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Weisheit ist eine Fähigkeit, die mit dem Leben zu tun hat, mit den Menschen und der Welt um uns herum. Weisheit befähigt uns dazu, ein gutes Leben zu führen. Das gute Leben muss nicht immer glücklich sein, aber es ist das Leben, das uns die größte Erfüllung schenken wird. Dabei fängt dieses gute Leben mit einer Selbstverständlichkeit an, die uns oft genug auch Angst macht: mit der Freiheit.

       Ein weiser Mensch kann seine Freiheit genießen

      So langsam wird er wohl vergessen werden: John Wayne (1907–1979), der amerikanische Westernschauspieler. Er war natürlich auch der Typ Mann, der in unsere heutige Zeit gar nicht mehr passt – ein konservativer, der bis zum Schluss den Vietnamkrieg verteidigte und Schwarze nicht als gleichberechtigt ansah. In seinen Filmen aber spielte er oft den einsamen Reiter, der von irgendwoher kam, der sich einer Sache verschrieb, die er für gerecht hielt, und wieder ging, wenn die Sache erledigt war. Seine Vergangenheit interessierte nicht, die Gegenwart bestimmte er durch sein Handeln und über die Zukunft machte er sich am kommenden Tag Gedanken. Er war einsam, er war frei und tat, was er wollte. So wie wir es alle heute tun können. Nur hat er vor dieser Freiheit niemals Angst gehabt.

      In der westlichen Welt leben wir heute freier und unbestimmter als je zuvor: Wir können tun, was wir wollen und sagen, was wir wollen. Wir sind frei zu reisen. Bürger der Europäischen Union können sich irgendeinen Platz in Europa aussuchen, an dem sie sich niederlassen wollen. Möchten Sie heute Ihren Job sausen lassen und einen Onlineshop für selbst gestrickte Pullover eröffnen, können Sie das tun. Natürlich – man muss es sich finanziell leisten können. Doch die Türen stehen offen.

      Menschen wünschen sich, frei zu sein, und haben gleichzeitig Angst vor dieser Freiheit. Denn sie bedeutet auch, Entscheidungen treffen und Verantwortung für sein Leben übernehmen zu müssen. Doch für viele Menschen bedeuten diese Freiheit und Verantwortung nur Depression und Angst. Weisheit, wie Sie sie in diesem Buch mehr und mehr kennenlernen werden, verschafft Durchblick auch in diesem manchmal bedrohlich erscheinenden Leben in Freiheit. Weise werden umfasst deshalb auch dieses schöne Versprechen: Sie versetzt einen Menschen in die Lage, seine Freiheit genießen zu können.

Der über fünfzehn Jahre gegen den Krebs kämpfende John Wayne hatte sich eine Inschrift für seinen Grabstein gewünscht: Feo, fuerte y formal – Er war hässlich, stark und hatte Würde. Erfüllt wurde ihm dieser Wunsch nicht. Erst zwanzig Jahre nach seinem Tod legte man eine Platte auf sein Grab, mit einer Inschrift aus einem seiner Interviews: »Der morgige Tag ist das Wichtigste im Leben. Um Mitternacht kommt er – noch ganz unberührt. Er ist perfekt, wenn er ankommt, und gibt sich selbst in unsere Hände. Er hofft, dass wir vom Gestern etwas gelernt haben.« Auch das ist ein schönes Bild für einen freien und weisen Menschen. Morgen fangen tausend Tage an – sehen wir mal, was wir draus machen können.

       Ein weiser Mensch mag seine Mitmenschen

      Fast hätte Charles Darwins (1809–1882) berühmte Forschungsreise (1831–1836) mit dem Schiff »Beagle« nicht stattgefunden. Die »Beagle« wäre schon gefahren, aber ohne Darwin. Zur Zeit seiner ersten Forschungen war Darwin noch nicht berühmt, sondern einfach ein kleiner, unbezahlter Naturforscher. Der Kapitän der »Beagle« musste ihm die Erlaubnis zum Mitreisen geben. Doch das Problem war – Darwins Nase. Kapitän Robert FitzRoy war ein Anhänger von Johann Caspar Lavater (1741–1801). Der war überzeugt, dass der Charakter eines Menschen sich an äußeren Merkmalen bestimmen ließ. Darwins Nase war in Kapitän FitzRoys Augen ein Zeichen für das Fehlen von Entschlossenheit. In seinen Augen war Charles Darwin zunächst einmal wenig mehr als ein »Schlaffi«. Aus irgendeinem Grund aber änderte Kapitän FitzRoy seine Meinung und Charles Darwin durfte doch mit.

      Selbst wenn Sie nicht glauben, dass der Charakter eines Menschen ihm ins Gesicht geschrieben steht, ist es nie einfach, unbekannten Menschen zu begegnen, ohne sie gleich irgendwie abzuschätzen und zu beurteilen. Den ersten Eindruck kann man nicht ganz verhindern, aber Sie können lernen, vorsichtiger mit dem ersten Eindruck zu sein. Ein weiser Mensch hat gelernt, dass der erste Eindruck oft hilfreich ist, er sich aber von ihm nicht täuschen lassen darf.

      In dieser Einstellung, den Menschen immer gern auch die zweite und die dritte Chance zu geben, wirklich verstanden zu werden, zeigt sich der grundsätzliche Respekt, den der weise Mensch gegenüber seinen Mitmenschen hat:

       Weise Menschen bewahren sich eine Neugier gegenüber anderen. Da jeder Mensch einzigartig ist, gibt es auch von jedem Menschen etwas zu lernen.

       Daraus folgt die Aufmerksamkeit, das aufmerksame Zuhören und vom Gegenüber lernen wollen.

       Und da man nie weiß, was man alles lernt und erfährt, ist Toleranz gefragt. Das bedeutet, dass man den Respekt vor einem Menschen nicht verliert, obwohl er vielleicht ganz anderer Meinung ist als man selbst.

      Weise Menschen sind sich bewusst, dass sie niemals damit fertig werden, einen Menschen kennenzulernen.

      Menschen möchten gesehen werden

      Seine Freiheit genießen und die Menschen um sich herum bedingungslos akzeptieren – kann das ein reibungsloses Leben sein? Wohl kaum. Die Freiheit ist eine komplizierte Sache (immerhin gehören zu ihr ungewisse Entscheidungen!) und ebenso sind die meisten unserer Mitmenschen wohl kompliziert. So kompliziert wie wir selbst auch. Und so gehört es zu einem Weisen auch, dass er Schwierigkeiten nicht als unangenehme Hindernisse auf dem Weg sieht, sondern als unvermeidlichen Bestandteil des Lebens.

       Ein weiser Mensch akzeptiert Schwierigkeiten als Teil des Lebens

      Das Sprichwort »Der Bambus biegt sich im Sturm, doch er bricht nicht« ist eine typisch fernöstliche Weisheit, aus der man vieles herauslesen kann:

       Vielleicht so etwas wie unser »Der Klügere gibt nach«.

       Vielleicht bedeutet es, dass der Schwächere manchmal den Kopf einziehen sollte und Streit (vor allem mit Stärkeren) aus dem Weg geht.

       Oder ist es ein tröstliches: »Keine Sorge, was auch passiert, du kommst schon wieder auf die Beine«?

      Natürlich wirft das Sprichwort auch Fragen auf:

       Soll ich mich immer nur beugen, nie wehren?

       Kennen wir nicht alle auch Menschen, die nicht wieder »aufgestanden« sind?

       Ist das »Sich-biegen-Können« nicht auch eine Sache des persönlichen Temperaments?

      Was auch immer man in dem sich biegenden Bambus sieht, eines scheint klar: Es ist nicht sinnvoll, seine Faust ständig gegen die ganze Welt zu schütteln und über alle Schwierigkeiten und Probleme zu schimpfen. Alles, was lebt, muss mit Schwierigkeiten und Widerständen fertigwerden. Das Gänseblümchen in einem trockenen Sommer genauso wie der Igel in einem kalten Winter. Schwierigkeiten gehören dazu. Menschen neigen allerdings dazu, jede Schwierigkeit als persönlichen Angriff zu werten (treten Sie vielleicht auch den Tisch, an dem Sie sich gerade gestoßen

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