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meine.«

      »Ich empfehle,« er sprach jetzt sehr leise, als wäre es eine Drohung, »nicht jedem, meinen – Weg – zu – gehen. Es kommt darauf an –«

      Die Röte schoß Bosinney ins Gesicht, wich jedoch bald wieder und ließ es blaß-braun wie zuvor. Er stieß ein kurzes Lachen aus, das ein seltsam starres, grimmiges Lächeln auf seinen Lippen zurückließ; seine Augen höhnten den jungen Jolyon.

      »Danke,« sagte er. »Es ist verteufelt freundlich von Ihnen. Aber Sie sind nicht der einzige, der hartnäckig sein kann.« Er erhob sich.

      Den Kopf in die Hand gestützt, schaute der junge Jolyon ihm nach und seufzte.

      In dem schläfrigen, fast leeren Raum waren das Knittern der Zeitungen und das Kratzen der Streichhölzer, die angezündet wurden, die einzigen Geräusche. Lange Zeit saß er regungslos da und durchlebte noch einmal jene Tage, wo auch er lange Stunden wartend dagesessen und auf die Uhr gesehen, um das Schwinden der Minuten zu beobachten – lange Stunden voll Qual und Ungewißheit, doch auch voll wilden süßen Wehs; und die öde wonnige Seelenpein jener Zeit erwachte mit der alten Heftigkeit in ihm. Der Anblick Bosinneys mit seinem hagern Gesicht und den ruhelosen Augen, die fortwährend auf die Uhr gerichtet waren, hatte ein mit seltsamem, unwiderstehlichem Neid vermischtes Mitleid in ihm erweckt.

      Er kannte die Zeichen so gut. Wohin würde es ihn führen – welchem Schicksal entgegen? Welcher Art war die Frau, die ihn mit dieser magnetischen Kraft an sich zog, der gegenüber keine Rücksicht auf Ehre, keine Prinzipien, kein Vorteil ihn zurückzuhalten vermochte, der nur durch die Flucht zu entgehen war.

      Flucht! Aber warum sollte Bosinney fliehen? Ein Mann floh, wenn er in Gefahr war Haus und Herd zu zerstören, wenn Kinder da waren, wenn er fühlte, daß er Ideale zertrat, daß er etwas zerbrach. Aber hier, so hatte er gehört, lag alles zerbrochen vor ihm da.

      Er selbst war nicht geflohen, noch würde er fliehen, wenn alles noch einmal geschähe. Und doch war er weiter gegangen als Bosinney, hatte sein eigenes unglückliches Heim zerstört, nicht das eines andern. Und der alte Spruch: »Eines Mannes Schicksal liegt in seinem eigenen Herzen« kam ihm in Erinnerung.

      In seinem eigenen Herzen! Um einen Pudding zu erproben, muß man ihn essen – Bosinney hatte seinen Pudding noch zu essen.

      Seine Gedanken wandten sich der Frau zu, die er nicht kannte, deren Geschichte er in ihren Umrissen aber gehört hatte.

      Eine unglückliche Ehe! Keine schlechte Behandlung – nur jenes undefinierbare Unbehagen, jene furchtbare Geringschätzung, die alle Süßigkeit unter dem Himmel tötet. Und so fort von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr, bis der Tod es endet!

      Aber der junge Jolyon, dessen Bitterkeit durch die Zeit gemildert war, sah diese Frage auch von Soames' Seite an. Wo sollte ein Mann wie sein Vetter, mit allen Vorurteilen und Ansichten seiner Klasse vollgepfropft, die Einsicht oder Erleuchtung hernehmen sein Leben zu zerstören? Es war eine Frage der Phantasie, es galt sich in die Zukunft hineinzuversetzen, sich über das unangenehme Geklatsche, das Spötteln und Geschwätz hinwegzusetzen, das solcher Scheidung folgte, über die furchtbaren Qualen, die der Verzicht auf ihren Anblick verursachte und über die strenge Mißbilligung der Ehrenmänner hinweg. Aber wenige Männer, besonders wenige von Soames' Klasse hatten dafür Phantasie genug. So viele Sterbliche in dieser Welt, und nicht Phantasie genug Platz zu machen! Und du lieber Himmel, welch ein Unterschied zwischen Theorie und Praxis; so mancher, vielleicht Soames selbst, hatte ritterliche Anschauungen in solchen Dingen, fand aber, wenn der Schuh ihn selbst drückte, einen besonderen Faktor, der ihn zu einer Ausnahme machte.

      Aber dann mißtraute er auch seinem Urteil. Er hatte selbst die Erfahrung gemacht, hatte die Bitterkeit einer unglücklichen Ehe bis auf die Neige ausgekostet, wie konnte er da den weiten leidenschaftslosen Blick jener haben, die niemals auch nur den Schall des Schlachtgetümmels vernommen? Sein Urteil kam zu sehr aus erster Hand – wie das Urteil eines Soldaten über militärische Angelegenheiten, der lange im aktiven Dienst gestanden, gegenüber dem der Zivilisten, die nicht den Nachteil gehabt, die Dinge zu nah zu sehen. Die meisten Leute würden eine Ehe wie die Soames' und Irenens für ganz glücklich halten. Er besaß Geld, sie war schön; es war eben ein Kompromiß. Es war kein Grund vorhanden, weshalb sie nicht so weiter trotten sollten, selbst wenn sie einander haßten. Was schadete es, wenn jeder seinen eignen Weg ging, solange der Anstand beobachtet, – solange die Heiligkeit des Ehebundes, des gemeinsamen Heims gewahrt blieb. Beleidige nicht die Gefühle der Gesellschaft! beleidige nicht die Gefühle der Kirche! nach diesem Satz wurde die Hälfte aller Ehen der oberen Klassen geführt. Das Vermeiden einer Beleidigung von Kirche und Gesellschaft ist das Opfer jeder Privatempfindung wert. Die Vorteile eines festen Heims sind sichtbar, fühlbar, sind wie Teile des Besitzes; es liegt keine Gefahr in dem status quo. Ein Heim aufzulösen ist im besten Falle ein Experiment, und selbstsüchtig obendrein.

      So war es um die Rechtfertigung bestellt, und der junge Jolyon seufzte.

      »Der Kern von allem,« dachte er, »ist Besitz, aber es gibt sicher viele Leute, die die Sache nicht so betrachten. Für sie ist er ›die Heiligkeit des Ehebundes‹; aber die Heiligkeit des Ehebundes ist abhängig von der Heiligkeit der Familie, und die Heiligkeit der Familie ist abhängig von der Heiligkeit des Besitzes. Und doch stelle ich mir alle diese Leute als Nachfolger des Einen vor, der nichts besaß. Es ist sonderbar!«

      Und wieder seufzte der junge Jolyon.

      »Werde ich auf meinem Heimweg jeden armen Teufel, den ich treffe, bitten, mein Mittagessen mit mir zu teilen, das dann zu knapp für mich oder jedenfalls für meine Frau wäre, die ich zu meinem Glück und Wohlbehagen brauche? Es mag schließlich sein, daß Soames wohl daran tut auf seinem Recht zu bestehen und durch sein Tun den geheiligten Grundsatz des Besitzes aufrechtzuerhalten, der uns allen zugute kommt, ausgenommen denjenigen, die – unter dem Prozeß leiden.«

      Er erhob sich von seinem Sessel, bahnte sich einen Weg durch das Gewirr von Sitzen, nahm seinen Hut und trat im Gedränge der Wagen in den heißen, dunstigen, von Staubgeruch erfüllten Straßen, langsam seinen Heimweg an.

      Ehe er jedoch die Wistaria Avenue erreichte, nahm er den Brief des alten Jolyon aus der Tasche, zerriß ihn sorgfältig in winzige Stückchen und streute sie in den Staub der Straße.

      Er öffnete selbst mit seinem Schlüssel und rief den Namen seiner Frau. Aber sie war mit Jolly und Holly ausgegangen, und das Haus war leer; nur im Garten lag Balthasar, der Hund, im Schatten und schnappte nach Fliegen.

      Und der junge Jolyon setzte sich ebenfalls dort unter den Birnbaum, der keine Früchte trug.

      Elftes Kapitel

      Bosinney und Soames

       Inhaltsverzeichnis

      Am Tage nach dem Abend in Richmond kehrte Soames mit einem Morgenzug von Henley zurück. Da er sich in seiner Gemütsverfassung jedoch für keinerlei Land- oder Wassersport interessierte, war sein Besuch, zu dem ein Klient von einiger Bedeutung ihn eingeladen hatte, eher ein Geschäft als ein Vergnügen gewesen.

      Er begab sich direkt in die City, als er aber nur Unwichtiges vorfand, ging er, froh über die Gelegenheit ruhig nach Haus zu können, um drei Uhr wieder fort. Irene erwartete ihn nicht. Zwar hatte er nicht den Wunsch ihr Tun auszuspionieren, aber es war doch kein Unrecht den Schauplatz so unvermutet zu übersehen.

      Nachdem er den Anzug gewechselt, ging er ins Wohnzimmer. Sie saß müßig in einer Sofaecke, ihrem Lieblingsplatz, und er sah Ränder unter den Augen, als hätte sie nicht geschlafen.

      »Wie kommt es, daß du hier bist?« fragte er. »Erwartest du jemand?«

      »Ja, – das heißt, nicht bestimmt.«

      »Wen?«

      »Mr. Bosinney sagte, er würde vielleicht kommen.«

      »Bosinney. Er sollte an der Arbeit sein.«

      Hierauf gab sie

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