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erinnert hat: auch der Kolonisierte hat sein Geheimnis, und wir wohnen dem gräulichen Todeskampf des Kolonialismus bei.

      Vorwort des Autors zur französischen Ausgabe von 1966

       Diese Neuauflage widme ich meinen

      franko-kanadischen Freunden, weil sie

       sowohl Kanadier als auch Franzosen

      sein wollen.

      Ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, mir sei die ganze Bedeutung dieses Buches von Anfang an klar gewesen. Ich hatte einen ersten Roman geschrieben, La Statue de sel, die Lebensgeschichte einer Modellfigur, um zu versuchen, mich in meinem eigenen Leben zurechtzufinden. Aber die Unmöglichkeit eines menschenwürdigen Lebens im zeitgenössischen Nordafrika, die mir stattdessen klar wurde, bewog mich zu dem Versuch, den Ausweg in einer Mischehe zu suchen. Daraus wurde der Roman Agar, der mit einem erneuten Fehlschlag endete. Damals setzte ich große Hoffnungen auf das Paar, das für mich noch immer einen der dauerhaftesten Glückszustände des Menschen darstellt; vielleicht die einzig wirkliche Aufhebung der Einsamkeit. Aber am Ende entdeckte ich, dass auch das Paar keine isolierte Gemeinschaft ist, keine Oase der Erneuerung und des Vergessens inmitten der Welt; vielmehr enthielt es die ganze Welt in sich. Nun war dies für meine unglücklichen Helden die Welt der Kolonisation, und wenn ich das Scheitern ihres Abenteuers verstehen wollte, das eines gemischtrassischen Paares in einer Kolonie, musste ich den Kolonisator und den Kolonisierten verstehen, möglicherweise sogar das gesamte koloniale Verhältnis und die koloniale Situation. All das entfernte mich sehr weit von mir selbst und von meinen Lebensschwierigkeiten, aber die Auseinandersetzung kam immer wieder auf mich zu, und noch ohne zu wissen, wohin ich gelangen würde, und ohne den Anspruch, einen so komplexen Zustand ganz zu erfassen, musste ich zumindest ein Ende für meine Angst finden.

      Zugleich machte ich die Entdeckung, dass sich alle Kolonisierten im Grunde ähnlich waren; ich musste in der Folgezeit feststellen, dass überhaupt alle Unterdrückten bis zu einem bestimmten Punkt Ähnlichkeiten aufweisen. So weit war ich anfangs noch nicht, und teils aus Vorsicht, teils weil ich andere Sorgen im Kopf hatte, sparte ich mir diese Erkenntnis lieber auf, die ich heute für unleugbar halte. Doch in diesem Bild erkannten sich so viele unterschiedliche Menschen wieder, dass ich die Vorstellung aufgeben musste, es sei nur das meinige oder das des kolonisierten Tunesiers oder sogar Nordafrikaners allein. Man hat mir gesagt, die Kolonialpolizisten hätten dieses Buch fast überall in den Räumen der militanten Kolonisierten beschlagnahmt. Ich bin überzeugt, dass ich ihnen nichts anderes gegeben habe, als was sie bereits waren, was sie bereits gelebt haben. Aber indem sie ihre eigenen Gefühlsregungen, ihr Aufbegehren und ihre Forderungen wiedererkannten, gewannen diese in ihren Augen, so nehme ich an, eine neue Legitimität. Und so getreu auch die Beschreibung unserer gemeinsamen Erfahrungen sein mochte – die Leser waren davon vielleicht doch weniger betroffen als von deren innerem Zusammenhang, den ich ihnen gezeigt hatte. Als der Algerienkrieg kurz bevorstand und schließlich ausbrach, prophezeite ich für mich die zu erwartende Dynamik der Ereignisse und wagte es schließlich auch, sie öffentlich anzukündigen. Das koloniale Verhältnis, das ich darlegen wollte, kettete den Kolonisierten wie den Kolonisator in einer Art erbarmungsloser Abhängigkeit aneinander, formte ihre Charakterzüge und diktierte ihr Verhalten. Ebenso wie es eine deutliche Logik im wechselseitigen Verhalten der beiden Partner der Kolonisation gab, musste meiner Meinung nach ein zweiter Mechanismus, der sich aus dem ersten ergab, unerbittlich die Auflösung dieser Abhängigkeit vorantreiben. Insgesamt bestätigten die Ereignisse in Algerien dieses Muster, das ich in der Folgezeit so oft in der Sprengung anderer kolonialer Situationen wiedergefunden habe.

      Jedenfalls fügte sich die Vielfalt von Ereignissen, die ich von Kindheit an erlebt hatte und die in ihrer äußeren Erscheinung oft unzusammenhängend und widersprüchlich waren, auf diese Weise zu dynamischen Konstellationen zusammen. Wie konnte der Kolonisator seine Arbeiter anständig behandeln und zugleich von Zeit zu Zeit in eine Menge von Kolonisierten schießen lassen? Wie konnte der Kolonisierte sich selbst so unerbittlich verneinen und zugleich in so maßloser Weise das Recht auf sich selbst fordern? Wie konnte er den Kolonisator verabscheuen und zugleich leidenschaftlich bewundern (jene Bewunderung, die ich trotz allem auch in mir verspürte)? Das war es, was ich vor allem für mich selbst brauchte: meine Gefühle und Gedanken in eine Ordnung und mein Verhalten mit ihnen vielleicht in Einklang zu bringen. Aufgrund meines Charakters und meiner Erziehung musste ich dies freilich mit aller Strenge tun und den Konsequenzen so weit wie möglich folgen. Wäre ich auf halbem Wege stehengeblieben, hätte ich nicht alle Tatsachen berücksichtigt, hätte ich nicht versucht, all diesem Material einen inneren Zusammenhang zu verleihen und daraus so lange Bilder zu rekonstruieren, bis sie zueinander passten, so wäre es mir wohl kaum gelungen, mich zu überzeugen, und ich wäre vor allem mit mir selbst unzufrieden geblieben. Aber zur gleichen Zeit begann ich zu ahnen, welche Hilfe für die Menschen im Kampf die einfache, aber genaue und systematische Beschreibung ihrer Nöte, ihrer Demütigung und ihres objektiven Zustands der Unterdrückung sein konnte. Ich begann zu ahnen, wie explosiv die Enthüllung einer ihrem Wesen nach explosiven Situation für das ungetrübte Bewusstsein des Kolonisierten wie des Kolonisators sein konnte. Als ob die Enthüllung einer gewissen Zwangsläufigkeit in ihren jeweiligen Marschrouten den Kampf immer notwendiger und jeden Versuch, den anderen aufzuhalten, immer verzweifelter machte. Kurz, das

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