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am wohlsten gefühlt. Als ich mühsam daran arbeitete, die von der Kolonisation aufgerichteten Mythen zu zerstören, konnte ich da gegenüber den in der Brust des Kolonisierten entstandenen Gegenmythen nachsichtig sein? Gleich meinen Freunden musste ich über seine freilich unsichere Behauptung unwillkürlich lächeln, die andalusische Musik sei die schönste der Welt oder darüber, dass der Europäer durch und durch hartherzig und bösartig sei, man brauche nur zu beobachten, wie grob er mit seinen Kindern umgehe. Aber trotz ihres beträchtlichen guten Willens in den Augen des Kolonisierten und obwohl sie bereits von der übrigen französischen Kolonie geächtet waren, brachte ihnen das letztlich nur den Argwohn des Kolonisierten ein. Nun war mir all dies nur zu sehr vertraut; ihre Schwierigkeiten, ihr notwendiger Zwiespalt und die damit verbundene Isolierung und, was am schwersten wog, ihr Zaudern vor der Aktion, all das war zu einem großen Teil auch mein Schicksal. (Ich wurde eines Tages heftig beschimpft, weil ich es für sinnlos und gefährlich gehalten hatte, ein Gerücht weiterzugeben, das sich der Medina* bemächtigt hatte, wonach der diplomatische Vertreter Frankreichs wahnsinnig geworden sei.) Würde ich weiter gehen als sie? Im Grunde genommen verstand ich selbst den »Piednoir« mit seinen höchst einfachen Gefühlen und Gedanken, wenngleich ich sein Verhalten missbilligte. Ein Mensch ist das, was seine objektive Lage aus ihm macht, das habe ich oft genug wiederholt. Ich habe mich gefragt, ob es mir wirklich gelungen wäre, die Kolonisation ebenso nachdrücklich zu verurteilen, wenn ich mehr von ihr profitiert hätte. Ich würde mir das natürlich wünschen; aber allein schon deshalb, weil ich unter ihr kaum weniger gelitten habe als die anderen, habe ich einen genaueren Begriff von ihr bekommen. Kurz gesagt, noch der eingefleischteste und bornierteste »Piednoir« war im Grunde von Geburt aus mein Bruder. Das Leben hat uns unterschiedlich behandelt: er wurde als legitimer Sohn des Mutterlandes anerkannt, als Erbe des Privilegs, das er dann um jeden Preis verteidigte, selbst um den schändlichsten; ich war eine Art Mischling der Kolonisation, der jedermann verstand, weil er niemandem gänzlich zugehörte.

      * * *

      Noch ein Wort zum Schluss dieses neuen Vorworts, das schon zu lang geraten ist. Dieses Buch hat bei seinem Erscheinen ebenso viel Unruhe und Wut wie Begeisterung hervorgerufen. Einerseits hat man darin eine unverschämte Provokation gesehen, andererseits ein Wegzeichen. Alle Welt war sich darin einig, das Buch als eine Waffe, als ein Werkzeug im Kampf gegen die Kolonisation zu kennzeichnen; das ist es allerdings geworden. Aber nichts scheint mir lächerlicher, als sich mit einem geborgten Mut und mit Heldentaten zu brüsten, die man nie begangen hat: ich habe diesen Text ziemlich unbefangen abgefasst, ich wollte einfach zunächst das koloniale Verhältnis verstehen, in das ich so fest verstrickt war. Nicht dass ich diese Philosophie nie gehabt hätte, die meiner Untersuchung zugrunde liegt und in gewisser Weise meinem Leben Farbe gibt. Ich bin bedingungslos gegen jede Form von Unterdrückung; ich sehe in ihr die Hauptgeißel der Menschheit, die die besten Kräfte des Menschen in eine falsche Richtung lenkt und verdirbt, überdies nicht nur die des Unterdrückten, sondern auch des Unterdrückers, denn man wird beides erleben: ebenso wie die Kolonisation den Kolonisierten zerstört, so zersetzt sie auch den Kolonisator. Aber das war eigentlich nicht die Absicht meines Buches. Die Wirkung dieses Textes hat sich in gewisser Weise während seines Entstehens eingestellt, und zwar allein durch die Tugend der Wahrheit. Das heißt, dass es wahrscheinlich genügt hat, möglichst genau das Kolonialverhältnis, die Art und Weise, wie der Kolonisator notwendig handeln musste, und die allmähliche und unerbittliche Zerstörung des Kolonisierten zu beschreiben, um die absolute Ungerechtigkeit der Kolonisation ans Licht zu bringen und zugleich ihre fundamentale Instabilität zu enthüllen und ihr Ende vorauszusagen.

      Das einzige Verdienst, das ich mir demnach zurechne, besteht darin, dass ich versucht habe, jenseits meines eigenen Unglücks Rechenschaft abzulegen über einen Aspekt der menschlichen Wirklichkeit, der unerträglich und deshalb unannehmbar ist und der zwangsläufig immer neue Erschütterungen auslöst, unter denen alle bis ins Innerste zu leiden haben. Ich wünschte, dieses Buch würde nicht länger als Ärgernis angesehen, sondern es würden ruhige Überlegungen angestellt, warum diese Schlussfolgerungen, die sich mir aufgedrängt haben, weiterhin von so vielen Menschen spontan nachvollzogen werden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Liegt das nicht einfach daran, dass diese beiden Porträts, die ich versuchsweise entworfen habe, schlicht ihre Modelle getreu wiedergeben, die meines vorgehaltenen Spiegels nicht bedürfen, um sich wiederzuerkennen, um ganz von sich aus den richtigen Weg in ihrem elenden Leben zu entdecken? Die hartnäckige Verwechslung zwischen dem Künstler und seinem Gegenstand ist bekannt (was wohl eines der Anzeichen für unsere fortwährende Barbarei, unser verzweifelt magisches Denken ist). Statt sich über die Äußerungen der Schriftsteller aufzuregen und ihnen vorzuwerfen, dass sie eine Unordnung schaffen wollen, die von ihnen lediglich beschrieben und prophezeit wird, täte man besser daran, ihnen aufmerksamer zuzuhören und ihre warnenden Hinweise ernster zu nehmen. Bin ich denn am Ende nicht im Recht, wenn ich jetzt, nach so vielen verheerenden und vergeblichen Kolonialkriegen und da sich Frankreich heute zum Vorkämpfer der Entkolonialisierung auf der Welt macht, meine, dass dieses Buch für den Kolonisator ebenso nützlich hätte sein können wie für den Kolonisierten?

      Albert Memmi

      Paris, Februar 1966

Porträt des Kolonisators

      1. Gibt es den Kolonialisten?

       Der Sinn des Aufbruchs in die Kolonien

      Hier und da wird der Kolonisator gern noch als ein hochgewachsener Mann mit sonnengebräunter Haut, in Stiefeln und auf eine Schaufel gestützt dargestellt – denn er verschmäht es keineswegs, selbst Hand anzulegen, während sein Blick in die Ferne auf den Horizont seiner Ländereien gerichtet ist; inmitten zweier Handlungen gegen die Natur kümmert er sich um die Menschen, pflegt die Kranken und verbreitet die Kultur, kurz, ein edler Abenteurer, ein Pionier.

      Ich weiß nicht, ob diesem naiven Klischee jemals eine gewisse Realität entsprochen hat oder ob es nur als Bildchen auf den kolonialen Banknoten vorkommt. Die wirtschaftlichen Motive des Kolonialunternehmens werden heute von allen Geschichtsschreibern des Kolonialismus ins Licht gerückt, kein Mensch glaubt mehr an die kulturelle und moralische Mission des Kolonisators, nicht einmal in den historischen Anfängen. Jedenfalls ist in unseren Tagen der Aufbruch in die Kolonie nicht die Entscheidung für einen ungewissen Kampf, der gerade um seiner Gefahren willen gesucht wird, es ist nicht die Versuchung des Abenteuers, sondern die der Bequemlichkeit.

      Man braucht übrigens nur den Europäer über die Kolonien zu befragen: was hat ihn dazu bewogen, das Heimatland zu verlassen und vor allem, was hat ihn veranlasst, im Exil auszuharren? Zuweilen spricht er auch von Abenteuer, vom Pittoresken und Fremdartigen. Aber warum hat er dies nicht in Arabien oder einfach in Zentraleuropa gesucht, wo man nicht seine eigene Sprache spricht, wo er nicht auf eine zahlenmäßig bedeutende Gruppe seiner Landsleute trifft, auf eine Verwaltung, die ihm dient und eine Armee, die ihn schützt? Ein solches Abenteuer hätte mehr an Unvorhergesehenem bereitgehalten; aber dieses Fremdartige wäre für ihn dort zwar sicherer und echter, doch von zweifelhaftem Gewinn gewesen: das Fremdartige an der Kolonie, sofern es das für ihn überhaupt gibt, muss sich in allererster Linie rentieren. Unbefangen und präziser als die Sprachakrobaten wird unser Reisender uns die beste Definition anbieten, die es für »Kolonie« gibt: man verdient dort mehr und gibt weniger aus. Man begibt sich in die Kolonie, weil die Situationen dort gesichert, die Gehälter

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