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Ein Quantum Zeit. Volkmar Jesch
Читать онлайн.Название Ein Quantum Zeit
Год выпуска 0
isbn 9783831257713
Автор произведения Volkmar Jesch
Жанр Математика
Издательство Bookwire
Es war schon erstaunlich, wie ihr Gesprächspartner die Welt sah. Sie hatte noch niemanden kennengelernt, der so radikal Verknüpfungen herstellte, wo sie überhaupt keine erwartet hätte, und einem Gespräch so schlagartig eine neue Wendung gab.
Sie hatte durchaus einen großen Bekanntenkreis. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf, war sie später zum Studieren in eine Großstadt gezogen. Sie hatte zwar ihr kleines Dorf über alles geliebt und fuhr dort regelmäßig hin, um alte Freunde zu besuchen, aber sie wollte auch die Welt kennenlernen, war begierig, neue Erfahrungen zu machen. Sie arbeitete inzwischen in einem großen Konzern und hatte sich gerade für eine Stelle in New York beworben.
Kollegen beschrieben sie als kommunikativ, was aber oft nur gespielt war. Sie würde sich eher als schüchtern einstufen, auch vorsichtig beim Eingehen von Beziehungen. Charakterlich war sie oft aufbrausend, nie aber wirklich böse, eher innerlich ein wenig unstet. Die richtige Balance war noch nicht gefunden, sie hatte aber angesichts ihres Alters von 27 Jahren noch jede Menge Zeit.
Doch was war er für ein Mann? Er war nicht nur eloquent, sondern auch sonst eine auffällige Erscheinung. Er vermittelte den Eindruck, einen einmal eingeschlagenen Weg zielgerichtet zu verfolgen. Als ob er auch im Berufsleben den Ton angeben würde. Privat schien er eher verschlossen zu sein. Jedenfalls hatten sie noch nicht über persönliche Dinge gesprochen. Sie wollte das baldmöglichst nachholen.
Sie lächelte insgeheim. Bislang hatte sie sich nicht näher mit physikalischen Themen befasst. Das sah sie nun komplett anders, weil er die schwierigsten Themen so einleuchtend erklärte, dass sie Freude daran hatte. Zwar waren seine Ausführungen manchmal ein wenig fordernd, aber durchgehend interessant, und er war immer für eine Überraschung gut.
Sie war durch die Diskussion richtig wissbegierig geworden und hoffte, dass er noch viel Zeit haben würde, sie mit grundlegenden Einsichten zu versorgen. Sie fühlte sich fit und hatte den Grund für ihren Aufenthalt, ihren Unfall, wieder gänzlich aus dem Gedächtnis verdrängt.
Das Thema Zeit schien wirklich komplex zu sein. Sie dachte über die Diskussion am Vorabend nach. Die in ihrem Gehirn produzierten Bilder drängten sich nach vorne. Teilchen in einem Ball rasten als Flugzeugstaffel auf den Boden zu, verwirbelten durch den Aufprall, um fortan ihr weiteres Dasein als entropische Wärmeenergie zu fristen, herabgestiegen von königlichen Höhen einer hochwertigen Energie in ein Aschenputtel-Dasein. Genial.
Weil überall Reibung stattfand, selbst in ihrem Körper, wenn sie etwas tat, um die Ordnung herzustellen, nahm die kosmische Unordnung trotzdem ständig zu. Die Entropie »schlug zu«, wie er das so schlagwortartig zusammengefasst hatte. Aber mit welcher Intensität tat sie das? Konnte man ihr nicht vielleicht doch ein Schnippchen schlagen?
Das Beispiel von Stephen Hawking war ja wirklich imposant gewesen. Von wieviel Millionen Millionen Einheiten war die Rede gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Vielleicht hatte Christopher noch mehr Beispiele für derartig astronomische Dimensionen. Die Zahlen, mit denen er um sich geworfen hatte, waren wirklich atemberaubend.
Bei Zeiteinheiten war er nicht weniger zimperlich. Wie konnte er auf die Idee kommen, dass sich ein Zimmer irgendwann in ganz ferner Zukunft selbst gereinigt haben könnte? Extrem.
Die Zukunft konnte also von sich aus einen Vorgang rückgängig machen. Warum konnte man dann nicht in die Vergangenheit reisen? Weil sich da nichts mehr bewegte? Dafür wäre eine Reise rückwärts in die Geschichte nicht so unkoordiniert wie in die Zukunft, die wegen der ständig pulsierenden Teilchen allemal ungewiss war. In Richtung Vergangenheit war klar, wohin der Weg führte. Nämlich in einer rückwärts gerichteten Aufhebung der bisherigen kausalen Ereignisse. Er hatte vom Kausalprinzip gesprochen, dass Geschehnisse aufeinander aufbauen. Wie wenn die Mauern eines Hauses hochgezogen werden.
Sie dachte an die kleine Tochter ihrer Freundin, der man keine größere Freude bereiten konnte, als einen Turm aus Bauklötzchen zu bauen, den sie dann mit einer gekonnten Bewegung zum Einstürzen brachte. Aber es würde auch anders gehen. Man könnte den Turm genau in der Reihenfolge wieder abbauen, wie man ihn aufgebaut hatte. Bauklötzchen für Bauklötzchen, Stück um Stück zurück in der Zeit. Eigentlich ganz einfach, oder zu simpel? Und wenn das nicht von selbst funktionierte, könnte man ja mit entsprechendem Energieaufwand ein wenig nachhelfen. Energie gab es ja genug. Die Energie der Welt war konstant. Sie lächelte.
Besonders beeindruckt hatte sie die Darstellung der Exponentialfunktionen und die damit einhergehenden Beispiele. Wie unglaublich steil die Zahlen anwachsen, wenn die hochgestellte Zahl nur um eins erhöht wird.
Als die Bedienung kam und das Wasser mit Eis brachte, betrat auch er den Raum, lächelte sie an, sodass ihr Blutdruck einen kleinen Hüpfer machte, und bestellte bei der Bedienung einen Espresso.
»Wie geht es Ihnen heute?«, wollte er wissen.
»Ach, ich habe keine guten Nachrichten. Die Polizei war heute Morgen da. Mein Unfallgegner ist verletzt und gibt mir die Schuld am Unfall. Aber ich will nicht jammern. Dass jemand beim Unfall verletzt werden könnte, war sicherlich nicht unwahrscheinlich.«
»Das tut mir leid«, sagte er und meinte es ehrlich. »Mir macht die aufziehende Schlechtwetterfront Sorgen.« Er erklärte nicht, warum er Sorgen wegen des Wetters hatte, sie wagte auch nicht, zu fragen. Eine Anspielung auf seine medizinische Behandlung wäre zu privat gewesen. Soweit wollte sie nicht gleich gehen. Vermutlich war er wetterfühlig oder so etwas Ähnliches.
»Die Frage, ob vergangene Ereignisse für ewig so bleiben müssen, hat daher für mich an Aktualität gewonnen«, sagte sie und konfrontierte ihn gleich mit ihren zwischenzeitlichen Überlegungen und den sich daraus entwickelten Fragen: »Ich habe verstanden, dass die Wärmeenergie ständig zu Lasten der anderen Energien zunimmt und dadurch die Unordnung im Universum steigt, weil die kleinen Teilchen in der Wärmesuppe nur noch unkontrolliert hin und her wabern und keine Kraft mehr für eine geordnete Energieentwicklung haben. Doch ist das mehr als nur ein schönes Bild? Ist das wirklich die Realität? Ihre Beispiele schienen mir wirklich weit hergeholt zu sein.«
Jetzt schmunzelte er innerlich. Von wegen weit hergeholt. Er hatte noch ganz andere Beispiele parat.
Sie war aber noch nicht fertig mit ihren Fragen: »Sie haben die Zunahme der Unordnung in Beziehung dazu gesetzt, dass die Zeit ständig voranschreitet. Doch die Zeit soll auch umgekehrt wieder die Ordnung herstellen können, wenn man sie nur lange genug machen lässt? Ist die Zeit ein Alleskönner? Kann sie sich sogar erfolgreich gegen die Funktionsweise des Universums wehren?«
Sie holte tief Luft. »Wenn sich aber ein gegenwärtiger Zustand ohne unser Zutun in der Zukunft verändern kann und das auch noch gegen jedwedes kosmische Prinzip, warum, um alles in der Welt, soll uns dann der Gang in vergangene Zeiten verwehrt sein? Den Weg in die Vergangenheit kenne ich doch schon aufgrund des Kausalprinzips, wie Sie erklärt haben. Also muss ich die bekannten Ereignisse einfach nur analysieren und rückwärts aufdröseln. Wie wenn man einen Film rückwärtslaufen lässt. Das mag vielleicht Energie kosten, aber davon haben wir doch genug.
Ergo: Warum ist das alles so, wie Sie es beschrieben haben? Und was passiert bei den beschriebenen Prozessen? Oder noch anders gewendet und vielleicht viel globaler, grundlegender: Woher kommen die beschriebenen Phänomene, wo ist deren Ursprung, warum gibt es sie heute, und wohin führt das Ganze?«
»Sehr kluge Fragen«, begann er, »ich will Ihnen gerne erklären, wie das Universum funktioniert. Verfolgen wir einmal Ihren Ansatz und bestimmen die Ereignisse in dem Punkt in der Vergangenheit, den wir erreichen wollen.«
»Ja, und bitte nur bezogen auf meine Person und nicht gleich auf den ganzen Kosmos«, warf sie ein. »Dann müsste es doch nicht so kompliziert sein, in die Zeit vor meinen Unfall zu gelangen.«
»Im Prinzip ist das richtig«, sagte er und ließ sich auf diese Diskussion ein. »Wenn wir wirklich in die Zeit vor den Unfall gelangen wollen, sollten wir uns vielleicht einmal näher anschauen, was unmittelbar vor dem Unfall