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werden, die sie sichere Bindung erfahren lassen (Carnelley & Rowe, 2007, 2010). Trainingsprogramme, die besonders zur Kultivierung von Mitgefühl (Miller, 2009) und Selbstmitgefühl (siehe Kapitel 6 und 18) bestimmt sind, werden zurzeit entwickelt.

      Mitgefühl und Wohlbefinden

      In der buddhistischen Tradition werden Liebende Güte, Mitgefühl, Freude und Gleichmut (mettā, karunā, muditā, upekkhā) als „die vier Unermesslichen“ oder als „die vier Göttlichen Verweilungszustände“ betrachtet (siehe Kapitel 4). Impliziert ist, dass Leiden verschwindet, wenn man diese Qualitäten verkörpert.

      Man hat begonnen, die positiven Wirkungen von Mitgefühl auf geistige und körperliche Gesundheit zu erforschen (Hofmann, Grossmann & Hinton 2011; Wachholz & Pearce, 2007). Zum Beispiel nehmen Individuen mit viel Mitgefühl mit größerer Wahrscheinlichkeit Mitgefühl von anderen an und neigen deshalb weniger dazu, auf Stress zu reagieren (Cosley, McCoy, Saslow & Epel, 2010). Praktizieren von Mitgefühl kann also zu bleibenden Verbesserungen von Glück und Selbstwertgefühl führen (Mongrain, Chin & Shapira, 2011). Die Forschung über Mitgefühl wurde zum größten Teil an Korrelaten von Mitgefühl wie Altruismus, Empathie, Versöhnlichkeit und anderen positiven Emotionen sowie den erschwerenden Bedingungen von Mitgefühl wie Wut und Ärger, Stress, Einsamkeit und Erschöpfung von Mitgefühl durchgeführt. Zum Beispiel kann Altruismus dadurch eine positive Wirkung auf körperliche und emotionale Gesundheit haben, dass Stress reduziert und die Immunreaktion verbessert werden (Sternberg, 2011). Altruismus scheint auch Langlebigkeit zu fördern (Brown, Nesse, Vinokur & Smith, 2003).

      Die Forschung über Selbstmitgefühl belegt klare Korrelationen mit psychischem Wohlbefinden (siehe Kapitel 6). Während dies geschrieben wird, scheint es immer noch keine publizierten, randomisierten und kontrollierten Studien über die Wirkung von Ausbildung in Selbstmitgefühl auf die psychische Gesundheit zu geben. Vorläufiges Belegmaterial weist aber auf mehrfache positive Wirkungen hin (Adams & Leary, 2007; Gilbert & Irons, 2005a; Kuyken et al., 2010; Raque-Bogdan, Ericson, Jackson, Martin & Nielsen, im Druck; Shapira & Mongrain, 2010; Thompson & Waltz, 2008; Van Dam, Sheppard, Forsyth & Earleywine, 2011). Zum Beispiel zeigten Individuen, die hohe Werte an Selbstmitgefühl aufwiesen und die zugleich auch depressiv waren, nach fünf Monaten beträchtlich weniger depressive Symptome als andere mit niedrigen Werten an Selbstmitgefühl. Das lässt darauf schließen, dass Selbstmitgefühl für einen natürlichen Schutz vor emotionalen Problemen sorgt (Raes, 2011).

      Es stellt sich unvermeidlich die Frage: „Kann ein innerer Zustand, in dem Leiden akzeptiert und angenommen wird, wirklich eine positive Wirkung auf die psychische Gesundheit haben?“ In der Praxis bleibt unser Fokus der Aufmerksamkeit nicht sehr lange bei Leiden. Man braucht Leiden, damit Mitgefühl entsteht, aber man braucht nur sehr kurz mit Leiden in Kontakt sein, bevor man dann zu einem liebevollen Gefühl für den Leidenden und den Wunsch, zu helfen, übergeht. Positive Emotionen überwiegen Leiden in der Erfahrung von Mitgefühl. Dies ist der Grund, weshalb Erschöpfung von Mitgefühl in Wirklichkeit „Erschöpfung von Empathie“ sein kann (Ricard, 2010; siehe auch Kapitel 7 und 19). Ein mitfühlender Mensch empfindet Zärtlichkeit, Hoffnung und guten Willen – alles Faktoren, die die psychische und physische Gesundheit unterstützen.

      Was ist Weisheit?

      In fast jeder Sprache gibt es ein Wort für „Weisheit“. Quer durch die verschiedenen Kulturen hat man sie als höchste menschliche Tugend beschrieben, und seit alter Zeit spielt sie in schriftlichen und mündlichen Traditionen eine hervorragende Rolle. Sie ist auch sicher eine Eigenschaft, die die meisten Menschen gern bei einem Therapeuten antreffen würden. Und doch haben bis vor Kurzem moderne Psychologen (und auch Philosophen) dieses Thema kaum berührt. Es ist ihnen sogar sehr schwergefallen, zu einem Konsens darüber zu gelangen, was Weisheit ist. Es ist ganz so, wie der amerikanische Richter des Supreme Court Potter Stewart (1964) bemerkt hat: „Hardcore-Pornografie ist schwer zu definieren, aber ich weiß, wenn ich mit ihr zu tun habe.“ Es gibt keinen Konsens über eine Definition von Weisheit, auch wenn wir sie erkennen, wenn sie da ist, und sie vermissen, wenn sie fehlt.

      Das englische Wort für Weisheit, wisdom, stammt von dem indoeuropäischen Wort wede ab, das „sehen“ oder „wissen“ bedeutet (Holliday & Chandler, 1986). In Wörterbüchern der englischen Sprache wird Weisheit verschieden definiert: als die „Fähigkeit, in Dingen, die das Leben und die Lebensführung betreffen, richtig zu urteilen; als gesunde Urteilskraft bei der Wahl von Mitteln und Zielen; als … Aufgeklärtheit, Gelehrsamkeit und Wissen (Oxford English Dictionary, 2010) oder als „Wissen … die intelligente Anwendung von Gelehrsamkeit und Wissen; als die Fähigkeit, innere Qualitäten und wesentliche Beziehungen zu erkennen; als Einsicht, Scharfsinn … Urteilskraft, Klugheit … geistige Gesundheit“ (Merriam-Webster, 2011). [Der Duden definiert: auf Lebenserfahrung, Reife (Gelehrsamkeit) und Distanz gegenüber den Dingen beruhende, einsichtsvolle Klugheit (Anm. des Lektors).] Diese sich teilweise überschneidenden Definitionen sind vieldimensional und werfen die Frage auf, ob uns nicht besser gedient wäre, wenn wir Weisheit als eine Gruppe verschiedener menschlicher Fähigkeiten statt als eine einzelne Tugend betrachten würden. Nichtsdestoweniger lässt die Tatsache, dass man „Weisheit“ in allen Zeiten und Kulturen hoch geschätzt hat, den Schluss zu, dass etwas an diesem Konstrukt sinnvoll ist. Die verschiedenen Qualitäten, die Weisheit umfasst, sind wahrscheinlich wechselseitig miteinander verbunden und bilden ein Ganzes, das größer ist als die Summe seiner Bestandteile. Wie wir in diesem ganzen Buch sehen werden, handelt niemand sehr klug oder weise, wenn er nur einige Bestandteile von Weisheit nutzt oder anwendet und andere vernachlässigt.

      Weil dieses Konstrukt so vieldimensional ist, ist es vielleicht nicht möglich, zu einer handlichen, praktisch anwendbaren Definition von Weisheit zu gelangen. Stattdessen müssen wir uns wohl mit einer Definition zufrieden geben, die ihre Essenz erfasst, auch wenn sie nicht leicht im Experiment zu überprüfen ist. Im Zusammenhang mit Psychotherapie könnte man Weisheit einfach als tiefes Wissen davon verstehen, wie man lebt. Was dies praktisch bedeutet, ist aber nicht so einfach zu beschreiben.

      Besonders schwer zu definierende Konstrukte sind dadurch gekennzeichnet, dass es konkurrierende Methoden gibt, zu ihrer Definition zu gelangen (Staudinger & Glück, 2011). Einige Psychologen sind um die Welt gereist und haben gewöhnliche Menschen aufgefordert, „weise“ Menschen zu beschreiben. In ihren Antworten haben sie nach Mustern gesucht, um implizite Modelle von Weisheit zu erkennen (zum Beispiel Bluck & Glück, 2005). Andere Forscher haben die philosophischen und religiösen Schriften der Welt nach wiederkehrenden Aspekten von Weisheit durchforstet (z. B. Birren & Svensson, 2005; Osbeck & Robinson, 2005). Wieder andere haben versucht, durch Nachdenken über ihre eigene Erfahrung von Weisheit weiterzukommen, was zu einer Vielfalt expliziter Theorien geführt hat – zu „Konstruktionen von (angeblichen) Experten als Theoretiker und Forscher“ (Sternberg, 1998, S. 349). Zu einem Konsens ist man aber nicht gelangt. Die zwei psychologischen Haupttexte über Weisheit, die von Robert Sternberg herausgegeben wurden (Sternberg, 1990a; Sternberg & Jordan, 2005), enthalten so viele Definitionen von Weisheit wie Kapitel. Glücklicherweise jedoch beginnen diese Versuche, Weisheit zu definieren, ihr Wesen wirklich zu erhellen. Indem wir ihre vielen Bestandteile benennen und beschreiben, bekommen wir Hinweise darauf, wie wir vielleicht Weisheit kultivieren und in der Psychotherapie verwenden könnten. Aber wie Sie bald sehen werden, hat sich die Aufmerksamkeit der Therapeuten weniger auf Weisheit als auf Mitgefühl gerichtet.

      Ein Top-down-prozess

      Moderne Neurowissenschaftler unterscheiden zwischen Bottom-up- und Top-down-Prozessen. Erstere beschreiben, wie das Gehirn sensorische Basisinformationen aufnimmt, zu Wahrnehmungen organisiert und aus diesen Grundbausteinen Erfahrungen der Realität konstruiert – wie zum Beispiel, wenn man den Duft einer Rose genießt. Zu Top-down-Prozessen gehört, dass man die Daten, die ständig von unseren Sinnessystemen in unser Gehirn strömen, interpretiert und auf sie reagiert und dabei höhere kortikale Fähigkeiten wie Rationalität, Urteilsvermögen und konzeptuelle Rahmenwerke benutzt, die auf vergangener Erfahrung beruhen. Nachdenken, bevor man handelt, und Treffen ausgewogener Entscheidungen, wie wir das vielleicht tun, wenn wir mit einem Patienten über ein sensibles Thema sprechen, sind Top-down-Prozesse. Weisheit könnte deshalb der höchste mögliche Top-down-Prozess sein. Dieser Prozess

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