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Evangelisches Kirchenrecht in Bayern. Hans-Peter Hübner
Читать онлайн.Название Evangelisches Kirchenrecht in Bayern
Год выпуска 0
isbn 9783532600627
Автор произведения Hans-Peter Hübner
Жанр Религия: прочее
Издательство Автор
Da Staat und Kirche sich – je von ihrem Ansatz und Auftrag her – jedoch für dieselbe Gesellschaft und für dieselben Menschen verantwortlich fühlen (als Staatsbürger und als Kirchenmitglieder), und es durch die zunehmende Verantwortung des Staates als Sozialstaat mit dem Ziel einer umfassenden Daseinsvorsorge oft zu einer Überlagerung und Konkurrenz staatlicher und kirchlicher Aktivitäten kommt, bedarf es einer „verständigen Kooperation“ zwischen Staat und Kirche. Diese modifizierte oder auch positive Trennung stellt sich daher dar als „wechselseitige Selbstständigkeit innerhalb eines Koordinationssystems oder als Partnerschaft zwischen Kirche und Staat“. Ausgehend von beiderseitiger Freiheit und Unabhängigkeit voneinander hält dieses Modell also Kirche und Staat zu Kooperation an. Gerade weil der Staat Religiöses nicht selbst bestimmen darf, bedarf es dieser Kooperation und Verständigung, wenn beide – Staat und Kirche – in sich berührenden oder auch überlagernden Arbeitsfeldern tätig werden.
6.Besonderheit des deutschen Systems
Mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines näher ausgeformten Systems institutioneller Garantien (Art. 140 GG i. V. m. den Weimarer Kirchenartikeln) neben der Garantie der Religionsfreiheit unterscheidet sich das deutsche staatskirchenrechtliche System von anderen Rechtsordnungen. Diese kennen meist nur die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit selbst, während institutionelle Garantien zum Teil als von dieser umfasst angesehen werden, zum Teil auch in besonderen Religionsgesetzen oder Konkordaten oder Einzelverträgen näher festgelegt werden. Auch diese Besonderheit ist historisch bedingt: Das alte deutsche Reich war der einzige größere Staatenverband, in dem mehrere, sich zudem theoretisch ausschließende Konfessionen gleichberechtigt nebeneinander bestanden, während in den anderen Ländern im Wesentlichen eine Konfession bestanden hat. Dieses konfessionelle Nebeneinander wurde ermöglicht durch die Festschreibungen im Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Westfälischen Frieden (1648). In dieser paritätischen Behandlung der damals drei Konfessionen liegen die Wurzeln der verfassungsrechtlichen institutionellen Garantien, die dann 1919 auf alle Religionsgemeinschaften ausgedehnt worden sind.
Beide Garantien – die institutionellen des Art. 140 und die Religionsfreiheit des Art. 4 – sind als Einheit anzusehen. Beide sind die Grundlagen der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, d.h. unserer staatskirchenrechtlichen Ordnung. Es sind Garantien, die die Freiheit des einzelnen und der Gemeinschaften sichern und schützen und dadurch ein Zusammenleben unter dem Bekennen verschiedener Anschauungen erst recht ermöglichen. Nicht um Privilegien von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften handelt es sich bei diesen Garantien, sondern um eine angemessene Berücksichtigung des vom Staat ohnehin nicht bestimmbaren Eigenlebens und der sich daraus ergebenden Eigenständigkeit von religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaften.
Weiterführende Literatur:
Th. Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR von 1945 bis 1989, Baden-Baden 1994;
A. v. Campenhausen, Steht das Religionsverfassungsrecht vor einem Wandel? Literatur zum Staatskirchenrecht und Kirchenrecht, in: Theologische Rundschau 69 (2004), S. 273–313, = ders., in: Gesammelte Schriften II, Jus Eccl. Bd. 109, Tübingen 2014, S. 91–127; ders., Religionsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7 (Freiheitsrechte), 3. Aufl. Heidelberg 2009, § 157, insbesondere Rz. 6–43;
H. de Wall, Heinrich, Das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes: Zeitgemäß und zukunftssicher? Rechtliche Perspektiven, in: Ph. W. Hildmann/ Stefan Rößle (Hrsg.), Staat und Kirche im 21. Jahrhundert, Hanns-Seidel-Stiftung, Berichte und Studien 96 (www.hss.de), S. 27–58.
Cl. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, Jus Eccl. Bd. 61, Tübingen 1999;
St. Heitmann, Die Entwicklung von Staat und Kirche aus der Sicht der „neuen“ Länder, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, Bd. 39 (1994), S. 402–417;
E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. VI Die Weimarer Reichsverfassung, Stuttgart u. a. O. 1981;
A. Kupke, Die Entwicklung des deutschen „Religionsverfassungsrechts“ nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den neuen Bundesländern, Berlin 2004;
Chr. Link, Ein Dreivierteljahrhundert Trennung Kirche und Staat in Deutschland, in: Becker, Bernd u.a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Thieme zum 70. Geburtstag, Köln u.a. O. 1993, S. 95–122; ders., Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte. Fünf Abhandlungen, Frankfurt/M. 2000; ders., Staat und Kirche in einer sich wandelnden Gesellschaft, in: Byrd, B. Sharon/Joerden, Jan C., Philosphia Practica Universalis. Festschrift für Joachim Hruschka zum 70. Geburtstag, Berlin 2005, S. 257–274, ders., Kirchliche Rechtsgeschichte (A.), insbesondere §§ 26, 31 und 33;
St. Mückl, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 7 (Freiheitsrechte), 3. Aufl. Heidelberg 2009, § 159.
1Erstmals von Papst Gelasius (492–496) vertreten, dann sich fortsetzend in der mittelalterlichen Zwei-Schwerter-Lehre, wie sie etwa auch in den bekanntesten mittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern, dem Sachsenspiel und dem Schwabenspiegel, aus dem 13. Jahrhundert enthalten ist: zwei Schwerter hat Gott zum Schutz der Christenheit verliehen, das geistliche Schwert dem Papst, das weltliche dem Kaiser. Nach der extremen kurialistischen Theorie erhält der Kaiser das weltliche Schwert vom Papst, sodass also die weltliche Macht der geistlichen untergeordnet ist. Im Investiturstreit fand diese Auseinandersetzung ihren Höhepunkt mit der Durchsetzung des päpstlichen Weltherrschaftsanspruch. Zunehmend gewann jedoch die staatliche Seite in den allmählich zu eigenen Staaten sich herausbildenden Territorien zumindest faktisch, zum Teil auch rechtlich die Oberhand.
2K. Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I (1918–1934), Frankfurt/M. u. a. O. 1977, S. 19 f.
3Grundlegend dazu W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973; K. Schlaich, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, in: HdbStKirchR Bd. 2 (A.), jetzt auch in: ders., Gesammelte Aufsätze, Jus Eccl. Bd. 57, Tübingen 1997, S. 480–523; G. Klostermann, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen – Rechtsgrundlagen im kirchlichen und staatlichen Recht, Jus Eccl. 64, Tübingen 2000; ders., Der kirchliche Öffentlichkeitauftrag, in: HevKR (A.), § 22 (S. 775–796.
4Vgl. dazu die Denkschrift des Rates der EKD zum Öffentlichkeitsauftrag der Kirche „Das rechte Wort zur rechten Zeit“, Gütersloh 2008. Die Denkschriften des Rates der EKD, von denen insbesondere die Ost- und Vertriebenen-Denkschrift „Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis des deutschen Volkes zu seinen östlichen Nachbarn“ (1965) und die Demokratie-Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie“ (1985) hervorzuheben sind, sind u. a. über