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Recht, auch wenn er selbst eine Reihe von Fehlern beging. Der Kern seiner Theorie traf zu: Meteoriten stammen nicht aus Vulkanen und werden auch nicht in der Atmosphäre geboren, sondern aus den Weiten des Alls auf die Erde geschleudert. Aus diesem Grund gilt Chladni heute als Begründer der modernen Meteoritenwissenschaft.

      Trotz aller Vorbehalte der Fachwelt hatte Chladni in gewisser Weise aber auch Glück: Hätte ein Verlag gezielt einen Bestseller planen wollen, er hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können als den Erscheinungstermin von Chladnis Werk. Denn kaum war sein Buch veröffentlicht, fielen an zahlreichen Orten weitere Meteoriten auf die Erde. Zwischen 1794 und 1796 landete kosmisches Gestein in Italien, England, Portugal, Indien, Sri Lanka und der Ukraine. Es war, als hätte Chladni seine Schrift punktgenau auf aktuelle Anlässe zugeschnitten.

       Abzocke mit gefälschten Meteoriten

      Zwei Monate nach dem Erscheinen von Chladnis Buch war das italienische Siena Schauplatz von Meteoritenfällen. Am frühen Abend des 16. Juni 1794 erfüllte Rauch den Himmel in nördlicher Richtung, Funken sprühten, hoch oben zuckten Blitze, gefolgt von den obligatorischen Detonationen. Dann flammte eine Wolke rot auf, und ein Schauer von Steinen ging über einem Vorort von Siena nieder. Augenzeugen gaben später zu Protokoll, dass ringsum Steine auf den Boden hagelten. Manche der Geschosse versengten Blätter auf den Bäumen, eines davon durchdrang angeblich sogar die Hutkrempe eines Buben. Einheimische sammelten die merkwürdigen Steine rasch ein und begannen, sie als Souvenirs an Touristen zu verkaufen. Als der Nachschub zur Neige ging, produzierten sie Fälschungen der Himmelssteine und verhökerten diese.

      Siena war Universitätsstadt, weshalb die Gelehrten sogleich von dem Ereignis erfuhren. Der Mathematiker Ambrogio Soldani veröffentlichte innerhalb von drei Monaten ein 288-seitiges Buch darüber, in dem er außerdem seine Korrespondenz mit einem Mineralogen aus Neapel anführte. Dieser Mann mutmaßte, die Steine könnten eventuell einem Vulkan auf dem Mond entsprungen sein.

      Im Jahr darauf traf es Wold Cottage, Yorkshire, England. Am 13. Dezember 1795 sah der Landarbeiter John Shipley zu, wie ein Stein aus den Wolken fiel und direkt vor seinen Füßen einschlug. Als der Brocken auf den feuchten Boden klatschte, spritzte Matsch auf Shipleys Kleidung. Einen Monat später erfuhr der Landeigentümer, ein etwas exaltierter Verleger namens Edward Topham, von der Sache und sorgte für öffentliche Aufmerksamkeit. Topham stellte den Stein in London aus und kassierte einen Shilling Eintritt pro Besichtigung. Später ließ er ein Denkmal errichten – bis heute vermutlich das einzige derartige Bauwerk, das einem Meteoriten gewidmet ist.

      Dass ein Meteoritenfall in Portugal vom Februar 1796 der Nachwelt erhalten ist, verdanken wir dem Umstand, dass sich zu der Zeit gerade ein britischer Poet und Schriftsteller in der Gegend aufhielt. Er notierte Augenzeugenberichte und merkte an: „Wir hören manchmal, dass solche Phänomene historisch erwähnt sind, aber nie wollen wir daran glauben.“ Im selben Jahr wurde eine ähnliche Episode aus Irland bekannt, die sich bereits 1779 zugetragen hatte. Ein gewisser William Bingley aus Pettiswood, Westmeath County, schilderte einer Zeitschrift, wie ein Stein das Zaumzeug seines Pferdes getroffen habe. Das arme Tier sei augenblicklich ohnmächtig geworden. Überall habe es nach Schwefel gerochen. Bisher habe er niemandem davon erzählt, so Bingley, weil er gefürchtet habe, sich mit der Schauergeschichte lächerlich zu machen.

      Aus wissenschaftlicher Sicht bedeutsam war, dass der junge englische Chemiker Edward Charles Howard mehrere Stücke von Meteoritenabstürzen aus dieser Zeit studierte. Howard verglich die chemische Zusammensetzung der Objekte und folgerte: Erstens gebe es äußerst auffällige Übereinstimmungen, beispielsweise einen ungewöhnlich hohen Gehalt des seltenen Elements Nickel. Und zweitens passe die Materialkomposition weder zu Vulkangestein noch zu den in der jeweiligen Gegend üblichen Mineralien.

      Auch Ernst Chladnis Fachkollege Georg Lichtenberg publizierte um diese Zeit eine Arbeit über den „Steinregen zu Siena“, in der er Chladnis Interpretation hinsichtlich des Ursprungs der mysteriösen Himmelskörper beipflichtete. Außerdem beauftragte er zwei Studenten, einen Mathematiker und einen Astronomen, zwei Monate lang den Nachthimmel zu überwachen und nach verdächtigen Objekten Ausschau zu halten, die womöglich Chladnis Theorie stützen könnten. Die Studenten traten ihren Wachtposten in Lichtenbergs Garten in Göttingen an. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen: Im September und Oktober 1798 beobachteten die Studenten 402 Meteore, 22 davon zogen sogar gleichzeitig übers Firmament. Beeindruckt von diesen Resultaten, notierte Lichtenberg: „Gott möge verhindern, dass solch feurige Körper jemals die Erde streifen.“ Und fügte noch hinzu: „Zumindest hoffe ich, dass mir nichts dergleichen jemals auf den Kopf fallen möge.“

      Trotzdem war noch nicht allgemein akzeptiert, dass Meteoriten aus den Tiefen des Kosmos zur Erde gelangen. Das änderte sich erst nach einem weiteren Steinregen 1803. Am 26. April dieses Jahres prasselten nahezu 3.000 Boliden auf L’Aigle in der Normandie. Der französische Innenminister schickte den jungen Physiker Jean-Baptiste Biot in die Region. Biot zeichnete zunächst eine detaillierte Karte des Meteoritenstreufeldes. Er befragte Augenzeugen und stellte mathematische Berechnungen über die Bahn solcher zur Erde fallenden Objekte an. Mitte Juli 1803 trug er seine Erkenntnisse in Paris vor, und dies gilt heute als der große Wendepunkt: Seine Ausführungen wurden als definitiver Beweis für die Tatsache gewertet, dass Steine kosmischen Ursprungs sind und daher auch vom Himmel fallen können. Biot selbst geizte nicht gerade mit Superlativen. Er betrachtete seine Erkenntnisse „ohne Zweifel als das erstaunlichste Phänomen, das jemals von Menschen beobachtet wurde“. Das mochte zwar dezent übertrieben sein, doch war damit das Rätsel über die Herkunft der Meteoriten gewissermaßen offiziell gelöst.

       Wien – internationales Zentrum der Meteoritenforschung

      Im Lauf des 19. Jahrhunderts gelang es, immer mehr Typen von Meteoriten zu erfassen, zu beschreiben und je nach ihrer chemischen und mineralogischen Zusammensetzung zu unterscheiden. Die Wissenschaftler studierten unter dem Mikroskop zum Beispiel die „Chondren“, Erkennungsmerkmale der häufigsten Kategorie von Meteoriten. Der Name leitet sich vom griechischen Wort „chondros“ ab, das „Korn“ bedeutet. In dieser Sorte von Meteoriten sind winzige Kügelchen aus Silikat eingeschlossen, 0,2 bis einige Millimeter groß, deren Form an Körner erinnert. Deshalb tragen diese Meteoriten die Bezeichnung „Chondriten“. Mehr als 80 Prozent der Steine, die auf die Erde fallen, zählen zu dieser Klasse. Sie repräsentieren die ursprünglichste, seit viereinhalb Milliarden Jahren praktisch unveränderte Materie unseres Sonnensystems. Älter als die Himmelskörper selbst sind sie, bildlich gesprochen, Zeitzeugen der Planetenentstehung.

      Zugleich stellen die Chondriten den überwiegenden Anteil einer Oberfamilie, nämlich der Steinmeteoriten. Zu diesen zählen auch die „Achondriten“, die keine Silikatkugeln enthalten. Außerdem kennt man sogenannte kohlige Chondriten, bestehend unter anderem aus Tonmineralien mit hohem Kohlenstoffanteil sowie Wasser. Insgesamt gehören rund 95 Prozent aller kosmischen Brocken zur Klasse der Steinmeteoriten, nur knapp fünf Prozent entfallen auf Eisenmeteoriten, die beinahe zur Gänze aus Nickeleisen geformt sind. Schließlich gibt es noch eine Mischform, die Stein-Eisenmeteoriten, die jedoch eine echte Rarität darstellen (zur genauen Klassifikation von Meteoriten siehe (siehe Kasten S. 37).

      Stück um Stück entschlüsselten die Forscher auch alle Bestandteile von Meteoriten. Rund 300 Minerale sind heute bekannt, die diese Felsfragmente beinhalten können. Je nach charakteristischer Materialkomposition unterscheiden Experten heute Exemplare mit teils exotischen Namen wie Ureilit, Angrit oder Aubrit. Die Naturforscher und Archivare des 19. Jahrhunderts nahmen sogar Stücke in ihre Sammlungen auf, die, allerdings von anderen Himmelskörpern stammten, beispielsweise vom Mars, wie sich erst viel später nachweisen ließ. Sie beschrieben außerdem auffällige, signifikante Muster auf diesen Objekten, etwa die „Widmanstättenschen Figuren“: regelmäßige, einander kreuzende Lamellen, die ein unverwechselbares Merkmal von Eisenmeteoriten darstellen. Deren Namensgeber war ein Naturforscher aus Österreich: Alois von Beckh-Widmanstätten, geboren 1754 in Graz, wurde in der Mineraliensammlung der Wiener Hofburg auf Meteoritenfundstücke aufmerksam. Er stellte eine Reihe von Experimenten mit den

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