ТОП просматриваемых книг сайта:
Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner
Читать онлайн.Название Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
Год выпуска 0
isbn 9783532600627
Автор произведения Hans-Peter Hübner
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
d)Zur Freiheit der Religionsausübung zählen kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche. Als selbstverständliche Beispiele nennt das Bundesverfassungsgericht etwa: Gottesdienst, Sammlung von Kollekten, Gebete, Sakramentenempfang, Prozessionen, Zeigen von Kirchenfahnen, liturgisch begründetes Glockenläuten7, ferner religiöse Erziehung, im Rahmen der Weltanschaungsfreiheit: frei-religiöse und atheistische Feiern (Jugendweihe), sowie andere Äußerungen des religiösen und weltanschaulichen Lebens.8 Ferner wird von der Freiheit der Religionsausübung auch die diakonisch-karitative Tätigkeit umfasst.9 Zur Religionsausübung gehören ferner nicht nur die altvertrauten religiösen Gebräuche; vielmehr können auch fremde, neue oder aus anderen Religionen stammende Kultformen diesem Schutzbereich unterfallen, wie z. B. die Beschneidung von Jungen10 und das Schlachten von Tieren ohne Betäubung (Schächten) als Kulthandlung bei israelitischen Kultusgemeinden oder nach islamischen Religionserfordernissen.11
Gemeinschaften, die sich zwar als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bezeichnen, in erster Linie aber auf eine wirtschaftliche Tätigkeit abzielen, genießen indes nicht den Schutz des Art. 4.12
e)Die religiöse Vereinigungsfreiheit umfasst die Freiheit, aus gemeinsamem Glauben sich zu einer Religionsgemeinschaft zusammenzuschließen und zu organisieren, damit dieser Gemeinschaft eine rechtliche Gestalt zu geben und am allgemeinen Rechtsverkehr teilzunehmen. Damit ist allerdings kein Anspruch auf eine bestimmte Rechtsform verbunden, z. B. die eines rechtsfähigen Vereins oder einer sonstigen Form der juristischen Person. Gewährleistet ist die Möglichkeit einer „irgendwie gearteten rechtlichen Existenz einschließlich der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr“.13
Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 4 WRV eröffnet den Religionsgemeinschaften die Möglichkeit, die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu erwerben, z. B. nach den Vorschriften des Vereinsrechts. Dabei gebietet es die religiöse Vereinigungsfreiheit, das Eigenverständnis der Religionsgemeinschaft, „soweit es in dem Bereich der in Art. 4 Abs. 1 als unverletzlich gewährleisteten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit wurzelt und sich in der durch Art. 4 Abs. 2 geschützten Religionsausübung verwirklicht, bei der Auslegung und Handhabung des einschlägigen Rechts, hier des Vereinsrechts des Bürgerlichen Gesetzbuches, besonders zu berücksichtigen“. Dies umfasst nicht nur die volle Ausschöpfung von Gestaltungsspielräumen, soweit sie das Recht zulässt, sondern auch – bei Anwendung zwingenden Rechts – die Nutzung von gegebenen Auslegungsspielräumen zugunsten der Religionsgemeinschaft. Unvereinbar mit der religiösen Vereinigungsfreiheit wäre jedenfalls ein Ergebnis, das eine Religionsgemeinschaft im Blick auf ihre innere Organisation von der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr ganz ausschlösse oder diese nur unter unzumutbaren Erschwerungen ermöglichte.
3.Positive und negative Religionsfreiheit
Fallbeispiel 1:
Der neue Chefarzt Dr. Freimut am Städtischen Krankenhaus in M. nimmt daran Anstoß, dass entsprechend einem Stadtratsbeschluss Patienten bei ihrer Aufnahme, unter Hinweis darauf, dass die Frage nicht beantwortet zu werden brauche, danach gefragt werden, welche Konfession sie haben und ob sie einen Besuch des Krankhausseelsorgers oder der Krankenhausseelsorgerin wünschen. Dr. Freimut möchte dies zunächst mit der für die Seelsorge an diesem Krankenhaus zuständigen Pfarrerin Katharina Klug besprechen.
Was wird Pfarrerin Klug dazu sagen?
a)Das Grundrecht des Art. 4 hat nicht nur eine positive, sondern auch eine negative Komponente, die historisch gesehen zunächst im Vordergrund stand.
Exkurs zur geschichtlichen Entwicklung:
Im Augsburger Religionsfrieden (1555) kam es zu einer Gleichstellung des katholischen und evangelischen Bekenntnisses. Anerkannt war hier aber nur das Recht der Landesherren auf Konfessionswahl und auf Festlegung des Bekenntnisstandes (ius reformandi). Die einzelnen Untertanen hatten der Landesreligion anzugehören (cuius regio eius religio); abweichende Konfessionen konnten verboten, deren Anhänger vertrieben oder auch toleriert werden. Nur in Ansätzen war für die Untertanen „Religionsfreiheit“ insoweit anerkannt, als sie unter bestimmten Bedingungen in ein Land ihrer Konfession auswandern durften (ius emigrandi). Der Westfälische Friede (1648) ging einen Schritt weiter, indem er auf das öffentliche exercitium religionis des „Normaljahres“ 1624 abstellte und die Reformierten als dritte Religionspartei anerkannte. Aus dem Emigrationsrecht der Anderskonfessionellen und derjenigen, die 1624 kein Recht zur öffentlichen Religionsausübung hatten, erwuchs das Recht zu bleiben und ihren Glauben wenigstens in nicht öffentlicher Form (Hausandachten) ausüben zu können; Besuche des öffentlichen Gottesdienstes in benachbarten Gebieten ihrer Religion waren erlaubt. Die Anerkennung einer individuellen Religionsfreiheit mit Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann erfolgte dann zuerst in Preußen im Allgemeinen Landrecht von 1794 (§§ 1 ff. II 11 ALR). Allerdings war nur ein Kirchenübertritt, kein völliger Kirchenaustritt möglich. Letzteres wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesetzlich geregelt. Allerdings blieb auch nach dem ALR die Religionsausübung weiterhin abgestuft. Nur die drei anerkannten Konfessionen hatten das Recht der öffentlichen Religionsausübung, einschließlich des Rechts auf Kirchturm und Glockengeläut (§ 25 II 11 ALR). Andere Konfessionen sowie Sekten hatten den Status „geduldeter Kirchengesellschaften“, denen nur die freie Ausübung von „Privat-Gottesdiensten“ gestattet war (§ 22 II 11 ALR).
Ähnlich war die Rechtslage in Bayern nach Anerkennung einer individuellen Glaubens- und Gewissensfreiheit, zuerst durch die Amberger Resolution vom 10. November 1800, durch das Toleranzedikt vom 26. August 1801 und das Religionsedikt vom 10. Januar 1803. Das Religionsedikt vom 18. Mai 1818 (RE) kannte wie das ALR die öffentliche Religionsausübung nur durch die drei anerkannten Konfessionen (§ 28 RE), während die anderen Glaubensgemeinschaften „Privat-Gesellschaften“ waren (§ 32 RE) – mit der Befugnis der freien Ausübung ihrer „Privat-Gottesdienste“ (§ 33 RE) ohne Glockenrecht (§ 35 RE).14
Umfasst ist von Art. 4 sowohl die Freiheit, religiös zu sein, aber auch areligiös oder gar antireligiös. Garantiert ist nicht nur das Recht, eine religiöse Überzeugung zu äußern, und bestimmte kultische Handlungen vorzunehmen, sondern auch das Recht, keine religiöse Überzeugung zu äußern und kultischen Handlungen fern zu bleiben.15 Mit anderen Worten: Geschützt ist die Freiheit zu glauben oder auch nicht zu glauben, einen Glauben zu bekennen oder ihn zu verschweigen, sich von ihm loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, ihn auszuüben oder auch nicht auszuüben. Der Kirchenaustritt, die Möglichkeit, Schüler von der Teilnahme am Religionsunterricht abzumelden16, die