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Die Kunst des Loslassens. Ayya Khema
Читать онлайн.Название Die Kunst des Loslassens
Год выпуска 0
isbn 9783931274504
Автор произведения Ayya Khema
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
In der Lehrrede heißt es weiter: „Und verweilt darin mit Verzückung und Glückseligkeit, die aus der Abgeschiedenheit entstanden sind.“ Wie ich bereits erwähnt habe, ist es ein Trugschluss zu meinen, das Wort „Abgeschiedenheit“ bedeute, dass wir ganz woanders sein müssten. Im Gegenteil, denn, wenn ein Mensch die erste meditative Vertiefung schon längere Zeit praktiziert und sie ganz automatisch kann, dann kann er sie sogar unter allen Umständen erleben. Die Abgeschiedenheit bedeutet einzig und allein, dass wir uns von den Sinnesvergnügen und den unheilsamen Geisteszuständen für die Zeit der Meditation absondern. Daraus können wir entnehmen, dass die Meditation ein erstklassiges Läuterungsmittel darstellt, wenn sie länger anhält und wir sie immer wieder üben. Denn sie funktioniert nämlich nur, wenn wir die Sinnesvergnügen und die unheilsamen Geisteszustände zur Zeit der Meditation aufgeben. Wenn es sich nur um eine Sekunde handelt, dann haben wir eine Sekunde der Läuterung. Wenn es sich um eine Stunde handelt, dann haben wir natürlich viel mehr Läuterung.
Da diese Läuterung automatisch geschieht, steht kein Krampf dahinter, weder: „Ich muss“, noch: „Jetzt muss ich alles aufgeben“, noch: „Jetzt muss ich der Welt entsagen.“ Die Läuterung geschieht automatisch, wenn wir wirklich meditieren, das heißt die meditativen Vertiefungen erleben. Dieser Punkt der automatischen Läuterung in den meditativen Vertiefungen ist vielleicht der wichtigste, denn es ist kein reines Vergnügen, wenn wir uns immer wieder mit dem eigenen Hass und der eigenen Gier herumschlagen. Wenn wir die meditativen Vertiefungen immer wieder praktizieren und uns selbst genau beobachten, dann wird uns diese automatische Läuterung auch selbst nach einiger Zeit der Praxis klar. Und es wird uns bewusst, dass etwas geschehen ist, worüber wir uns freuen können. Je mehr wir uns freuen, desto mehr Vertrauen und Liebe zum Pfad empfinden wir und können nicht mehr davon abgebracht werden.
Das anhaltende Hinwenden zum Meditationsobjekt müssen wir so lange üben, bis der Atem entweder nicht mehr zu finden ist oder aber so fein wird, dass wir ihn kaum noch spüren. Das ist dann ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass die Konzentration stark genug geworden ist, um nach innen zu gehen. In diesem Moment geschieht es häufig, dass das entzückende Empfinden der ersten meditativen Vertiefung spontan hochkommt. Möglicherweise haben wir uns aber auch schon so lange mit dem Atem abgegeben, dass wir dies immer weiterführen wollen, obwohl es gar nicht mehr nötig wäre in dem Moment. Stattdessen können wir dann absichtlich nach innen gehen und dort die Empfindungen wahrnehmen. Dieses In-sich-hinein-Gehen könnten wir damit vergleichen, dass wir uns in die Mitte unseres Körpers begeben.
Das Empfinden, das dabei hochkommt, hat viele verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten sowie Stärken: Es kann schwach, mittelmäßig oder stark sein; es kann überwältigend oder ansatzmäßig sein, wie ausgeprägt auch immer die Konzentration ist. Am häufigsten kommen die folgenden Wahrnehmungen vor: Leichtigkeit des Körpers, die Körpergrenzen lösen sich auf, innere Wärme, die sich ausbreitet, ein Kribbeln, Rieseln, ein Gefühl, als ob wir uns erheben. Manchmal fühlt es sich so an, als ob uns die Körperhaare zu Berge stehen. Auf jeden Fall ist die Empfindung entzückend, denn sonst handelt es sich um etwas anderes und ist somit kein geeignetes Meditationsobjekt. Im Allgemeinen müssen wir zu diesem Erleben keine Fragen stellen, denn wir spüren selbst, ob es entzückend ist.
Die entzückende Empfindung wird in dieser Lehrrede mit Verzückung bezeichnet. Das Wort „Verzückung“ ist zwar eine korrekte Übersetzung, aber dennoch nicht ganz bezeichnend, weil Verzückung eher ein emotionales Gefühl ist, wir jedoch in dem Moment noch mit dem körperlichen Empfinden beschäftigt sind. Wir richten die Achtsamkeit einzig und allein auf diese körperliche Empfindung. Sollten wir die entzückende Empfindung nur an einer kleinen Stelle spüren, was manchmal vorkommen kann, so müssen wir uns damit beschäftigen, die Empfindung langsam, sanft und liebevoll Schritt für Schritt über uns auszubreiten, sodass sie sich dann eines Tages über den ganzen Körper verbreitet und zu spüren ist.
Diesen ersten Schritt nenne ich „über die Schwelle treten“. Dabei lassen wir jegliche Methode los und erfahren ein erstes Erleben des inneren Seins. Dieses Erleben des inneren Seins muss natürlich weiterhin geübt werden, ehe es weitergeht und sich in den weiteren meditativen Vertiefungen fortpflanzt. Dies ist sozusagen die Eintrittshalle. Beim ersten Mal sagt der Geist vielleicht: „Was war denn das? Das ist aber nett, das möchte ich wiederhaben.“ Damit ist das Erleben beendet, und wir müssen von vorne beginnen. Das heißt, dass jeder Gedanke die meditative Vertiefung beendet. Jedoch ist die erste meditative Vertiefung noch nicht so tief, dass wir keinen Gedanken mehr haben könnten, aber wir sollten diese so schnell wie möglich loslassen und immer wieder zu der Empfindung zurückkehren.
Wenn wir dies öfter geübt haben und auch schon weiter als bis zur ersten meditativen Vertiefung gekommen sind, dann können wir das ohne Weiteres immer wieder erleben. Sobald der Geist abschweift, können wir sofort zu der entzückenden Empfindung zurückkehren. Sollte uns dies nicht gelingen, dann beginnen wir von Neuem mit dem Atem. Vielleicht fällt es uns auch leichter, mit der Liebenden-Güte-Meditation dorthin zu kommen. Welchen Weg wir wählen, ist unwichtig, denn es sind alles nur Methoden, was der Buddha wohl als Einziger so benannt hat.
Jede Methode bezweckt entweder Ruhe oder Einsicht, weiter nichts. In der ersten meditativen Vertiefung erleben wir den Anfang der Ruhe. Die Methode ist sozusagen der Schlüssel, den wir in das Schlüsselloch stecken, um die Tür aufzuschließen und über die Schwelle zu treten. Dann finden wir in uns etwas, von dem wir – wenn wir es noch nie gemacht haben – gar nicht wussten, dass es in uns existiert. Weshalb weiß die Menschheit im Ganzen nicht, dass das existiert? Das ist ein interessantes Phänomen und je mehr Bücher ich über religiöse Pfade lese, desto mehr wird mir bewusst, dass dieser Weg verschüttet worden ist. Dabei lese ich nicht nur buddhistische Bücher, sondern auch die von anderen Religionen. Dieser Weg ist in allen Religionen vorhanden und ist fast überall verloren gegangen. Ich vermute, dass der Grund dafür darin liegt, dass es den Menschen zu mühsam vorkam. Manche Menschen kommen sehr schnell in die meditativen Vertiefungen. Sehr oft erinnern sich diejenigen, die das sehr schnell können, an Kindheitserlebnisse, wo sie das erlebt haben, ohne natürlich zu wissen, was das war. Dann haben sie es jedoch wieder verloren, weil die Welt auf sie einstürmte.
Dies ist der Pfad des Geistes, und Meditation ist die Wissenschaft des Geistes mit ihrer eigenen Terminologie. Wir alle können die Anweisungen nachvollziehen, wenn wir gewillt sind, uns der Sache hinzugeben, wie wir das bei jeder anderen Wissenschaft auch tun. Die Meditation ist erklärbar, wiederholbar, und jeder menschliche Geist, der fähig ist, sich zu konzentrieren, kann diesen Weg gehen. Dazu gehört auf der gemütsbetonten Ebene, also auf der zweiten, dass viele Menschen unterschwellig einen Weg suchen, der sie heraushebt aus dem, was ich immer die Marktplatzmentalität nenne. Dort stürmt die Dualität auf uns ein, und wir geraten immer wieder in Versuchung, in dieser Dualität uns selbst, das Ich, zu finden. Denn das ist natürlich in der Dualität, in dieser Relativität, in der wir leben, vorhanden. Suchende Menschen gibt es heutzutage mehr als noch in der jüngeren Vergangenheit.
Die meditative Vertiefung ist der Weg des menschlichen Geistes, und er wurde von vielen christlichen Mystikern im Mittelalter praktiziert, die jedoch andere Worte als der Buddha dafür verwendet haben, aber es handelt sich um genau dasselbe. Interessanterweise erleben es auch Menschen zufällig, aber dann wissen sie natürlich nicht, was das war. Sie suchen einen Zugang dazu, weil dieser ihnen nicht bewusst war, denn es ist ja zufällig gekommen. Wir müssen nicht auf einen Zufall warten, denn es ist keine Glückssache, sondern es ist die Fähigkeit zur Konzentration, weiter nichts. Es beginnt damit, dass wir unsere Achtsamkeit