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hatte. Das Blut aus der Schusswunde in der Brust würde man aus dem Gehrock nicht mehr entfernen können. Ich sah zu, wie Mister Atkins, meinen – nun ehemaligen – Gast mit einem Helfer zusammen auf die Trage hob. Ich trat zu ihm hin und schloss mit zittrigen Fingern sein Jackett. Selbst die mit dem Union Jack versehenen silbernen Knöpfe waren blank poliert.

      »Hatte er sonst noch etwas bei sich, Miss?«, fragte Atkins, als spräche er zu einer trauernden Witwe. »Nein«, antwortete ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Erst, als die Tür hinter den beiden Totengräbern und ihrer schweren Last zufiel, erinnerte ich mich wieder an den braunen Lederkoffer, den Mister Colten zu Beginn unseres Treffens neben der Chaiselongue abgestellt hatte. Wie eine Katze schlich ich um ihn herum, ehe ich mir ein Herz fasste und ihn auf den Schreibtisch hob.

      Es klopfte und ehe ich den Zutritt verweigern konnte, war die Türe schon geöffnet und Anne, eines meiner Mädchen, stand im Zimmer. Ich ersparte ihr die Ansprache zum Thema ›Was wäre, wenn ich gerade einen Kunden gehabt hätte‹ und sah sie stattdessen nur stumm an. Der Tod von Mister Colten saß mir noch immer in den Knochen. Sie stellte ein Tablett mit einem Glas und einer Flasche Whiskey vor mir auf den Tisch. Ich betrachtete die zarten Finger, die mir kurz darauf fürsorglich über die Wange strichen: »Soll ich jemanden für Sie rufen, Miss?«

      »Ein guter Gedanke! Anne, such doch bitte Mister Morrison und frag ihn, ob er Zeit für mich erübrigen kann.« Ich sah ihre Verwunderung in den großen blauen Augen, sagte aber nichts weiter dazu. »Sicher. Sonst noch etwas, Miss?«

      »Nein.« Sie lächelte aufmunternd und mir entging, dass sie den Raum verließ, da ich den Koffer anstarrte. Ich trank entschlossen einen Schluck Whiskey, und als er meine Kehle hinab brannte, öffnete ich das Gepäckstück.

      Eine Stunde später saß George-Harker Morrison mir am Schreibtisch gegenüber. Er war bei weitem kein Gentleman wie Mister Colten, doch ich musste ihm zugutehalten, dass er im Gegensatz zu meinem treuen Kunden nicht in diesem Zimmer erschossen worden war. Ich wusste, dass Morrison seinen Revolver, der lässig im Holster steckte, gut beherrschte und auch nicht zögerte, davon Gebrauch zu machen, wo andere es vielleicht noch mit Worten versuchten. Er roch nach Tabak und Lagerfeuer, Whiskey und Pferd. Der Stetson ragte ihm tief in das bartstoppelige Gesicht; die Grundform eines Moustaches ließ sich gerade noch erahnen.

      Ich holte die silberne, etwa vierzig Zentimeter hohe goldene Statue aus dem Koffer heraus. Sie bestand aus zwei Tieren. Ein stolzer Kranich, der mit langen Beinen auf dem Rücken einer Schildkröte stand, welche jedoch den Kopf und die Beine eines Drachen hatte. Ich gab sie Morrison, der sie vorsichtig in den Händen hin- und her drehte. »Ein Räuchergefäß«, fasste er seine Gedanken zusammen und strich mit den Finger über die metallenen Federn des Vogels. Er klappte den Flügel des Kranichs beiseite und zeigte mir eine kleine Kammer, in der das Rauchwerk gelegt werden konnte. Ich vermutete, dass der Rauch aus dem Schnabel herausqualmen würde. Mich erwartungsvoll anblickend, stellte er die Statue wieder auf den Tisch und rückte seine Weste zurecht. Ich erzählte ihm, was sich in meinem Zimmer zugetragen hatte:

       Es war gegen halb vier, ich half gerade Mary, das Parfüm für den Abend auszusuchen, als es unten im Saloon laut wurde. Zunächst wartete ich ab, ob es sich nur um eine der üblichen Streitereien der Männer handelte, oder um eine Angelegenheit von größerem Ernst. Als dann das erste Glas splitterte, ging ich entschlossen die Treppe herunter. Ein Cowboy drückte den armen Mister Colten dergestalt auf den Tresen, dass lediglich seine Fußspitzen noch den Boden berührten. Der Barmann, Mister Irwing, räumte Flaschen aus dem Weg, anstatt einzugreifen. Ich beschloss, darüber später mit ihm zu reden. Die anderen Gäste beobachteten das Geschehen mit gesteigertem Interesse, niemand jedoch rührte sich. »Aber meine Herren«, ergriff ich das Wort und trat weiter auf sie zu: »Ist das denn wirklich notwendig?« Einige der Gäste lüfteten ihre Hüte, als ich an ihnen vorüberging.

       Mister Slater – jetzt, wo er sich zu mir umdrehte, erkannte ich ihn – stellte sein Opfer auf die Füße und hob ebenfalls seinen Hut: »Entschuldigung, Miss.« Er rüttelte etwas an Mister Coltens Weste, um sie wieder notdürftig in Form zu bringen. »Mit uns sind die Pferde durchgegangen.« Ich sah Coltens bleiches Gesicht und war mir sicher, dass mehr hinter der Angelegenheit steckte. »Nachdem das geklärt ist …« Ich beendete den Satz nicht, sondern rechnete anhand der Scherben meinen Verlust zusammen. Die letzten Monate lief es nicht allzu gut und jede Schlägerei riss ein weiteres Loch in meine sowieso schon leere Geldkassette. Mehr als zwei Gläser und verschütteten billigen Whiskey hatte es jedoch nicht gekostet. Also lächelte ich und hakte mich bei Slater unter. Er roch unangenehm schwitzig. »Aber abgesehen von dieser Lappalie eben: Es freut mich, Sie nach so langer Abwesenheit wieder hier zu haben! Wie war die Reise? Sie waren schon etwas weiter fort, oder?« Mit einem Augenaufschlag dirigierte ich Mister Colten nach oben in mein Zimmer, während ich mir und Slater ein Glas Port einschenkte.

       Der Westmann trank das Glas in einem Zug leer. »Netter Versuch, mich abzulenken, Miss«, grinste er breit und legte seinen Arm um meine Taille. Er drückte mich an sich; nicht so, dass es unangenehm war, aber doch so, dass ich die unausgesprochene Warnung verstand. »Ich werde hier unten auf ihn warten, keine Sorge.« Damit entließ er mich, gab mir – zu meiner Empörung – einen Klaps auf den Po und bestellte sich noch ein weiteres Glas Port.

       Kaum war ich zurück im Zimmer – mein Gast saß kerzengerade auf der Chaiselongue, die Melone in den Händen – platzte es aus mir heraus: »Mein lieber Mister Colten, was haben Sie denn mit diesem Verbrecher zu schaffen?«

       »Ach, Miss …«, seufzte er, knetete seinen Hut und sah betrübt zu mir auf. »Ich befinde mich in einer prekären Lage, aber das ist Ihnen sicherlich nicht entgangen.« Erst jetzt fiel mir auf, dass er einen Koffer neben sich stehen hatte; so nah, als wollte er ihn beschützen. Ich setzte mich ihm gegenüber und schlug ein Bein über das andere. Mir war nicht daran gelegen, ihn zu verführen. Mister Colten war noch nie zu mir gekommen, um mit mir zu schlafen. Stattdessen redeten wir viel. Wir diskutierten das Zeitgeschehen, Neuigkeiten aus der alten Welt, Nachrichten aus der neuen. Er wusste stets, wie der aktuelle Goldpreis stand, wo vor Kurzem lukrative Minen eröffnet wurden, oder wo es ein Unglück gegeben hatte. Wir sprachen nie über seine Arbeit – umso mehr erstaunte es mich, dass er diesmal sogleich damit anfing. »Mein Arbeitgeber Hendrix & Garns schickte mich kürzlich zu einer Mine nahe Oath Hallow. Dort angekommen, berichteten mir die Arbeiter über seltsame Ereignisse und Spukgeschichten, die ich es selbst nicht glauben konnte. Ich beschloss, diesen Spuk und seinen Wahrheitsgehalt gründlich zu prüfen, denn bisher hat sich wohl noch jede Spukgeschichte als wissenschaftlich erklärbar erwiesen, wenn man sie nur gründlich erforschte.« Er tippte zur Bestätigung mit seinem Zeigefinger auf die Holzplatte des Tisches und sank dann nach hinten zusammen, um sich erschöpft anlehnen zu können. »Der Vorsteher der Mine, entschuldigt die Wortwahl, Miss, ein schmieriger Typ versuchte mich von meinem Vorhaben abzuhalten. Doch ich wischte die Warnungen beiseite. Ach, Miss …« Er lehnte sich wieder nach vorne und sah mich kummervoll an. »Hätte ich nur auf ihn gehört und mich nicht aufgespielt, um den Männern zu zeigen, was durch einfaches logisches Denken herauszufinden sei.«

      Ich beendete meine Erzählung und schenkte mir selbst noch Whiskey nach. Dann sah ich Morrison an: »Er kam nicht dazu, mir zu erklären, was er herausfand, oder wie diese Geschichte endete.« Ich nickte in Richtung des notdürftig geflickten Fensters und dann zu dem Blutfleck auf dem Boden. Verzweiflung überkam mich. Der Gesichtsausdruck von Colten, Augenblicke vor seinem Tod. Als täte es ihm Leid, mich in diese Angelegenheit hineinzuziehen. Außerdem ging mir durch den Kopf, dass ich nicht wusste, wann ich genug Gewinn erwirtschaftet haben würde, um das Fenster ersetzen zu lassen – geschweige denn wie ich den Ruf wieder loswerden sollte, mein Geschäft sei nicht sicher. Ich erstickte die Tränen mit einem weiteren Schluck und fuhr fort: »Ich weiß, dass Slater während des Mordes unten im Saloon saß und auch mit niemandem gesprochen hatte, der in seinem Auftrag …« Ich brach ab und kippte den Rest des Getränks meine Kehle herunter. »Alles, was ich habe, ist der Inhalt des Koffers. Der mir mehr Rätsel aufgibt, als er löst. Und das unbestimmte Gefühl, dass die Jameston-Brüder darin verwickelt sind.« Diese Haderlumpen hatten bei den allermeisten krummen Geschäften der Town ihre Finger im Spiel – in dem anderen Teil war es Morrison. »Ich

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