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Die Forsyte-Saga. John Galsworthy
Читать онлайн.Название Die Forsyte-Saga
Год выпуска 0
isbn 4064066499952
Автор произведения John Galsworthy
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Er war während der ganzen Mahlzeit sehr liebenswürdig gewesen und hatte nur selten den dreist bewundernden Blick von Irenens Antlitz und Figur gewandt. Wie er sich selbst eingestehen mußte, schien es keinerlei Wirkung auf sie auszuüben – sie blieb ganz kühl, so kühl wie ihre Schultern unter dem Schleier der crêmefarbenen Spitze. Er hoffte sie bei einem kleinen Spiel mit Bosinney zu ertappen; aber keine Spur davon, sie hielt die Grenze ausgezeichnet inne. Und dieser Baumeister, der Mensch war schwerfällig wie ein verwundeter Bär – Winifred konnte kaum ein Wort aus ihm herausbringen. Er aß nichts, trank aber seinen Likör; sein Gesicht ward immer weißer und die Augen blickten seltsam.
Es war alles sehr unterhaltend.
Dartie selbst war in ausgezeichneter Stimmung und sprach frei mit einer gewissen Anzüglichkeit, denn er war nicht dumm. Er erzählte zwei oder drei ans Unpassende streifende Geschichten, ein Zugeständnis an die Gesellschaft, denn seine Geschichten pflegten sonst solche Dinge nicht nur zu streifen. Er brachte in einer neckischen Rede Irenens Gesundheit aus, aber keiner stieß mit ihm an, und Winifred sagte: »Sei kein solcher Clown, Monty!«
Auf ihren Vorschlag gingen sie nach Tisch auf die öffentliche Terrasse hinaus, von der aus der Fluß zu übersehen war. »Ich möchte gern die Liebespärchen draußen sehen,« sagte sie, »das macht solchen Spaß!«
Eine Menge solcher gingen nach der Hitze des Tages in der Kühle spazieren, und die Luft war erfüllt von Tönen heiserer, lauter oder so leiser Stimmen, als flüsterten sie Geheimnisse.
Es währte nicht lange, so hatte Winifred – sie war die einzige Forsyte unter ihnen – umsichtig eine Bank für sie gesichert. Sie setzten sich in einer Reihe nieder. Ein großer Baum breitete einen mächtigen Baldachin über ihre Köpfe, und langsam verdichtete sich der Nebel über dem Fluß.
Dartie saß am Ende neben Irene, dann Bosinney, und als letzte Winifred. Es war kaum Platz für vier, und der Mann von Welt konnte Irenens Arm fühlen, der sich an den seinen drückte. Er wußte, daß sie ihn nicht zurückziehen konnte ohne ungezogen zu scheinen, und das machte ihm Spaß; er ersann alle Augenblick eine Bewegung, die sie ihm noch näher brachte und dachte: »Dieser Narr von einem Bukanier soll sie nicht ganz für sich allein haben! Eine schwierige Lage, allerdings!«
Weither von dem dunkeln Fluß herauf kam der Klang einer Mandoline und von Stimmen, die die alte Weise sangen:
»A boat, a boat, unto the ferry
For we'll go over and be merry
And laugh, and quaff, and drink brown sherry!«
Und plötzlich erschien der Mond, kam jung und zart, langsam hinter einem Baum hervor. Und als ginge von ihm ein Atem aus, ward die Luft kühler, aber immer noch drang die Wärme der Linden durch diese Kühle.
Über seine Zigarre hinweg schielte Dartie nach Bosinney hin, der mit gekreuzten Armen dasaß und gerade vor sich hin starrte; sein Gesicht hatte den Ausdruck eines Gefolterten.
Dann warf Dartie schnell einen Blick auf das Gesicht zwischen ihnen. Es war von dem sich herabsenkenden Schatten so verhüllt, daß es sanft, geheimnisvoll, lockend wie ein dunkleres Stück der Dunkelheit erschien, die Gestalt und Leben angenommen hatte.
Ein Schweigen herrschte jetzt auf der geräuschvollen Terrasse, als hielten alle, die dort wandelten, ihre Geheimnisse für zu kostbar um sie auszusprechen.
Dartie dachte: »Oh! die Frauen!«
Die Abendglut erlosch über dem Fluß, der Gesang verstummte; der junge Mond verbarg sich hinter einem Baum, und alles ward dunkel. Er preßte sich an Irene.
Ihn erschreckte der Schauder nicht, der ihre Glieder überlief, als er sie berührte, auch der verstörte, zornige Blick ihrer Augen nicht. Er fühlte ihren Versuch sich ihm zu entziehen und lächelte.
Allerdings hatte der Mann von Welt mehr getrunken als ihm gut war.
Mit den dicken, halbgeöffneten Lippen unter seinem wohlgepflegten Schnurrbart und den frechen Augen, die von der Seite auf sie blickten, hatte er den tückischen Ausdruck eines Satyrs.
Auf der Himmelsbahn zwischen den Gruppen der Baumwipfel drängte sich Stern an Stern; wie Sterbliche hienieden, schienen sie zu schwärmen, sich zu bewegen und zu wispern. Dann brach der Lärm auf der Terrasse aufs neue los, und Dartie dachte: »Ah, was für ein armer hungriger Narr ist dieser Bosinney!« und preßte sich wieder an Irene.
Die Bewegung hätte besseren Erfolg verdient. Sie stand auf, und alle folgten ihrem Beispiel.
Der Mann von Welt war fester denn je entschlossen zu sehen, aus was für Stoff sie gemacht war. Die Terrasse entlang hielt er sich dicht an ihrer Seite. Er war des guten Weines voll. Nun kam die lange Heimfahrt, die lange Fahrt, das warme Dunkel und die angenehme Engigkeit des Wagens mit der Abgeschlossenheit von aller Welt. Der hungrige Laffe von Architekt konnte mit seiner Frau fahren – er wünschte ihm viel Vergnügen mit ihr! Und sich wohl bewußt, daß seine Stimme nicht ganz sicher klang, war er so vorsichtig nicht zu sprechen; aber ein Lächeln hatte sich auf seinen dicken Lippen festgesetzt.
Sie wanderten nach der andern Seite zu, wo ihre Droschken sie erwarteten. Sein Plan hatte den Vorzug aller großen Pläne, eine fast brutale Einfachheit – er wollte nur an ihrer Seite bleiben bis sie einstieg und schnell hinter ihr einsteigen.
Aber als Irene an ihre Droschke kam, stieg sie nicht ein, sondern schlüpfte statt dessen nach vorn zu dem Pferde. Dartie war im Augenblick nicht genügend Herr seiner Beine um ihr folgen zu können. Sie streichelte die Nase des Pferdes, und zu seinem Ärger war Bosinney zuerst neben ihr. Sie drehte sich um und sprach mit leiser Stimme schnell zu ihm; die Worte ›der Mann dort‹ fing Dartie auf. Er blieb hartnäckig am Wagentritt stehen und wartete auf sie. Er kannte einen Kniff, der seiner zwei wert war!
Hier im Lampenlicht mit seiner wohlgestalteten (nicht mehr als mittelgroßen) Figur, in der weißen Weste, den hellen Überzieher über den Arm geworfen, eine rote Blume im Knopfloch und diesem Ausdruck von keckem, gutmütigem Übermut in dem dunklen Gesicht, kam er am besten zur Geltung – war er durch und durch der Mann von Welt.
Winifred war bereits in ihrer Droschke. Dartie überlegte, daß Bosinney ein armseliges Vergnügen darin haben werde, wenn er nicht aufpaßte! Plötzlich erhielt er einen Stoß, der ihn beinah zu Boden warf. Bosinneys Stimme zischte ihm ins Ohr: »Ich fahre mit Irene zurück, verstehen Sie?« Er sah ein Gesicht, weiß vor Leidenschaft, und Augen, die ihn anfunkelten, wie die einer wilden Katze.
»He?« stammelte er. »Wie? Keine Spur! Sie fahren mit meiner Frau!«
»Fort!« zischte Bosinney – »oder ich werfe Sie auf die Straße!«
Dartie trat zurück; er sah deutlich, daß der Mensch es ernst meinte. Als Irene an der Stelle, die er frei gemacht, vorüberschlüpfte, streifte ihr Kleid seine Beine. Bosinney stieg hinter ihr ein.
»Fahren Sie!« hörte er Bosinney rufen. Der Kutscher trieb das Pferd an, und es griff aus.
Dartie stand einen Augenblick betäubt, dann stürzte er zu der Droschke, in der seine Frau saß, und kletterte hinein.
»Fahren Sie zu!« schrie er dem Kutscher zu, »und verlieren Sie ja nicht den Burschen da vor uns aus den Augen!«
Als er neben seiner Frau saß, brach er in Verwünschungen aus. Schließlich beruhigte er sich mit äußerster Anstrengung und sagte: »Eine schöne Geschichte, daß du den Bukanier mit ihr nach Haus fahren läßt; warum in aller Welt konntest du ihn nicht festhalten? Er ist toll vor Liebe; jeder Narr kann das sehen!«
Er übertäubte Winifreds Erwiderungen mit neuen Anrufen des Allmächtigen und hörte auf dem ganzen Wege nicht auf mit seinen Jeremiaden, in denen er sie, ihren Vater, ihren Bruder, Irene, Bosinney, den Namen Forsyte, seine eigenen Kinder schmähte und den Tag verwünschte, an dem er geheiratet hatte.
Als Frau von starkem Charakter ließ Winifred ihn gewähren, worauf er endlich in verdrossenes Schweigen versank. Er wandte den zornigen Blick nicht