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Tausend und eine Nacht. Max Geißler
Читать онлайн.Название Tausend und eine Nacht
Год выпуска 0
isbn 9783962818647
Автор произведения Max Geißler
Серия Märchen bei Null Papier
Издательство Bookwire
Sindbad, weil er Minister war, hielt sofort eine Konferenz mit dem Könige; aber der König zog die Achseln und sagte: »Mein lieber Minister Sindbad, an dieser schönen Gepflogenheit ist nichts zu ändern; und mir selbst und dir auch wird es so ergehen wie jenem vornehmen Manne, wenn unsere Frauen vor uns sterben.«
Von Stund’ an ward Sindbad sehr nachdenklich und verwünschte das Geschenk, das ihm der König in jenem jungen Weibe gemacht hatte. Er beobachtete die Frau aufs sorgsamste, und jedes Unwohlsein erfüllte ihn mit Grauen und Furcht. Eines Tages klagte sie über heftige Schmerzen; Ärzte wurden geholt, alle Mittel wurden versucht – vergeblich: die junge Frau konnte ihr Lager nicht mehr verlassen, und nach sieben Tagen war sie tot.
»Das ist eine schöne Geschichte«, dachte Sindbad; denn er stellte Betrachtungen sehr trübseliger Art an. Aber es fiel ihm nichts ein, wodurch er sich hätte aus seiner üblen Lage befreien können. So kam der dritte Tag heran und mit ihm das Begräbnis; der König und alle Vornehmen der Stadt gaben der Toten das Geleite zu dem Brunnen auf der Spitze des Berges, in den sie und ihr überlebender Gatte versenkt werden sollten. Sindbad schritt todbleichen Angesichts dicht hinter der Bahre, und so sehr er noch auf diesem letzten Gange den König bat, gegen ihn das harte Gesetz dieses Landes nicht anzuwenden – es half nichts; denn der König meinte, er sei der erste Diener des Staates und müsste das Gesetz vor allem erfüllen.
Zuerst senkte man die Tote in den Schacht der tiefen Grotte, dann setzte sich Sindbad auf die für ihn bereitstehende Bahre, empfing seinen Krug Wasser und die sieben kleinen Brote, und langsam, langsam glitt die Bahre an Stricken in die Finsternis. Dann wurde der Stein über der Brunnenöffnung geschlossen. »Wäre es nicht besser, die Stirn an den Schroffen der Wände einzustoßen«, dachte Sindbad, »als in dieser furchtbaren Nacht zu verhungern?« Er tastete mit seinen Händen und fühlte Leichen um sich her. Aber die Liebe zum Leben war zu groß in ihm – er ergriff den Krug und trank, er fand die Brote und aß davon.
So war die dritte Nacht herangekommen, und Sindbads Vorrat an Nahrungsmitteln war aufgezehrt. Auf einmal vernahm er ein Keuchen, wie das eines gehetzten Tieres, er hörte ein Geräusch, als wenn dies Tier durch einen Spalt im Berge sich zwängte, er sah die Augen dieses Tieres, die sich gierig wie grüne Lichter in die Nacht stellten. Es war eine Hyäne, die, von dem Geruch der Verwesung angelockt, einen Weg in das schaudervolle Grab gefunden hatte.
Ein Übermaß von Freude kam in des armen Sindbad Herz; denn er dachte: auf dem Wege, auf dem dieses Tier durch die unterirdischen Grotten gegangen sei, müsse auch er ans Licht kommen. Er begann zu tasten, er ergriff einen Knochen als Waffe gegen die Hyäne und scheuchte sie in die Flucht; er kroch auf allen vieren einen unendlich langen Gang durch Zacken und Schroffen und durch triefendes Gestein. Endlich sah er – wie einen Stern – ein Licht in der Nacht der Tiefen aufgehen: das war der Tag, der weit, weithin vor dem Eingange des unterirdischen Weges stand. Und als Sindbad zu dieser Öffnung gelangte, brandete ringsumher das Meer, und wilde Klippen hingen um ihn, über die noch keines Menschen Fuß geschritten war.
Kaum konnte der gequälte Mann noch auf den Füßen stehen. Er fiel nieder und dankte seinem Gotte für die wunderbare Rettung; dann fing er sich einiges Seegetier, das er roh verzehren musste; aber durch sieben Tage fristete er sein Leben in der Einsamkeit, und am achten kam ein Schiff mit geblähten Segeln herauf; der Kapitän erkannte den Menschen in den Klippen des Strandes, sandte ein Boot zu ihm, das brachte ihn an Bord, und mit dem Schiffe gelangte er in die heißersehnte Heimat.
Aber die Lust zu neuen Reisen war dem Helden so vieler Abenteuer auch durch diese Strapazen nicht genommen worden. Nach Jahr und Tag rüstete er zu neuer Fahrt. Nicht lange, so landeten sie an einer weißen Insel, dort fanden sie ein Ei des Vogels Roch, welches ebenso groß wie jenes frühere und schon lange bebrütet war; denn der Schnabel des jungen Riesenvogels hatte schon eine Öffnung in die Schale gepickt.
Die Kaufleute, die sich bei Sindbad befanden, hatten so etwas noch nie gesehen, darum machten sie sich sofort daran, das Ei mit ihren Äxten in Stücke zu schlagen und den jungen Vogel herauszuholen. Sindbad warnte sie zwar eindringlich, aber er fand kein Gehör; und nicht lange, so verfinsterte sich die Luft, und zwei mächtige Wolken flogen näher und näher.
Der Kapitän erkannte, dass die Wolken nichts anderes seien als die alten Vögel, darum gab er Befehl, so rasch als möglich auf das Schiff zu eilen; und ein paar Augenblicke später stieß das Fahrzeug denn auch mit vollen Segeln vom Lande.
Wie die beiden Roche merkten, dass ihr Junges getötet war, flogen sie ihren Weg zurück und kamen in kurzer Frist wieder; jeder aber trug diesmal einen mächtigen Felsblock zwischen den Füßen. Als sie gerade über dem Schiffe waren, ließ der eine den Felsen aus den Krallen gleiten, und er musste das Schiff zerschmettern, wenn der Steuermann nicht eine geschickte Wendung ausgeführt hätte. Darum fiel der Felsblock ins Meer und zerriss die Fluten derart, dass man den Grund des Ozeans sehen konnte. Der andere Vogel Roch aber ließ seinen Felsblock so genau auf die Mitte des Schiffes fallen, dass es in tausend Splitter zerschellte. Alle Matrosen und Kaufleute wurden erschlagen, nur Sindbad, der sich in der Tiefe des Fahrzeugs verborgen hatte, tauchte lebend empor, und es gelang ihm, sich auf ein Stück des Wracks zu retten. Er wäre aber dennoch elend zugrunde gegangen, wenn er nicht zufällig in eine Meeresströmung getrieben worden wäre, die ihn sanft und bei schönstem Wetter an den Strand einer Insel trug.
Bäche von süßem, köstlichem Wasser rannen durch die grünen Auen dieses Landes, und Bäume mit allerlei Früchten wuchsen in Menge ringsumher.
Sindbad aß von den Früchten und erquickte sich an den kühlen Quellen, als er plötzlich einen Greis am Ufer eines Baches sitzen sah, der so gebrechlich schien, als hätte er auch Schiffbruch erlitten. »Ach, lieber Herr«, klagte der Greis, »könntet Ihr mich nicht auf Euren Schultern durch den Bach tragen?«
Sindbad, der ein sehr gefälliger Mann war, besann sich nicht lange, hob den Alten auf seine starken Schultern und trug ihn hinüber.
Aber als er ihn dort absetzen wollte, weigerte sich der Reiter, seinen Sitz zu verlassen, und alle Anstrengungen Sindbads, der Last ledig zu werden, blieben erfolglos. Und wenn er sich mit ihm ins Gras streckte, der Reiter wich nicht von seinem Platze. Tausend Listen fielen dem Seefahrer ein, aber der Alte war klüger, und so fügte sich Sindbad seinem schrecklichen Lose, mit der Last des Greises durch seine Tage wandern zu müssen.
Einmal