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      Almaas Vorträge über die nichtbegriffliche Dimension können für manche intellektuell schwer zu verstehen sein, aber wir hoffen, daß der Leser vielleicht ein wenig Aroma der Freiheit von Bewußtheit jenseits des persönlichen Geistes (mind) schmeckt. Und bei denen, die meditieren oder andere spirituelle Übungen machen, die in die nichtbegrifflichen Dimensionen eindringen, können diese Vorträge zum Verständnis beitragen. Insbesonders unterscheidet Almaas zwei Arten von Hindernissen für die Verwirklichung des Nichtbegrifflichen. Eine Art ist epistemologisch: dabei geht es um Themen, die von der Konstruktion von Selbst- und Weltsicht handeln, der Konstruktion, die von der eigenen persönlichen Geschichte, dem kulturellen Kontext und auch durch die Beziehung zur physischen Welt bestimmt ist. Kapitel zwölf stellt den Prozeß der Konstruktion der Welt der Begriffe im sich entwickelnden Geist des Kindes dar. Diese konstruierte Welt wird nicht nur zur Welt, in der wir leben, sondern eigentlich zur Welt, die von der menschlichen Seele gelebt wird, in dem Sinn, daß unsere Gedanken, Wahrnehmungen, Emotionen und Bilder von uns selbst, auch viele Aspekte des Flusses körperlicher Energie, von der begrifflichen Welt beherrscht werden, die wir im Laufe unserer Entwicklung konstruieren.

      Hier verbindet sich die erste Hürde gegen Verwirklichung, die epistemologische, mit der zweiten, der psychodynamischen. Dies sind Themen, die mit persönlicher Abwehrhaltung und Gebundenheit (attachment) zu tun haben. Einfach gesagt, es gibt viele Dinge, die uns, andere oder die Welt betreffen, über die wir nicht die Wahrheit wissen, weil wir nicht wollen. Zum Beispiel haben wir Angst, unsere Vorstellung von uns selbst als gut (oder als schlecht!) zu verlieren, oder wir sind von unserer idealisierten Vorstellung von einem Liebhaber oder einem Freund abhängig. Diese Faktoren verhindern die Offenheit der Seele für die vollständige Wahrheit unserer Erfahrung, innerer und äußerer Art. Wie andere Ridhwan-Lehrer bei der Arbeit mit Schülern macht sich Almaas ein tiefes Verständnis der Selbstpsychologie zunutze und erkennt dabei die Tiefe und die Unbewußtheit vieler Ebenen der Ichstruktur und Ego-Identität an, die ohne psychodynamische Arbeit, auch mit wiederholten transzendenten Erfahrungen, sehr schwer zu durchschauen sind. Auf diesem Gebiet liefert Almaas einen originären Beitrag zum Verständnis der Schwierigkeiten von Verwirklichung und Integration der Dimensionen nichtbegrifflichen Bewußtseins – ein Bereich, der eigentlich für Praktizierende verschiedener Wege, besonders für Meditierende ziemlich leicht zugänglich ist.

      In Kapitel sechzehn geht der vorliegende Band von der Erforschung der nichtbegrifflichen Dimension zum dritten Thema über: einem Überblick über die Dimensionen von Sein, wie sie im Prozeß der Verwirklichung entdeckt werden. Es beschreibt die Beziehung zwischen den grenzenlosen und formlosen Dimensionen und den Dimensionen objektiver oder noetischer Formen, in denen Manifestation erscheint. Hier schließt die Diskussion besonders an die westliche Philosophie an, besonders an die neuplatonische Tradition, wie sie Plotin am klarsten erhellt hat.

      Eines der größten Rätsel für den ernsthaften Schüler spiritueller Disziplinen entsteht aus der Begegnung mit dem Bereich reinen Bewußtseins (awareness), die gewöhnlich von einer Wahrnehmung der Leere des Selbst oder der Welt, die bis dahin für reell gehalten wurden, einhergeht. Hier gibt es großes Staunen und manchmal Beunruhigung. Was bedeutet diese Einsicht für die Welt der Formen? Was bedeutet sie für die spirituelle Welt und für den Bereich von Essenz? Almaas beginnt in Kapitel sechzehn, den ontologischen Status der essentiellen Qualitäten von Sein und der menschlichen Seele zu klären, die er in seinem bisherigen Werk diskutiert hat. Diese Qualitäten sind universelle Begriffe oder noetische Formen, die als objektive Formen, die nicht vom persönlichen Verstand (mind) konstruiert sind, gewußt werden können, so wie die Formen der physischen Welt nicht vom individuellen Geist bestimmt sind, obwohl sie durch die Konstruktion von Begriffen erkannt werden. Bis der Bereich dieser Formen verstanden ist, scheint die Erfahrung vieler Praktizierender eine Dichotomie oder einen Dualismus aufzuweisen: von mentalen Strukturen (die als unwirklich gesehen werden) und fundamentaler Natur, die als das Reale und auch als vollständig nichtbegrifflich gesehen wird.

      Die Perspektive, die Almaas in den späteren Kapiteln dieses Buches lehrt, kann das Verständnis der essentiellen Qualitäten von der Tendenz zur Verdinglichung dieser Qualitäten befreien und enthüllt dabei, wie der Diamantene Ansatz eine Lehre ist, die wahrhaft in einer nicht-dualen Perspektive gegründet ist. So wie Verwirklichung von Einheit die Seele von der Täuschung befreit, daß trennende Grenzen letztlich real sind, so befreit die Verwirklichung der nichtbegrifflichen Dimensionen die Wahrnehmung von der Dualität von Leere (emptiness) und Existenz und von der verwandten Auffassung, daß Manifestation von Formen eine wirkliche Trennung vom Grund des Seins (Being) darstellt. Diese Perspektive ist mehr als ein philosophisches Verständnis; wie aus Almaas Lehre klar hervorgeht, hat sie menschliche und praktische Implikationen für die Verwirklichung und die Integration von Sein, während man ein normales Menschenleben in der Welt lebt.

      Die vorliegende Diskussion dieser Dimensionen von Sein ist eine Einführung in diesen Stoff, der in Vorträgen vor Schülern vorgestellt wurde, wobei die verschiedenen Dimensionen von Sein untersucht werden, mit denen sich der Diamantene Ansatz befaßt. Folglich ist es keine vollständige Darstellung von Almaas Lehre über diese Bereiche. Die ganze Lehre umfaßt die Arbeit mit viel mehr Feinheiten und Implikationen, die zur Verwirklichung der grenzenlosen und formlosen Dimensionen und zur weiteren Arbeit am Universellen Geist (Universal Mind) oder Nous gehören.

      Klärung der Persönlichkeit

      Viele spirituelle Lehrer beschreiben ihre Erfahrung der Verwirklichung, als wären sie plötzlich verwirklicht worden und die Persönlichkeit einfach gestorben oder abgefallen. Es ist also verständlich, daß ihr euch vielleicht vorstellt, daß ihr eines Tages eure Meditation beendet und keine Persönlichkeit mehr habt. Diese Vorstellung von Erleuchtung oder Selbst-Verwirklichung ist irrig, obwohl man tatsächlich plötzliche Enthüllungen oder Einsichten erfahren kann, die den Rest des Lebens verändern. Meine Wahrnehmung davon, was mit Leuten geschieht, die behaupten, daß sie ihre Persönlichkeit vollkommen und spontan verloren haben, ist, daß oft ein abgespaltener oder unterdrückter Teil bleibt, der sich als eine Entstellung oder als Mangel an Integration bemerkbar macht. Das bedeutet, daß es eine essentielle Verwirklichung gegeben hat, aber die Verwirklichung hat die Persönlichkeit nicht geklärt. Es ist eher ein Zustand von Transzendenz der Ich-Persönlichkeit. Wenn die Persönlichkeit aufgegeben und nicht integriert wird, kann die Totalität des Lebens nicht gelebt werden.

      Wir können den Prozeß der Verwirklichung aus der Perspektive von Transzendenz oder aus der Perspektive von Verkörperung betrachten. Wenn Leute über das Loswerden des Ego sprechen, dann sprechen sie über eine transzendierende Erfahrung. Es ist möglich, die Persönlichkeit oder das Ego, oder sogar physische Existenz, zu transzendieren. Es ist jedoch ein schwierigerer Prozeß zum Zustand von Verkörperung der Wirklichkeit zu gelangen. Statt einfach die Persönlichkeit oder die physische Existenz zu transzendieren, gehört zu diesem Zustand, daß man wirklich essentielle Existenz in seinem Leben verkörpert.

      Natürlich umfassen manche Systeme sowohl Transzendenz als auch Verkörperung. Wenn ihr eure Erfahrung hier unter dem Gesichtspunkt von essentieller Verwirklichung betrachtet, werdet ihr beim Ansatz zu unserer inneren Arbeit Transzendenz gefolgt von Verkörperung sehen. Das wird manchmal Tod und Wiedergeburt genannt; Tod ist Transzendenz und die Wiedergeburt ist Verkörperung. Bei der Verkörperung wird die Persönlichkeit selbst durchlässig und wird so durch die essentielle Verwirklichung beeinflußt. Wahres essentielles persönliches Leben wird nur möglich, wenn essentielle Verwirklichung die Persönlichkeit durchdringt, sodaß ihr eurer Verwirklichung entsprechend lebt. Ihr habt ein persönliches, praktisches Leben – Beziehungen, Beruf, Interessen, Dinge, die euch Spaß machen, und Dinge, die ihr nicht tun wollt. Ihr seid weiterhin eine Person, nicht nur ein entkörperter Geist (spirit).

      Dieser Prozeß der Verkörperung ist sehr faszinierend und aufregend. Er ist erfüllend und befriedigend auf eine solche Weise, daß ihr merkt, wie es Sinn macht, ein menschliches Leben zu haben. Es macht Sinn für euch im Ganzen – für das Denken, für das Herz, für die Persönlichkeit und für euren Körper. Menschliches Leben ist so lange nicht vollständig, bis die Verwirklichung in jeden Aspekt von euch integriert werden kann, sodaß alle Elemente von euch in Harmonie sind und ein Verständnis der Situation haben. Wenn ein Teil von euch entfremdet, abgelehnt oder abgespalten ist, ist die Integration noch nicht vollständig.

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