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das gute Leben nicht immer auch zu jeder Zeit glücklich sein muss. Es gibt einfach kein Leben ohne Schwierigkeiten, ohne Hindernisse und ohne Scheitern. Weisheit hilft uns aber, diese Turbulenzen zu meistern und wieder in ruhigere Gewässer zu kommen. Wenn auch nur bis zur nächsten Turbulenz. Das Gefühl des Glücks ist vielleicht eher etwas für den Augenblick – zum Beispiel zusammen mit den Liebsten im Garten zu grillen und sich daran zu freuen, dass heute alle gesund und fröhlich sind. Oder sich darauf zu freuen, nach Hause zu kommen, nachdem der ganze Arbeitstag eine Katastrophe war. Das Glück ist für den Augenblick, und wenn wir weise sind, lernen wir, diese Augenblicke zu genießen.

      Für das Leben an sich kann die Frage nach dem Glück aber wohl immer nur im Rückblick beantwortet werden. Und vielleicht beginnt die Antwort darauf bei vielen Menschen mit »Trotz allem …« und endet mit »… war es bis jetzt eigentlich ganz gut«. Nein, weise sein macht nicht unbedingt glücklich. Aber Weisheit hilft uns, glückliche Momente zu schaffen und zu erkennen. Mehr dazu erfahren Sie in Kapitel 4, wo es um das Scheitern geht, und in Kapitel 15, in dem Sie über das Sterben lesen werden.

       Weise werden wollen, um mit unseren Mitmenschen auszukommen

      Sie mögen sich manchmal darüber ärgern, aber Sie sind nicht allein auf der Welt. Zum Alleinsein sind Sie ja auch nicht gemacht. Das Netz von Beziehungen zwischen Familie, Arbeit, Nachbarn und anderen ist aber so kompliziert und vielfältig, dass es eine ständige Herausforderung ist, mit anderen Menschen zu leben.

      Schon dem römischen Kaiser Mark Aurel (121–180 n. Chr.) ging es nicht anders. Auf einem Feldzug gegen den germanischen Stamm der Quaden saß er mitten im kalten Winter in seinem Zelt am Fluss Granna (heute Hron in der Slowakei) und machte sich Gedanken darüber, was ihm da draußen in der nordeuropäischen Kälte wohl begegnen würde. Was ihm in den Sinn kam, waren aber nicht das üble Wetter, wilde Tiere oder kriegerische Germanen. In sein »Notizbuch«, das wir heute unter dem Namen »Selbstbetrachtungen« kennen, schrieb er von den Menschen, denen er wahrscheinlich an diesem Tag begegnen würde: Da wird ein Wichtigtuer dabei sein und ein Selbstverliebter, da wird es Lügner geben, Neider und Leute, mit denen man sich nicht gut vertragen kann.

      Das »gute Leben« kann man nicht haben, ohne mit seinen Mitmenschen auszukommen. Weise Menschen haben ein reiches Arsenal an Fähigkeiten, mit denen ihnen das gelingt:

       Ein weiser Mensch kennt zuerst sich selbst ganz gut. Er weiß schon, mit welchen Menschen er gut zurechtkommt und mit welchen Typen er sich etwas mehr Mühe geben muss.

       Er ist auch ein guter Zuhörer. Ratschläge teilt er nicht einfach ungefragt aus, sondern er versucht erst einmal, den anderen wirklich zu verstehen.

       Mehr, als einfach »Weisheiten« von sich zu geben, wird ein weiser Mensch von sich selbst erzählen. Von Entscheidungen, die er nie bereut hat, und Entscheidungen, die ihm geschadet haben. Von dem, was für ihn funktioniert hat, und den Situationen, in denen er gescheitert ist.

      Ein weiser Mensch ist also nie der, der alles im Griff hat oder immer hatte, sondern der, der aus seinen Erfahrungen gelernt hat, im Guten wie im Schlechten. Deshalb kann ein Weiser nie von oben herab zu jemandem sprechen. Er ist auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber, ein Mensch unter Menschen. Der Entschluss, weise werden zu wollen, wird also großen Einfluss auf die Menschen um uns herum haben. Einfach ist das Zusammenleben mit anderen Menschen selten. Toleranz und Empathie sind schwer zu lernen, besonders wenn man erst als Erwachsener damit beginnt. Deshalb können Sie in Kapitel 11 noch viel mehr darüber lesen.

       Weise werden für Gesellschaft und Welt

      Diese Welt ist mit all ihren Beziehungen und Verknüpfungen nicht mehr nur kompliziert, sie ist komplex (siehe dazu auch Kapitel 1). Gleichzeitig wissen wir, dass auf dieser Welt auch vieles im Argen liegt. Wenn aber »weise sein« auch bedeutet, dass es auf das Tun ankommt, kann uns diese Welt Angst machen. Denn was können wir tun? Was kann der Einzelne gegen Krieg und Gewalt, gegen Kinder- und Altersarmut im reichen Europa oder gegen Umweltverschmutzung und Klimaerwärmung tun?

      Klar ist, dass man sich bei fast jedem öffentlichen Thema einem Dschungel von Fakten, Interessenkonflikten und kleinen persönlichen Schritten gegenübersieht:

       Statistiken erklären alles und unterstützen die eine Meinung wie auch ihr Gegenteil.

       Öffentliche Diskussionen werden von lauten Schreihälsen bestimmt.

       Konzerne schicken Politiker vor, die uns erklären, dass bestimmte Umweltziele leider nicht gehalten werden können.

       Wo ist der Haken, wenn ein T-Shirt nur 2 Euro kostet?

       Und in allem die ganz persönliche Frage, die so manchen beschäftigt: Wie kann ich damit leben, wenn ich genau weiß, dass auch mein kleiner Wohlstand durch die Arbeit vieler Menschen in den ärmsten Ländern erarbeitet wird?

      Es geht ja dabei nicht nur darum, die Fakten zu kennen. Man muss auch wissen, wie man sie einordnen muss, was man persönlich tun kann. Das ist ein hartes Stück (Denk-)Arbeit und für das Sortieren der Fakten, Durchblicken der Lügen und der persönlichen Entscheidung, was wir für diese Welt tun wollen und können, braucht es wieder – Weisheit.

      Lexikon der Dummheit: Als ginge es mich nichts an – der Unterlassungsirrtum

      »Also soll ich mich jetzt wirklich bücken, um den Nagel aufzuheben, der da auf dem Parkplatz liegt? Ich hab ihn ja nicht dahin geworfen. Ist ja nicht meine Schuld, wenn da ein Auto drüberfährt!« Tut mir leid, aber ja – jetzt ist es dann Ihre Schuld. Der Unterlassungsirrtum (englisch: omission bias) ist auch ein typischer menschlicher Denkfehler, den Psychologen entdeckt haben.

      Menschen meinen normalerweise, dass das, was sie tun, schwerer wiegt als das, was sie nicht tun. Was ein Unsinn ist. Dieser Denkfehler wird immer dann klar, wenn wir die Folgen bedenken. Bleiben wir beim Nagel auf dem Parkplatz: Ob wir es drauf ankommen lassen, dass jemand über den Nagel fährt, oder ob ich jemandem absichtlich den Reifen zersteche, macht im Ergebnis keinen Unterschied.

      Nur in unserem Kopf macht es einen Unterschied: Denn Nichthandeln sieht man nicht. Schäden durch Unterlassung scheinen uns persönlich immer harmloser als Schäden, die wir aktiv durch unser Tun verursachen. Machen wir uns nichts vor: Zu denken, dass das, was wir nicht tun, weniger Bedeutung hat als das, was wir tun – das ist Dummheit.

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