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hat. Jesus betete, »dass alle eins seien« (Joh 17, 21). Dieses Gebet ist Jesu Testament und damit für uns etwas Heiliges und Verpflichtendes. Es steht nicht isoliert da; es fasst Jesu ganze Botschaft zusammen. Jesus wollte die Verheißung der Propheten erfüllen und sein Volk sammeln. Darum war ihm alles an der Einheit seiner Jünger gelegen. Sie sollten Zeichen, Werkzeug und Vorhut der einen versöhnten neuen Menschheit sein. Das Gebet »dass alle eins seien« steht somit im Kontext der Vater-unser-Bitte »Dein Reich komme!« Es sagt uns, dass die Trennungen unter den Christen Gottes Willen und dem Kommen seines Reiches widersprechen. Sie sind Ausdruck von Sünde. Es sagt aber ebenso: Wir dürfen, wenn es um die Einheit der Kirche geht, uns nicht bei allen möglichen kleinlichen Fragen aufhalten; wir müssen dieses große Anliegen in den noch größeren Horizont der Reich-Gottes-Botschaft Jesu stellen.

      Aus dem Gebet Jesu folgt ein Zweites: Jesus spricht von der Einheit »wie du, Vater […] und ich in dir« eins sind. Einheit im Sinn des Gebets Jesu meint damit nicht eine Einerleiheit, in der alles ineinander verschwimmt. Es geht um eine Einheit in der Liebe, in der Verschiedenheit möglich, ja konstitutiv ist. Es ist darum unangemessen, die Einheit als Ausweitung eines zentralistisch regierten Imperiums zu verstehen, wie es für manche noch immer das Schreckgespenst einer Papstkirche ist. Das II. Vatikanische Konzil erinnert ausdrücklich an das Apostelkonzil und sagt, man solle keine Lasten auferlegen über das Notwendige hinaus (vgl. Apg 15, 28 f.). So darf es nach dem Konzil innerhalb der Einheit eine Vielfalt von Frömmigkeitsstilen, liturgischen Formen, Theologien, kirchlichen Rechtssystemen u. a. geben. In der Sprache des Apostels Paulus ausgedrückt: Es geht um die Einheit des Leibes Christi, mit vielen und unterschiedlichen Gliedern (vgl. Röm 12, 4 – 8; 1. Kor 12, 4 – 28).

      Drittens: Die Einheit, die Vielfalt nicht aus-, sondern einschließt, ist kein Selbstzweck. Jesus fügt seinem Gebet um die Einheit hinzu, »damit die Welt glaube«. Die Spaltung der Christenheit macht die Glaubensverkündigung der Kirche unglaubwürdig. Denn wie will die Kirche Einheit und Versöhnung predigen, wenn sie in sich gespalten und zerstritten ist? An diesen Gesichtspunkt werden wir in diesem Jahr besonders erinnert, da wir den 100. Jahrestag der Weltmissionskonferenz von Edinburgh als die Geburtsstunde der modernen ökumenischen Bewegung begehen. Denn die damals versammelten Missionare fragten, wo die Hemmnisse für die Ausbreitung des Evangeliums liegen. Sie kamen zu der übereinstimmenden Überzeugung: Das größte Hindernis ist die Spaltung der Christenheit. So waren in der ökumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts Mission und Ökumene von Anfang an gleichsam Zwillinge, und sie müssen es heute in einer sich immer mehr globalisierenden Welt umso mehr sein. Wie kleinkariert und im Grunde beschämend nehmen sich da manche Diskussionen unter uns aus! Ökumene bedeutet Christsein im Weltmaßstab.

      Schließlich müssen wir zum Wichtigsten in dem Gebet Jesu kommen. Es ist kein Befehl und keine Aufforderung zu irgendwelchen Aktionen. Es ein Gebet, das sich an den Vater richtet. So wenig wie wir das Reich Gottes »machen«, bauen oder organisieren können, können wir die Einheit der Kirche »machen«. Die Spaltung ist eine Folge der Sünde. Sie steckt tief in uns. So hat der Versuch zu einer gewaltsamen Aufrichtung des Reiches Gottes in der Geschichte noch immer zu dessen Gegenteil, zur Hölle auf Erden geführt. Allein Gott und sein Heiliger Geist können in das Herz des Menschen eindringen, es reinigen und verwandeln. Allein Gottes Heiliger Geist kann die Einheit heraufführen. Darum ist das Gebet »Komm, Heiliger Geist« das Herz der Ökumene. Das mag manchen weltfremd erscheinen. Das ist es in der Tat. Doch Jesus sagt uns, dass was immer wir in seinem Namen erbitten, uns zuteil werden wird. Und um was könnten wir mehr in seinem Namen beten als um die Einheit?

       III.

      Schauen wir von dieser gemeinsamen Grundlage aus auf die wichtigsten Antworten zum Ziel der Ökumene. Die traditionelle katholische Antwort wird oft als Rückkehr-Ökumene missverstanden, die davon ausgehe, dass alle anderen Christen in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehren sollten. Dabei wird unterstellt, dass die anderen nichts in die Einheit einzubringen hätten. Polemisch wird eingewendet, es gehe uns nur darum, das Imperium der katholischen Kirche auszuweiten. Das II. Vatikanische Konzil hat dieses Modell aufgegeben. Das Konzil war zwar der Überzeugung, dass die katholische Kirche die wahre Kirche Jesu Christi sei. Es anerkannte aber auch Elemente der wahren Kirche Jesu Christi außerhalb ihrer Grenzen. Es ging davon aus, dass uns mit den anderen viel mehr verbindet als uns trennt, ja dass einzelne Aspekte bei den anderen Kirchen sogar besser entfaltet sind, als es in der eigenen Kirche der Fall ist. Papst JOHANNES PAUL II. hat den ökumenischen Dialog deshalb als »Austausch von Gaben« definiert. Das heißt, er hat den ökumenischen Dialog als ein gegenseitiges Geben und Nehmen verstanden. Ökumene will damit nicht zu einem alten Zustand zurück, sie will sich auch nicht auf dem niedrigsten gemeinsamen Nenner treffen; sie will nach vorn. Sie ist ein Wachstums- und ein gegenseitiger Bereicherungsprozess, der von der noch unvollständigen Einheit zur vollen Einheit im einen Glauben und in den gemeinsamen Sakramenten, besonders zur einen Eucharistie führen soll.

      Das entgegengesetzte Extrem zur Rückkehrökumene empfiehlt, die Kirchen sollten sich endlich gegenseitig anerkennen. Dabei wird unterstellt, die alten Unterschiede seien heute überholt; sie seien theologisch gelöst oder sie interessierten und überzeugten nicht mehr. Diese Lösung klammert die Wahrheitsfrage aus. Sie wird darum in dieser Form von keinem Theologen von Rang und Namen vertreten. Es ist ja offensichtlich, dass es trotz aller erfreulichen Annäherungen leider noch immer deutliche Unterschiede zwischen der katholischen und der evangelischen Position gibt. Sie betreffen die Frage der Kirche und ihrer Ämter, besonders das Petrusamt, aber auch die Eucharistie, die Marienfrömmigkeit und anderes.

      So wird heute von vielen evangelischen Vertretern der Vorschlag einer »gegenseitigen Anerkennung« bei bleibenden Differenzen gemacht. Man spricht von einer »Einheit in und trotz der Verschiedenheit«, von einer »versöhnten Verschiedenheit« und Ähnlichem. Als Modell gilt die Art und Weise, wie lutherische und reformierte Kirchen nach langer Zeit, in der auch sie sich gegenseitig das Abendmahl verweigerten, heute Abendmahls- und Kanzelgemeinschaft aufgenommen haben – und doch unterschiedliche Kirchen mit teilweise unterschiedlichem Bekenntnis geblieben sind.

      Die katholische Kirche wie auch die orthodoxen Kirchen sehen für eine solche gegenseitige Anerkennung die Grundlage nicht gegeben. Auch sie wollen eine Einheit, die Verschiedenheit einschließt. Aber sie unterscheiden zwischen der Verschiedenheit einander widersprechender Wahrheiten und einer Verschiedenheit von einander ergänzenden Wahrheiten. Das Letztere ist möglich, denn die Einheit im einen Glauben ist kein logisches oder dialektisches System. Der Inhalt des Glaubens ist vielmehr ein Mysterium, zu dem es verschiedene Zugänge geben kann, die sich nicht widersprechen, sondern sich bereichern und gegenseitig anerkennen können. Abstrakt ausgedrückt: Keine kontradiktorische, wohl aber eine komplementäre Vielfalt ist möglich und erstrebenswert. Dahin zu kommen muss das Ziel sein.

      Leider sind wir noch nicht so weit. Deshalb streben wir im Augenblick eher pragmatische Zwischenlösungen an. Sie weisen – nicht zu Unrecht – darauf hin, dass die Landkarte der gegenwärtigen Christenheit nicht allein durch die alten konfessionellen Grenzlinien bestimmt wird, sondern durch einen hohen Pluralismus innerhalb der einzelnen Kirchen, in dem die Bruchlinien oft konfessionsübergreifend verlaufen. So gibt es in allen Kirchen Gruppen und Kreise, die eher mit ähnlich denkenden Christen in anderen Kirchen zusammenarbeiten können als mit manchen Gliedern in den eigenen Reihen. So sind schon jetzt Zweckbündnisse möglich. Die europäische »Charta oecumenica« und der bevorstehende Ökumenische Kirchentag liegen grundsätzlich in dieser Spur. Der Kirchentag fragt: Was können und sollen Christen schon heute angesichts der enormen Probleme und Herausforderungen in der Welt gemeinsam sagen und tun? Solches gemeinsame Zeugnis und solche Zusammenarbeit sind realistische Zwischenschritte, die in die rechte Richtung weisen und neu Hoffnung machen können.

       IV.

      Noch drei andere ermutigende Zwischenschritte möchte ich erwähnen. Sie können zeigen, dass es in der Ökumene gar nicht so trist aussieht, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Einer der großen Ökumeniker des letzten Jahrhunderts, Abbé PAUL COUTURIER von Lyon, hat die Ökumene mit einem »unsichtbaren Kloster« verglichen. In einem Kloster beten die Mönche oder Nonnen in sichtbarer Weise gemeinsam; im unsichtbaren Kloster beten Christen in den verschiedensten Ländern

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