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Aussagen sind kein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke wissenschaftlicher Erkenntnis.58 Auch unsichere Aussagen aus der Wissenschaft durchlaufen eine stringente Überprüfung nach methodischer Zuverlässigkeit, theoretischer Stimmigkeit und inhaltlicher Gültigkeit (vor allem in den sogenannten peer review Prozessen, also Prüfverfahren durch andere Expertinnen und Experten unter Beibehaltung der Anonymität). Die Stochastik macht unser Wissen vielfältiger und facettenreicher, aber nicht ungenauer. Je besser es uns gelingt, die Bandbreite der möglichen Folgen eines auslösenden Ereignisses zu bestimmen, desto mehr können wir darauf vertrauen, dass die sich darauf aufbauenden Handlungsoptionen (es kann dann nicht nur eine geben) als relevante Orientierungen für ein zweckgerichtetes Handeln erweisen. Gleichzeitig bedeutet Stochastik aber auch, dass wir die bequeme Sichtweise, wir müssten nur A tun, um B zu erhalten gegen eine wesentlich kompliziertere Sichtweise eintauschen müssen. Wir haben immer mehrere Handlungsmöglichkeiten, die alle mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten positive wie negative Auswirkungen zeitigen werden. Dazu benötigen wir eine Kultur der Abwägung, eine Kultur, die Konflikte aushält und ausgewogene und für alle Betroffenen faire Entscheidungen über die Wahl der Handlungsoptionen trifft. Was gar nicht hilft, ist die Schaffung oder Erfindung von uns gerade genehmen alternativen Fakten.

      Anmerkungen

      1 Der genaue Wortlaut des Interviews ist nachzulesen unter: http://www.nbcnews.com/meet-the-press/meet-press-01-22-17-n710491 (abgerufen am 13.8.2018).

      2 Ich folge hier wissenschaftstheoretisch der Schule des kritischen Rationalismus. Einen kurzen und prägnanten Überblick gibt es hier: http://www.leibniz-fh.de/fileadmin/Redaktion/pdf/FH/Arbeitspapiere/Arbeitspapier_8_Einf_Wissenschaftstheorie.pdf, S. 22ff. (abgerufen am 13.8.2018). Etwas detaillierter in: Eisend, M. und Kuß, A. (2017): Die wissenschaftstheoretische Grundlage: Wissenschaftlicher Realismus. In: M. Eisend und A. Kuß (Hrsg.): Grundlagen empirischer Forschung. Springer Fachmedien: Wiesbaden, S. 69 – 92.

      3 Dazu der klassische Aufsatz von F.H. Tenbruck (1969): Regulative Funktionen der Wissenschaft in der pluralistischen Gesellschaft. In: H. Scholz (Hrsg.): Die Rolle der Wissenschaft in der modernen Gesellschaft. Duncker & Humblot: Berlin, S. 61 – 85.

      4 Diese wird in der Wissenschaftstheorie als intersubjektive Beweisführung angesehen. Ein Wahrheitsanspruch gilt dann als vorläufig angenommen, wenn alle Personen, die zur gleichen Erkenntnisgewinnung fähig sind (weil sie etwa die gleichen Messinstrumente haben) und die guten Willens sind, die Wahrheitsansprüche um ihrer selbst willen zu prüfen (also nicht lügen oder absichtlich den Kontext verändern) diesen Wahrheitsanspruch anerkennen. Siehe dazu: G. Endruweit (2015): Empirische Sozialforschung. Wissenschaftstheoretische Grundlagen. UVK Verlagsgesellschaft: Konstanz und München. S. 16ff.

      5 Zu den Grenzen der Naturwissenschaften siehe: Gerlach, W. (1938): Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis. In: Angewandte Chemie, 51(22): 313 – 318. Zu den philosophischen Grundlagen dazu: Chalmers, A. (1999): Grenzen der Wissenschaft. Springer: Berlin. Oder ausführlich in: Psillos, S. (1999): Scientific Realism: How Science Tracks Truth. Routledge: London/New York, S. 70ff.

      6 Dazu der Klassiker: Lyotard, F. (2012): Das postmoderne Wissen (hrsg. von P. Engelmann). 7. Auflage. Passagen Verlag: Wien. Ein Überblick in: Christopher Butler, C. (2002): Postmodernism. A Very Short Introduction. Oxford University Press: New York. Hier findet sich auch das berühmte Zitat von ihm: “Postmodernist thought sees the culture as containing a number of perpetually competing stories, whose effectiveness depends not so much on an appeal to an independent standard of judgment, as upon their appeal to the communities in which they circulate.”

      7 Einen kurzen und knappen Überblick mit z.T. beißender Kritik an der postmodernen Wissenschaftstheorie findet sich bei der Philosophin Helen Pluckrose: https://areomagazine.com/2017/03/27/how-french-intellectuals-ruined-the-west-postmodernism-and-its-impact-explained/ (abgerufen am 31.10.2018). Siehe auch dazu in der ZEIT: Nr. 52 vom 15.12.2016, den Aufsatz von Michael Hampe: Katerstimmung bei den pubertären Theoretikern. Dort beschreibt er in bewegenden Worten die Stimmung bei den postmodernen Theoretikern der linken Szene, deren Ideen geradezu von ihren politischen Feinden, den Rechten, übernommen und gegen die Linken angewandt werden. Mehr systematisch und argumentativ fundiert: Boghossian, P. (2016): Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus (Übersetzung von J. Rometsch). Suhrkamp: Berlin. Dazu die Klassiker: Sokal, A. und Jean Bricmont, Jean (1998): Fashionable Nonsense: Postmodern Intellectuals’ Abuse of Science. Picador: London sowie Koertge, N. (1998): A House Built on Sand: Exposing Postmodernist Myths About Science. Oxford University Press: Oxford.

      8 Hornscheidt, A. (1997): Der „linguistic turn“ aus der Sicht der Linguistik, in: B. Henningsen und S.M. Schröder (Hrsg.): Vom Ende der Humboldt-Kosmen. Konturen von Kulturwissenschaft. Nomos: Baden-Baden, S. 175 – 206. Besonders prägnant ausgedrückt von Bruno Latour: Yes, we are forever prisoners of language. Aus: Latour, B. (1999): Pandorra’s Hope: Essays on the Reality of Science Studies. Harvard University Press: Cambridge, S. 8.

      9 Siehe: Kebek, H.G. (1997): Wahrnehmung. Theorien, Methoden und Forschungsergebnisse. Juventa: München, S. 319.

      10 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an dem Standardwerk der philosophischen Wahrnehmungsforschung: Fish, W. (2010): Philosophy of Perception: A Contemporary Introduction. Routledge: London und New York; an der psychologischen Wahrnehmungsforschung, vor allem an: Kebek, H.G. (1997), a.a.O. sowie an dem wissenssoziologischen Klassiker: Berger, P.L. und Luckmann, T. (2012): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 24. Auflage. Fischer: Frankfurt am Main.

      11 Um ganz präzise zu sein, die Netzhaut gibt Form, Farbe, Position im Raum (3-D) und Bewegung wieder. Siehe Kebek (1997), a.a.O., S. 34ff. Siehe auch Latour (1999), a.a.O., S. 4ff.

      12 Dazu ausführlich: Craig, E. (1993): Was wir wissen können. Suhrkamp: Frankfurt am Main.

      13 Berger und Luckmann (2012), a.a.O., S. 164.

      14 Vgl.: Searle, J.K. (2011): Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Suhrkamp: Frankfurt am Main, S. 159f. Generell dazu: Chomsky, N. (1970): Sprache und Geist. Suhrkamp: Frankfurt am Main.

      15 Siehe: Trautner, H.M. (1978): Lehrbuch der Entwicklungspsychologie. Hogrefe: Göttingen, S. 245ff.

      16 Dazu gibt es eine Unmenge an Literatur. Ein guter Überblick findet sich in: Pörksen, B. (Hrsg.) (2011): Schlüsselwerke des Konstruktivismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden. Ebenfalls sehr zu empfehlen ist das inzwischen ins Deutsche übersetzte Buch: Searle, J.R. (2011), a.a.O. Kritisch zu den Postulaten des Konstruktivismus siehe: Schmidt, S. J (1987).: Der Radikale Konstruktivismus. Ein neues Paradigma im interdisziplinären Denken, in: Ders. (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Suhrkamp: Frankfurt, 1987, S. 11 – 88; sowie North, A. (2016): A Millennial Mistake: Three Arguments against Radical Social Constructivism. In: Journal of Counseling & Development, 94 (1): 114 – 122 und Boghossian (2016), a.a.O.

      17 Dieser Ansatz der Wirklichkeitsannäherung wird vor allem im kulturalistischen Verständnis der Erlanger Schule vertreten. Eine kurze Einführung findet sich in: Janich, P. (1993): Erkennen als Handeln. Von der konstruktiven Wissenschaftstheorie zur Erkenntnistheorie. In: W. Hogrebe (Hrsg.): Jenaer Philosophische Vorträge und Studien. Schriftenreihe der Universität Jena: Erlangen und Jena. Umfassender in: Janich, P. (2000): Was ist Wahrheit? Eine philosophische Einführung. 2. Auflage. Beck: München.

      18 Grundlegend ist hier die evolutionäre Erkenntnistheorie. Eine gute Einführung findet sich in: Volllmer, Gerhard: Was können wir wissen? Band 1: Die Natur der Erkenntnis. Hirzel: Stuttgart. Vgl. auch Scott, J.P. (1989): The Evolution of Social Systems. Gordon and Breach: New York, hier vor allem S. 272ff.

      19 Hier gehe ich von dem viel beachteten Ansatz

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