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in Gefahr brachte.

      Spätestens, wenn wir das Reich des östlichen Kaisers hinter uns gelassen haben, muss er wissen, worum es wirklich geht!, ging es dem Ritter durch den Kopf.

      Viertes Kapitel: Steppenwind

      „Heh, mach schneller!“, rief die gedrungene, faltige Frau mit den giftigen Augen.

      Obwohl Li nun schon viele Wochen im Lager von Toruks Leuten lebte, hatte sie bisher den Namen dieser Frau noch nicht herausfinden können, obwohl sie in der Gruppe eine wichtige Rolle spielte.

      Sie war offenbar die Witwe eines früheren Anführers und genoss nach wie vor höchsten Respekt. Allerdings sprach niemand sie mit dem Namen an. Alle nannten sie nur 'Die Strenge', wenn sie über sie sprachen. Einige der jüngeren Frauen hatten regelrecht Angst vor ihr. Erst recht galt das für die Gefangenen. 'Die Strenge' schien es regelrecht zu genießen, sie zu schikanieren. Dass sie die niedrigsten Arbeiten erledigen mussten, hatte Li erwartet. Etwas anderes wäre ihr auch gar nicht in den Sinn gekommen. Sie und die anderen Verschleppten konnten froh ein, dass man sie einigermaßen mit Nahrung versorgte, auch wenn es sich dabei zumeist um Abfälle und übrig Gebliebenes handelte. Vieles war kaum noch genießbar. Davon abgesehen vertrugen Li und die anderen Angehörigen des Han-Volkes unter den Gefangenen die Milch und den Käse schlecht, die bei Toruks Leuten einen Hauptbestandteil der Nahrung ausmachten. Ungefähr die Hälfte der Gefangenen war daher krank und wandt sich mit Bauchkrämpfen, während die andere Hälfte sich gerade von der Käsekrankheit erholte.

      Aber es war kaum möglich, diesem Gift auszuweichen, denn in Toruks Stamm war es anscheinend Sitte, nahezu alle anderen Speisen damit zu vermischen. Der Stamm hielt neben Schafen und Ziegen eben auch etliche Rinder und alles, was an Essbarem durch diese Tiere zu gewinnen war, wurde deshalb auch verwertet.

      Die Gefangenen wurden oft genug dazu eingeteilt, bei der Beaufsichtigung der Tiere mitzuhelfen. Dass sie dabei zu fliehen versuchen konnten, kam den Nomaden wohl gar nicht in den Sinn – und in der Tat hätten die schnellen Reiter die Flüchtlinge auch selbst unter ungünstigsten Umständen innerhalb von wenigen Stunden wieder einfangen können. Und die Strafen, mit denen dann zu rechnen war, waren mit Sicherheit schlimmer als alles, was es ansonsten bei ihnen zu erdulden ab.

      Li befand sich mit einem Bündel zusammengeklaubtem Brennholz am Rand des Lagers, als die Strenge sie so anfuhr.

      „Na los, worauf wartest du, hässliche Pflanze!“

      Hässliche Pflanze – das war der Name, den die Strenge ihr gegeben hatte. Sie hatte für jeden der Gefangenen einen wenig schmeichelhaften Namen erfunden und erwartete dann allerdings auch, dass der Betreffende darauf hörte. „Denkst du, dass ich erst Feuer haben will, wenn der nächste Frühling kommt? Oder muss ich dich erst schlagen?“

      Li hatte es sich längst abgewöhnt, diesen Äußerungen der Strengen allzu viel Bedeutung zuzumessen. Gut war, dass sie zu alt war um ihren Drohungen Taten folgen lassen zu können, denn sie hinkte und hatte augenscheinlich weit weniger Kraft in ihrem Körper als in ihrer Stimme. Und wenn sie die jungen Männer ihres Stammes darum bat, die Gefangenen für sie schlagen, dann war denen das eher peinlich. Ehre konnte man so jedenfalls nicht gewinnen und mit entsprechend geringem Enthusiasmus waren sie dann bei der Sache. Jedenfalls war bei ihnen nichts von dem schier grenzenlosen Hass zu spüren, der die Strenge erfüllte.

      Li hatte sich lange gefragt, woher dieser Hass wohl rührte – ein Hass, der insbesondere den Angehörigen des Han-Volkes zu gelten schien, denn die behandelte sie besonders schlecht.

      Von einer tibetischen Magd, die Toruks Leuten auf irgendeinem Raub in die Hände gefallen war und seitdem der Strengen diente, erfuhr Li dann, dass die Eltern der Strengen durch chinesische Soldaten getötet worden waren. Sie hatte das als kleines Mädchen von kaum fünf Jahren mit ansehen müssen.

      „Die Strenge spricht mit dir über solche Dinge?“, wunderte sich Li, nachdem die Magd ihr dies erzählt hatte. Göng war ihr Name und sie hing der Lehre Buddhas an, die sie in die Lage versetzte, alles zu ertragen, was ihr zugemutet wurde. Zumindest erklärte sie das so.

      „Sie spricht nur mit mir über solche Dinge, denn von mir fühlt sie sich nicht bedroht.“

      „Ich bedrohe sie auch nicht!“

      „Oh doch. Denn in dir und deinesgleichen sieht sie die Soldaten des Kaisers aus dem Reich der Mitte, die ihre Eltern getötet haben.“

      An diese Unterhaltung musste Li denken, als sie nun der zornigen Strengen gegenüberstand, die sie ansah, als wäre sie eine Ausgeburt des Bösen schlechthin.

      Ein Trupp von Reitern lenkte nun die Aufmerksamkeit aller auf sich – auch der Strengen.

      Es waren Toruk und etwa zwanzig Krieger. Sie hatten offenbar die Gegend abgeritten, um zu sehen, ob vielleicht doch eine Kriegsschar in Gang gesetzt worden war, um ihm und seinen Leuten die Beute abzunehmen.

      Im Laufe der letzten Wochen hatten die Uiguren immer wieder das Lager abgebrochen und waren dann einig Meilen weiter westlich gezogen.

      Manchmal hatten Toruk und seine Männer auch einige der Gefangenen mitgenommen, um sich an vorher vereinbarten Stellen zu einem Austausch gegen Lösegeld zu treffen. Von solchen Ritten kehrten die Reiter in jedem Fall ohne ihre Gefangenen zurück, ganz gleich, wie das Treffen vonstatten gegangen war.

      War genug Silber bezahlt worden, dann sah man das bereits an den prall gefüllten Leinensäcken, die an ihren Sätteln hingen. Wenn hingegen die andere Seite nicht genug hatte aufbringen können oder der Versuch unternommen worden war, die Uiguren in eine Falle zu locken, dann kehrten Toruks Männer mit blutigen Schwertern zurück.

      In der Zeit, die Li und die ihren nun schon bei den Uiguren verbrachten, war das allerdings erst ein einziges Mal vorgekommen. Zur Abschreckung hatte Toruk den Kopf eines der Gefangenen in einem blutdurchtränkten Jutesack ins Lager zurückgebracht, die anderen Gefangenen versammelt und ihn vor ihnen auf dem Boden hingerollt.

      Li hatte das Gesicht gleich wiedererkannt.

      Es gehörte einem ranghohen Tanguten, der in ihrer Heimatstadt für den Herrn von Xi Xia die Steuern eingetrieben hatte. Seine Familie hatte dieses Privileg schon genossen, als noch die Kaiser des mittleren Reiches über Xi Xia geherrscht hatten. Ein über Generationen angehäufter, schier unermesslicher Reichtum war die Folge und da Toruk sehr wohl bewusst gewesen war, was sie da für einen Fang gemacht hatten, war die Forderung an auszuzahlendem Silber sicher entsprechend hoch. Warum auch nicht? Auch wenn die Uiguren die Familie des unglücklichen Steuereintreibers natürlich all ihres beweglichen Reichtums beraubt hatte, so war doch eigentlich davon auszugehen, dass der Herr von Xi Xia ihr für die Auslösung eines treuen Dieners ein Darlehen gewährte, was diesen dann um so fester an seine Herrschaft gebunden

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