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ebenso bekannt, sind die »Acht Brokate«. (chin. bāduànjǐn 八段錦) des Generals Yuè Fēi (岳飛, 1103 - 1142). Diese und ähnliche Übungen, wie yǐntǐ (引體), das »Dehnen nach dem Vorbild von Tieren«, sind in erster Linie zur Erhaltung der Vitalität gedacht. In vielen Kampfkünsten gibt es vereinfachte Formen komplexerer Gōng-Programme.

      Die Gōng-Übungen gehören zu den Wurzeln der chinesischen Kampfkunst. Ihre Grundlage ist die chinesische Medizin und die Lehre von der Gesunderhaltung des Körpers. Auch die Kampfkunst dient letztendlich der Gesunderhaltung des Körpers im Kampf, da ihr vorrangiges Ziel der Selbstschutz in Kämpfen auf Leben und Tod ist.

      Es ist ohne die Kenntnis einiger Zeichen wegen der verschiedenen Transkriptionen des Chinesischen manchmal schwierig, sich über die genaue Bedeutung des einen oder anderen Begriffs klar zu werden. Wenn man die von China vorgegebene Pīnyīn-Umschrift verwendet, lassen sich einige Fehler jedoch vermeiden. Das früher verbreitete Wade-Giles-System war in einigen – jedoch nicht in allen – Bereichen eher mangelhaft. Auf den Begriff qìgōng bezogen bedeutet das Folgendes: Nach der Wade-Giles-Umschrift liest sich Yàn Chí Gōng als yanchikung und qìgōng als chikung. Für Uneingeweihte, die sich nach der alten Transkription richten, sieht das so aus, als wäre das yan-chikung nur eine besondere Form des chikung (oder ch’i-kung), da sich die Schreibweisen nicht voneinander unterscheiden. Erst bei der Pīnyīn-Umschrift wird deutlich, dass es sich um zwei verschiedene Begriffe handeln muss, denn hier schreibt man (yàn)chígōng und qìgōng mit unterschiedlichen Buchstaben und verschiedenen Betonungszeichen. Verwendet man diese Zeichen, verschwinden die letzten Zweifel. Hier sieht man den Unterschied zwischen dem chí (弛), was entspannen bedeutet, und dem (氣), was Energie bedeutet, sofort. Das (氣), die Lebensenergie, ist etwas Selbstverständliches und bei allen Menschen vorhanden. Deswegen muss es aus Sicht der Chinesen nicht eigens erwähnt werden.

      Freilich lässt sich an der Tatsache, dass sich im Westen der Oberbegriff qìgōng sowohl für echte Gōng-Übungen als auch für die modernen Übungen, die heute auch in China als qìgōng bezeichnet werden, eingebürgert hat, kaum noch etwas ändern. Nach westlichem Verständnis ist dann natürlich der Yàn-Chí-Gōng-Komplex ebenfalls ein Qìgōng-Übungssystem und, wie in dieser Arbeit gezeigt wird, eines der ursprünglichsten und effektivsten überhaupt. Er umfasst etliche Techniken, auf welchen letztendlich die heutigen Qìgōng-Übungen aufbauen, sofern diese nicht frei erfunden sind.

      Ein gōng ist ein systematisch aufgebautes System. Es ist im Prinzip wie eine mathematische Gleichung – führt man die Lösungsschritte korrekt aus, so gelangt man zum richtigen Ergebnis. Bei seriösen Übungen heißt das, durch die richtigen Bewegungen wird beziehungsweise bleibt der Körper flexibel und kräftig – und nachhaltig gesund.

      Die heutigen Arten des qìgōng tragen zu dem Missverständnis bei, dass die alten gōng gewissermaßen zum Zeitvertreib betrieben werden könnten. Qìgōng ist etwas für Studenten und Senioren geworden, die es als leichte Morgengymnastik in Parks betreiben. Der Begriff selbst ist in diesem Zusammenhang modern. Die Bezeichnung qìgōng für chinesische Übungen stammt aus den 1950er Jahren. Es heißt, der Arzt Liú Guìzhēn (劉貴 珍) verwendete den Begriff als erster für diese Gesundheitsübungen.8 Die damaligen Meister wurden nicht zu Rate gezogen. Die unterschiedlichen Stilarten des qìgōng sind zum Teil ganz neue Entwicklungen. Sie wurden in den meisten Fällen auch nicht von Könnern kreiert, sondern von pragmatischen Geschäftsleuten, die zwar nicht über herausragendes fachliches Können verfügten, dafür jedoch über einen ausgeprägten Geschäftssinn. Manche der neuen Übungen basieren jedoch wenigstens teilweise auf den jahrtausendealten Traditionen. Die weitaus meisten haben allerdings kaum noch einen Bezug zu traditionellen Vorbildern.

      Als mein Lehrer in seiner Jugend Gōng-Übungen erlernte, vermieden die wirklichen Meister in diesem Zusammenhang den Begriff qìgōng. Das rührte daher, dass sie hierbei keinen Zusammenhang mit der effektiven Körperschule sahen, die sie selbst trainierten und lehrten. Diese neuen gōng sind keine Weiterentwicklungen, sondern Rück- beziehungsweise Fehlentwicklungen. Qìgōng war in den Augen dieser Meister eine überflüssige Kreation. Das kann man mit dem japanischen Shōtōkan-Karate vergleichen. Shōtōkan-Karate ist nicht einmal hundert Jahre alt. Die verschiedenen okinawanischen Stile sind jedoch viel älter und haben ihre Ursprünge zu einem guten Teil in China. Meister Mabuni Kenei (摩文仁 賢 榮, geb. 1918) erzählte, wie einst Karate-Schüler des shōtōkan aus Japan nach Okinawa gekommen sind und dort vor okinawanischen Meistern ihr Können demonstrierten. Die okinawanischen Meister sagten daraufhin: »Das ist kein Karate.«9 Kommt man nach China und zeigt wirklichen Meistern das, was im Westen als qìgōng bezeichnet wird, bekommt man vermutlich eine vergleichbare Antwort.

      Ein Grund, weshalb sich moderne Qìgōng-Übungen so großer Beliebtheit erfreuen, ist ihre relative Einfachheit. Jeder kann sie lernen und praktizieren, ohne sich hierfür allzu große Mühe geben zu müssen. Doch Dinge, die ohne Anstrengung erworben werden, sind selten viel wert … Yàn Chí Gōng (硯弛功) und auch andere traditionelle Übungen, die nicht primär als Kampftechnik verwendet werden, so zum Beispiel die Folge der 18 Luóhàn beziehungsweise Arhat (chin. shíbāluóhàngōng 十八羅漢 功), sind hingegen in ihrer Gesamtheit nicht durch jedermann zu meistern. Das bedeutet jedoch nicht, dass man keinen Nutzen davon hätte, sie in Teilen zu beherrschen. Generell gilt für solche anspruchsvollen und komplexen Übungen, dass man um so bessere Chancen hat, einen solchen Zyklus vollständig verstehen und beherrschen zu lernen, wenn man damit in jungen Jahren beginnt. Ein vollständiges Verständnis bedeutet auch, die enthaltenen Übungen fehlerfrei ausführen zu können. Die alten Gōng-Übungen beinhalten viele anspruchsvolle Prinzipien, auf die man beim Üben achten muss, um einen optimalen Trainingseffekt zu erreichen.

      Die Wurzeln des alten gōng sind die chinesische Medizin und die Kampfkunst. Mit Bezug auf die Medizin geht es nicht primär um Heilung, nachdem eine Krankheit ausgebrochen ist, sondern vorrangig darum, den Körper und seine innere Struktur so zu trainieren, dass Krankheiten gar nicht erst entstehen können. Mit Bezug auf die Kampfkunst dienten diese Übungen als Stärkungsmittel für einen Kampf auf Leben und Tod. Das umfasst die allgemeine Stärkung des Körpers sowie den Aufbau von Elastizität und Flexibilität, um die Körperwaffen mit Schnelligkeit und Kraft in einem Kampf auf Leben und Tod bestmöglich einsetzen zu können.

      Die chinesische Medizin beziehungsweise Kampfkunst10 ist so weitläufig wie der Ozean. Die dahinterliegenden Konzepte können durch die rationalen Begriffe unserer westlichen Sprache kaum umfassend beschrieben werden. Entsprechend vielfältig ist die entsprechende Begriffswelt. Hinzu kommt, dass es keine vollständige Erklärung und keine festgelegte Definition für die technischen Begriffe gibt. Die Bezeichnungen verweisen meist nicht auf eindeutig definierte Abläufe, sondern sie beschreiben inhaltliche Prinzipien der Übung, auf die zu achten ist, um nützliche Ergebnisse durch die Bewegungen zu erhalten. Beispiele für solche Begriffe sind tǔnà (吐納), xíngqì (行氣), fúqì (服氣), xiūdào (修道) oder zuòchán (坐禪). Tǔnà bezieht sich auf das freie Fließen des Atems. Xíngqì bedeutet »das Bewegen des «. Xiūdào ist der »Weg des Mönches« – hier geht es um Meditationsübungen und Haltungen, durch die man Körper und Geist in Einklang bringt. Zuòchán ist eine Meditations- und Körpertrainingsübung im Sitzen (jpn. zazen).

      Besonders weit verbreitet waren früher Begriffe, die das Wort dān beinhalteten, wie zum Beispiel jīndān

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