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Die natürliche Tochter. Johann Wolfgang von Goethe
Читать онлайн.Название Die natürliche Tochter
Год выпуска 0
isbn 9788726957334
Автор произведения Johann Wolfgang von Goethe
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Nur erst verstorb'ne?
Herzog War die Mutter! Laß,
O! laß mich nur von diesem Kinde reden,
Das, seiner Eltern wert und immer werter,
Mit edlem Sinne, sich des Lebens freut.
Begraben sei das Übrige mit ihr,
Der hochbegabten, hochgesinnten Frauen.
Ihr Tod eröffnet mir den Mund, ich darf
Vor meinem König meine Tochter nennen,
Ich darf ihn bitten: sie zu mir herauf,
Zu sich herauf zu heben, ihr das Recht
Der fürstlichen Geburt, vor seinem Hofe,
Vor seinem Reiche, vor der ganzen Welt,
Aus seiner Gnadenfülle zu bewähren.
König Vereint in sich die Nichte, die du mir,
So ganz erwachsen, zuzuführen denkst,
Des Vaters und der Mutter Tugenden:
So muß der Hof, das königliche Haus,
Indem uns ein Gestirn entzogen wird,
Den Aufgang eines neuen Sterns bewundern.
Herzog O kenne sie, eh du zu ihrem Vorteil
Dich ganz entscheidest. Laß ein Vaterwort
Dich nicht bestechen! Manches hat Natur
Für sie getan, das ich entzückt betrachte,
Und alles, was in meinem Kreise webt,
Hab' ich um ihre Kindheit hergelagert.
Schon ihren ersten Weg geleiteten
Ein ausgebildet Weib, ein weiser Mann.
Mit welcher Leichtigkeit, mit welchem Sinn
Erfreut sie sich des Gegenwärtigen,
Indes ihr Phantasie das künft'ge Glück
Mit schmeichelhaften Dichterfarben malt.
An ihrem Vater hängt ihr frommes Herz,
Und wenn ihr Geist den Lehren edler Männer,
Sich stufenweis' entwickelnd, friedlich horcht:
So mangelt Übung ritterlicher Tugend
Dem wohlgebauten festen Körper nicht.
Du selbst, mein König, hast sie unbekannt
Im wildem Drang der Jagd um dich gesehn.
Ja, heute noch! Die Amazonen-Tochter,
Die in den Fluß dem Hirsche sich zuerst
Auf raschem Pferde flüchtig nachgestürzt.
König Wir sorgten alle für das edle Kind!
Ich freue mich, sie mir verwandt zu hören.
Herzog Und nicht zum erstenmal empfand ich heute,
Wie Stolz und Sorge, Vaterglück und Angst,
Zu übermenschlichem Gefühl sich mischen.
König Gewaltsam und behende riß das Pferd
Sich und die Reiterin auf jenes Ufer,
In dichtbewachs'ner Hügel Dunkelheit.
Und so verschwand sie mir.
Herzog Noch einmal hat
Mein Auge sie gesehen, eh ich sie
Im Labyrinth der hast'gen Jagd verlor.
Wer weiß, welch ferne Gegend sie durchstreift,
Verdroßnen Muts, am Ziel sich nicht zu finden,
Wo, ihrem angebeteten Monarchen sich,
In ehrerbietiger Entfernung, anzunähern,
Allein ihr jetzt erlaubt ist, bis er sie,
Als Blüte seines hochbejahrten Stammes,
Mit königlicher Huld zu grüßen würdigt.
König Welch ein Getümmel seh' ich dort entstehn?
Welch einen Zulauf nach den Felsenwänden?
Er winkt nach der Szene.
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Graf.
König Warum versammelt sich die Menge dort?
Graf Die kühne Reiterin ist, eben jetzt,
Von jener Felsenwand herabgestürzt.
Herzog Gott!
König Ist sie sehr beschädigt?
Graf Eilig hat
Man deinen Wundarzt, Herr, dahingerufen.
Herzog Was zaudr' ich? Ist sie tot, so bleibt mir nichts,
Was mich im Leben länger halten kann.
Dritter Auftritt
König. Graf.
König Kennst du den Anlaß der Begebenheit?
Graf Vor meinen Augen hat sie sich ereignet.
Ein starker Trupp von Reitern, welcher sich
Durch Zufall von der Jagd getrennt gesehn,
Geführt von dieser Schönen, zeigte sich
Auf jener Klippen waldbewachs'ner Höhe.
Sie hören, sehen unten in dem Tal
Den Jagdgebrauch vollendet, sehn den Hirsch
Als Beute liegen seiner kläffenden
Verfolger. Schnell zerstreuet sich die Schar,
Und jeder sucht sich einzeln seinen Pfad,
Hier oder dort, mehr oder weniger
Durch einen Umweg. Sie allein besinnt
Sich keinen Augenblick, und nötiget
Ihr Pferd von Klipp' zu Klippe, grad herein.
Des Frevels Glück betrachten wir erstaunt;
Denn ihr gelingt es eine Weile, doch
Am untern steilen Abhang gehn dem Pferde
Die letzten, schmalen Klippenstufen aus,
Es stürzt herunter, sie mit ihm. So viel
Konnt' ich bemerken, eh der Menge Drang
Sie mir verdeckte. Doch ich hörte bald
Nach deinem Arzte rufen. So erschein' ich nun
Auf deinen Wink, den Vorfall zu berichten.
König O möge sie ihm bleiben! Fürchterlich
Ist einer, der nichts zu verlieren hat.
Graf So hat ihm dieser Schrecken das Geheimnis
Auf einmal abgezwungen, das er sonst,
Mit so viel Klugheit, zu verbergen strebte?
König Er hatte schon sich völlig mir vertraut.
Graf Die Lippen öffnet ihm der Fürstin Tod,
Nun