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      Abermals entwirft er eine vielschichtige Textur, die Schnittstellen eröffnet zum Mythos des »Black Atlantic«, zum Underground-Techno, zum »white negro«, zur virulenten Verknüpfung von Antisemitismus und Antifeminismus bis hin zur Ambivalenz von Gedenken und Vergessen am Beispiel des Besuchs von Kohl und Reagan auf dem Bitburger Soldatenfriedhof. Die mündlich geprägte Form der Sprache in »Tomboy« hat hier einem komplexen schriftlichen Ausdruck Platz gemacht, mit dem die Erzählerfiguren miteinander kommunizieren. Dadurch wird alles Diskurs, unendlich verzweigt in einem virtuos unstrukturierten System von Theoremen, Konstrukten, Konzepten, Phänomenen und Gerüchten. »Hellblau« präsentiert sich als eine sich nach allen Seiten verzweigende rhizomatische (Hyper-)Textur, in deren Fülle an Referenzen unweigerlich die Gefahr des Verzettelns steckt. Doch wo die Inhalte auseinanderdriften, hält sie Meinecke mit seinem »Sound« formal zusammen, der in »Hellblau« auch thematisch einen breiten Raum einnimmt. Ins Zentrum des Diskurses rücken die Ikonen der amerikanischen Pop-Kultur, die jenseits des Mainstreams, also auch jenseits von Hollywood ihre Wirkung entfalten: Jazz, Rhythm & Blues, Ziegfeld Follies, Camp oder Chicago House und eben Mariah Carey.

      An diese Schnittstellen schließt Meineckes vierter Roman »Musik« (2004) an; er schreibt die kulturologische Textur unter einem neuen programmatischen Titelbegriff und aus neu justierter Perspektive fort. Das symbiotische Geschwisterpaar Kandis und Karol reflektiert die Grenzen normativer Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit. Während Karol seinen Lebensunterhalt im vorwiegend weiblich kodierten Beruf eines Flight Attendant verdient, arbeitet Kandis an einem Roman, oder eher einer »Mitschrift« von Lebensgeschichten, die sich an ihrem Geburtsdatum kristallisieren. Nebst ihr (und dem Autor Meinecke) sind am 25. August auch Ludwig II., Lola Montez oder Claudia Schiffer zur Welt gekommen, sowie Nietzsche oder die schwarze R&B-Sängerin Aaliyah verstorben. Letztere verbindet Kandis mit Karol, der sich speziell für die fließenden Übergänge zwischen Jazz, R&B, Rap und Techno interessiert.

      Meineckes literarische Arbeit wird weiterhin begleitet von der Auseinandersetzung mit musikalischen Formen von Hillbilly und Polka bis House und Minimal Techno. Die Auseinandersetzung fand ihren Niederschlag in Kolumnen, die er 2006/07 für »Die Zeit« (»Meinecke hört«) sowie von 2007 bis 2013 für das »Groove« Magazin (»Analog«) verfasste. Meinecke ist auch als Music-DJ permanent auf der Suche nach den neuesten musikalischen Ereignissen an der Oberfläche ebenso wie im underground. Parallel dazu ist die Band F. S.K. produktiv und veröffentlicht in regelmäßigem Rhythmus ein neues Album. 1998 trug es den Titel »Tel Aviv«. Bereits ein Jahr zuvor waren die gesammelten Songtexte der Jahre 1980 bis 2007 unter dem Titel »Lob der Kybernetik« erschienen. Thomas Meinecke betreibt darin sein kombinatorisches Spiel mit Zitaten, Referenzen und Codes auf lyrisch außerordentlich gewitzte, humoristische und obendrein tanzbare Weise.

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