsetzen.

      Bereits in der Schwangerschaft haben die Cortisolausstöße der Mutter einen prägenden Einfluss auf die Stressanfälligkeit des kindlichen Gehirns, denn sie bestimmen, wie viele Cortisolrezeptoren das junge Gehirn ausbildet. Stand die Mutter während der Schwangerschaft anhaltend und stark unter Druck, wird das Kind sensibler auf Stress reagieren. Das kann aber leicht zu einer unglückseligen Spirale führen. Dieser junge Mensch wird öfter und schneller mit Cortisolausschüttung reagieren als der Durchschnitt. Dabei wird aber gleichzeitig das Glückshormon Dopamin gedrosselt. Der Mensch fühlt sich unglücklich und spürt keine eigene Kraft, um seine Situation zu verändern. Bis zur Depression ist es dann nicht mehr weit, zumal anhaltender Stress dann auch noch den anderen Glücksbotenstoff, das Serotonin, niederdrückt.

      Weil auch das Noradrenalin gebremst wird, fällt es den Betroffenen schwerer, sich zu konzentrieren. Das Schlimmste, was man in so einem Fall machen kann: bis tief in die Nacht im Internet surfen oder fernsehen. Schlafmangel verstärkt das Problem!

      Ein fester Tagesrhythmus hingegen mit täglicher körperlicher Aktivität, mehrmals pro Woche Sport, mehreren Pausen täglich, erholsamen Wochenenden und Urlauben schafft überhaupt erst die Voraussetzung, dass ein solcher Mensch seine Vorbelastung überwindet und in seine Kraft kommt.

      Wer über einen längeren Zeitraum starken Stress empfunden hat, bei dem hat möglicherweise das Stresshormon Cortisol die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus behindert. Das legen Studienergebnisse von Prof. Robert Sapolsky von der Stanford Universität nahe.14 Der Hippocampus hat aber nicht nur mit unserem Gedächtnis zu tun. Er ist auch derjenige, der die Stressreaktion des Körpers wieder abstellt. Für Menschen, die also eine stressige Jugend hatten, ist es klug, sich Unterstützung beim Coaching oder bei einer Therapie zu holen. Dort lernen sie, Stress wieder abzubauen. So werden sie nicht permanent von ihrer überschießenden Stressreaktion gehemmt. Meine eigenen Methoden zum Stressabbau vor aufregenden Momenten verrate ich in Kapitel 9.

      Ein Tipp vorweg: Treiben Sie Sport! Bewegen Sie sich möglichst häufig körperlich. Denn das hilft, die Stressresistenz des Gehirns zu erhöhen. Ein Wissenschaftlerteam um Dr. Nicole Berchtold von der University of California15 hat herausgefunden, dass bei Bewegung der BDNF (brain-derived neurotrophic factor) ausgeschüttet wird. Ein Wachstumsfaktor, der auch die Entwicklung von gesundem Gehirngewebe fördert. Dann bilden sich auch wieder mehr Neuronen im Hippocampus.

      Natürlich sind es nicht nur Situationen, bei denen ein Säbelzahntiger auf uns zugerannt kommt oder jemand eine Keule schwingt, die unsere Stressreaktion triggern.

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