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12 Jahren will er sich an den seiner Meinung nach ungerechten Lehrern seiner Schule rächen. Er verwanzt Türen, Fenster, Schränke und Treppenstufen der Schule mit selbst gebastelten Knallerbsen. Am Tag nach dieser Präparation lösen sie laute Explosionen bei jedem Öffnen von Türen und Fenstern durch Lehrer und Schüler aus. Viele Monate später- Burkhard ist [12]jetzt 14 Jahre alt - hat man ihn endlich als den Schuldigen ausfindig gemacht und feuert ihn von der Schule (übrigens mit einer 4 in Chemie).

      Burkhard Heim will nichts weiter als Chemiker werden und weigert sich, weiter eine Schule zu besuchen. Er liest Arbeiten über Physik und Chemie, auch Otto Hahns Bericht über die gelungene Kernspaltung. Daraufhin zeichnet er Pläne für eine Uranrakete.

      Wochenlang schreibt er an einem Aufsatz über die Elektronenpaarbildung Diesen legt er dem Leiter einer Berliner Forschungsanstalt vor. Der betreffende Professor erkennt die Begabung des 17-jährigen Burkhard und beschwört ihn, unbedingt das Abitur zu machen, um später studieren zu können. Burkhards Eltern finden eine Schule, die ihren Sohn aufnimmt. Doch dieser fühlt sich unterfordert und besucht noch zusätzlich eine Berliner Abendschule, in der man ihn als „Erwachsenen“ behandelt. Von diesem 2. Schulbesuch wissen seine Eltern nichts.

      In der normalen Schule wirkt Burkhard verschlafen und faul. Abends arbeitet er jedoch fleißig und leistet sich sogar ein Verhältnis mit seiner Biologie-Lehrerin. Als er 1943 seinen Eltern das Abiturzeugnis der Abendschule vorlegt, glauben diese zunächst, dass „der Junge nicht nur faul ist, sondern nun auch noch Unterschriften fälscht.“ Die Abiturprüfung der Schüler in der anderen Schule findet erst einige Monate später statt. Doch dazu kommt es nicht mehr. Denn alle Schüler werden zum Wehrdienst eingezogen.

      In seiner Freizeit arbeitet der Soldat Burkhard Heim in Oberitalien an der Theorie zu einem Sprengstoff mit ganz ungewöhnlichen Eigenschaften. Das Ergebnis seiner Untersuchungen schickt er im Frühling 1944 an die Chemisch-Technische Reichsanstalt in Berlin-Tegel. Daraufhin wird er von Hermann Göring sofort zur praktischen Ausarbeitung seiner Arbeit in die Reichsanstalt beordert.

      Einige Wochen später erhält der 19-jährige Burkhard Heim einen Termin bei Werner Heisenberg. Ihm trägt er seine Idee zu einer Bombe vor, in der durch Zündung einer Hohlladung aus dem [13]von ihm entwickelten Sprengstoff, Tritium zur Fusion gebracht werden könnte. Heisenberg redet ihm aber diese Idee aus, weil die dazu erforderlichen Temperaturen angeblich nicht erreicht werden könnten.

      Am 19. Mai 1944 will Heim ein Sprengexperiment machen und überlegt, mit welcher Menge der Versuch durchgeführt werden soll. Er entscheidet sich, zunächst nur ein Zehntel der geplanten Menge zu verwenden. Diese Entscheidung rettet ihm das Leben.

      Er hat den Mörser in der Hand, als Luftalarm ausgelöst wird. Mit der rechten Hand greift er sich an den Hals, als die Sprengladung in seiner anderen Hand explodiert. Die Wucht der Explosion reißt ihm beide Hände ab, verbrennt ihm Gesicht und Brust, zerstört die Trommelfelle und blendet seine Augen. Nur weil an diesem Mittwoch routinemäßig ein Arzt in der Reichsanstalt zu Visite ist, kann Burkhard Heim notdürftig versorgt und am Leben erhalten werden.

      Monatelang liegt Heim im Lazarett, ohne zunächst irgendwelche Kontakte zur Außenwelt zu haben. Schließlich gelingt es ihm, einen Arzt zu verstehen. Über diese Situation berichtete Heim dem Psychologen Dr. Jürgen vom Scheidt 1981 anlässlich eines Interviews im Bayerischen Rundfunk:

      „Ich wusste zwei Dinge: Erstens kann es sein, dass ich nie wieder als wirklicher Mensch leben kann. Ich habe mir einen Arzt rangeholt und mit ihm eine Bestandsaufnahme gemacht. Was ist denn nun wirklich noch alles heil?

      Es war bekannt, dass der Augenhintergrund noch arbeitet, dass noch ein schwaches Gehör vorhanden ist, und dass die beiden Unterarme noch soweit vorhanden sind und das in der richtigen Länge, um einen Spaltenarm herzustellen. Das war mir bekannt. Jetzt sagte ich mir, es ist eine Frage der Geschicklichkeit, ob ich wieder lebensfähig und auch wieder gesellschaftsfähig werden kann. Also liegt das weitgehend an mir selbst.

      Ich wusste aber nicht, wie ich überhaupt an die Sache herangehen sollte.

      [14]Zum Beispiel war mir klar, dass ich unabhängig davon, ob mein Sehvermögen jemals wieder kommen würde, bei dieser Gehörsache unter Umständen diese Brücke zur Außenwelt auch noch verlieren würde. Wenn ich mit den einfachsten Dingen des täglichen Lebens nicht fertig werde, dann werde ich nie wieder richtig ins Leben rein kommen können.

      Dann musste es darauf ankommen, mit dem Rest etwas zu unternehmen. Die Frage war: Wie werde ich mit zwei gespaltenen Unterarmen ein Stück Seife fassen können? Wie wird man eigentlich mit einem Kamm fertig, den man dazwischen klemmen muss? Wie gelenkig muss ich sein, um das alles tun zu können? Vor allem: Wie werde ich auf einer Toilette oder im Bad fertig? Das waren so die ersten dringlichen Fragen. Es ging dann aber!

      Als sich dann diese Dinge im täglichen Leben verbesserten, wuchs mein Selbstvertrauen immer mehr. Manches ist dann doch sehr positiv geworden. Es kam ein geringes Sehvermögen wieder, so dass ich mich alleine zurecht finden konnte. Ich konnte dann auch alleine von Potsdam im Winter 1944/45 nach Berlin zur Nachuntersuchung rüber fahren. Man konnte es ohne weiteres machen, weil die Bevölkerung sehr freundlich war und mir immer half.“

      Mit dem letzten Lazarettzug kann er Berlin verlassen. Über die Tschechoslowakei und Österreich gelangt er schließlich nach Bad Tölz in Oberbayern.

      Dort wird ihm von Prof. Lange der rechte Arm aus Elle und Speiche operativ zu einem Greif-Finger aufgetrennt, mit dem er fortan notdürftig zu greifen lernt. 1946 reist er nach Northeim zu seiner Tante, wo er auch seine Mutter und seine um 2 Jahre jüngere Schwester wieder trifft. In Göttingen wird ihm auch sein linker Arm operiert. Im Wintersemester 1946 lässt er sich als Student an der Göttinger Universität einschreiben, um dort Chemie zu studieren. Mit einem Hörgerät kann er etwas hören. Er kann jedoch [15]den Vorlesungen kaum folgen und ist auf Helfer angewiesen, die ihm alles vorlesen.

      Da er sich selbst keine Notizen machen kann, entwickelt er ein extrem gutes Gedächtnis. Das leistet bald so Unglaubliches, als hätte Heim ein absolutes Gedächtnis entwickelt. Wenn man ihn fragt, wie der Text auf einer bestimmten Seite lautet, so kann er diesen Satz für Satz fast wörtlich und mit allen Formeln aus dem Gedächtnis zitieren. Später verblüfft er seine Bekannten, wenn er diesen zu jedem Datum ab 1946 den Wochentag und die wesentlichen Ereignisse an jenem Tage beschreiben kann. Also z.B. wer ihm geschrieben hat, was der Rundfunk sendete, welche Stelle in welchem Buch er gerade vorgelesen bekommt.

      Im Jahre 1948 wird sein Vater Heinrich aus russischer Gefangenschaft im Lager Sachsenhausen entlassen und kümmert sich von nun an ausschließlich um ihn. Er begleitet Burkhard in die Universität und schreibt für ihn die Vorlesungen mit. Nachmittags setzt er sich mit Burkhard von 2 bis 7 Uhr zusammen, liest ihm vor und schreibt alle Gedanken seines Sohnes in dicke Konto-Bücher. Es werden schließlich mehr als 8000 Seiten.

      Im Laufe der Zeit erkennt Burkhard Heim, dass ihm das Fach Chemie keine geistigen Abenteuer mehr bereiten kann, die er - nun als vollkommener Theoretiker wider Willen - sucht. 1949 beginnt er mit dem Studium der Theoretischen Physik.

      Im Jahre 1950 heiratet Burkhard Heim die ehemalige Opernsängerin Gerda Straube und zieht mit ihr nach Göttingen.

      Sein Diplom-Physiker-Examen legt er 1954 bei den Physikern Becker und von Weizsäcker und bei dem Mathematiker Lyra in Göttingen ab. Anschließend wird er Mitglied in der Arbeitsgruppe von Carl-Friedrich v. Weizsäcker im Max-Planck-Institut für Astrophysik in Göttingen, wo er sich mit Supernova-Sternexplosionen beschäftigt.

      Bald aber schon muss er schmerzlich feststellen, dass ihm ein Arbeiten im Team unmöglich ist. Den Rechnungen an der Tafel kann er nicht folgen, und die Gespräche versteht er kaum. Immer [16]muss ihm jemand aus Fachzeitschriften vorlesen. Schweren Herzens verläßt Heim das MPI und setzt seine Arbeiten notgedrungen zu Hause fort, wo ihm sein Vater und seine Frau Augen, Ohren und Hände ersetzen.

      Das rechte Auge ist total erblindet, während Heim mit dem linken Auge noch schemenhaft etwas sehen kann. Wenn er sich eine Brille mit einer starken Linse aufsetzt, kann er Schriftzeichen an einer Tafel erkennen und mit einem Stück Kreide sogar mit seinem Spaltenarm an der Tafel schreiben.

      Als

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