Скачать книгу

ansehen. „Nichts! Gar nichts! Wir haben es mit Hunden probiert, die die Witterung aufnehmen sollten.”

      „Und?”

      „Unklares Ergebnis. Es wäre möglich, dass er Richtung Straße zurückgegangen ist.”

      „Was ist mit Fußspuren?”

      „Es gibt einen Schuhabdruck Größe 43. Das passt zu Jörns Füßen. Allerdings auch zu gefühlten zwei Dritteln aller anderen Einwohner.”

      „Abdrücke einer zweiten Person gibt es nicht?”

      „Keine, die sich erhalten hätte. Aber sie sehen ja, wie es hier aussieht. Es gab außerdem einen heftigen Regenguss, der wohl auch einiges, was man vielleicht noch an Spuren hätte sicherstellen können, vernichtet hat.”

      „Und wer hat den Wagen gefunden?”

      „Victor Pedersen. Er ist der Förster hier in der Gegend und wenn er nicht gerade mit irgendeiner Baumkrankheit in diesem Gebiet zu kämpfen hätte, dann wäre der Wagen vielleicht erst in Monaten entdeckt worden. Die Wanderwege und was es hier in der Gegend alles gibt, um die Touristen zu beschäftigen, führen hier nämlich nicht her.”

      Ich sah mich noch etwas um. Wonach ich letztlich suchte, wusste ich ehrlich gesagt nicht so genau. Ich versuchte mir einfach die Situation vorzustellen. Was war genau passiert? Der Gedanke, dass Jörn Gottlieb vielleicht doch auf eigene Faust untergetaucht sein konnte, drängte sich in diesem Moment einfach geradezu auf. Nur fehlte dazu der Grund.

      Selbst wenn er durch irgendwen bedroht worden wäre, wenn ein Mann wie Sebastian Pender beispielsweise Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, um sich an Gottlieb zu rächen und es dieser dann für notwendig erachtet hätte, unterzutauchen, hätte er wohl kaum seine Familie schutzlos zurückgelassen.

      Oder ging ich von ganz falschen Voraussetzungen aus?

      Steckte eine völlig andere Sache hinter dem Verschwinden von vier Kollegen?

      Ich musste an das Attentat auf Kahlmann denken und fragte mich nicht zum ersten Mal, wie das alles zusammen passte. Lag der Denkfehler vielleicht darin, dass es sich um verschiedene Fälle handelte, die eigentlich gar nichts miteinander zu tun hatten, auch wenn es einen zeitlichen Zusammenhang und eine Gemeinsamkeit zwischen den Opfern gab?

      Frau Gansenbrink hatte in einem Gespräch, das wir geführt hatten, mal von einer mathematischen Scheinrelation gesprochen. Und davon, dass sich das menschlich Gehirn manchmal selbst austrickst.

      Der Klingelton meines Handys riss mich aus meinen Gedanken, die sich irgendwie ohnehin im Kreis zu drehen schienen.

      Am anderen Ende der Verbindung war Dr. Wildenbacher.

      „Hallo, Harry”, begrüßte mich Wildenbacher. „Ich rufe an, weil ich die Befunde zu Gregor Bellhoffs Ableben überprüft habe. Natürlich konnte ich nur die vorhandenen Daten benutzen, also Röntgenbilder, Laborberichte, OP-Berichte, Ergebnisse verschiedener fachärztlicher Untersuchungen etc. und diese auf ihre Stimmigkeit überprüfen. Ich bin da auf ein paar Dinge gestoßen, die mich stutzig gemacht haben. Mit medizinischen Einzelheiten will ich Sie nicht langweilen, zumal Sie davon ohnehin nichts verstehen. Aber zusammengefasst könnte man sagen, dass ich Zweifel daran habe, dass Bellhoff wirklich an seinem Tumor gestorben ist.”

      „Woran dann?”, hakte ich nach.

      „Also zunächstmal folgendes: An seiner Tumorerkrankung gibt es keinen Zweifel, auch es steht auch außer Frage, dass diese Erkrankung lebensgefährlich war und ihn sehr wahrscheinlich innerhalb des nächsten oder übernächsten Jahres umgebracht hätte. Irritiert haben mich allerdings Symptombeschreibungen, die durch eine Vergiftung verursacht worden sein könnten. Und das wiederum habe ich nun mit den Untersuchungsergebnissen abgeglichen, was meinen Verdacht erhärtet hat.”

      „Wieso hat man das übersehen?”

      „Man hat überhaupt nicht danach gesucht, Harry. Wenn jemand einen schlimmen Tumor hat, fokussiert sich die ganze ärztliche Aufmerksamkeit darauf und auf sonst nichts. Wenn Ihnen auf der Straße ein Elefant entgegenläuft, beachten Sie auch nicht den Stich einer verseuchten Mücke, der Sie gerade mit dem Erreger des West-Nil-Virus umbringt! Ich habe schon mit Kriminaldirektor Hoch gesprochen. Ich komme persönlich zur Exhumierung.”

      „Exhumierung?”

      „Es wird eine Exhumierung geben und vielleicht sehen wir danach etwas klarer.”

      19

      Der Tod von Gregor Bellhoff hatte sehr wahrscheinlich keine natürliche Ursache gehabt. Damit gehörte er in eine Reihe mit der Ermordung von Kommissar Kahlmann durch einen Killer und dem immer noch mysteriösen Unfall, dem Theo Görremann vor dem ‘Magic’ in Hannover erlegen war.

      Wir fuhren zusammen mit Calanoglu zu Jörn Gottliebs Privatadresse. Ihm hatte ein Bungalow mit eigenem Bootsanleger im südwestlichen Teil von Biesbach gehört. Das Haus lag direkt an einem See.

      Ein Ort, an dem andere Leute ihre Ferien verbrachten.

      „Und du fragst dich noch, warum Kommissar Gottlieb es vorgezogen hat, hier zu leben, anstatt in Berlin oder irgendeiner anderen größeren Stadt Karriere zu machen”, meinte Rudi.

      „Sag bloß, ein kleines Haus am See wäre auch was für dich”, gab ich zurück.

      „Nicht wirklich”, meinte Rudi. „Jedenfalls nicht auf die Dauer.”

      „Na, da bin ich ja beruhigt. Ich dachte schon, dass ich dich vielleicht doch nicht so gut kenne, wie ich dachte.”

      Wir trafen Nelly Gottlieb auf der Veranda ihres Hauses. Calanoglu stellte sie uns vor. Die beiden redeten sich beim Vornamen an. Calanoglu erkundigte sich nach den Söhnen und wie sie das Verschwinden ihres Vaters verkraftet hätten. Calanoglu schien tatsächlich gut mit der Familie bekannt zu sein.

      „Es ist furchtbar für uns alle”, sagte Frau Gottlieb. Sie trug ihr brünettes Haar offen. Das Gesicht war feingeschnitten. Um die Mundwinkel hatte sich ein harter Zug eingegraben. Man konnte ihr die Anspannung ansehen, die sie gefangen hielt. Und ich hatte dafür Verständnis. Die Ungewissheit über das Schicksal ihres Mannes musste schier unerträglich sein.

      Nachdem Calanoglu uns vorgestellt hatte, sah Nelly Gottlieb mir geradewegs in die Augen. „Um Ihre erste Frage gleich vorweg zu beantworten, Herr Kubinke: Ja, ich weiß, dass es hin und wieder Menschen gibt, die sagen, dass sie nur ein paar Zigaretten holen wollen und dann für immer verschwinden. Und nein, mein Mann gehört ganz sicher nicht zu dieser Sorte. Ihm muss etwas zugestoßen sein, anders ist das, was geschehen ist, nicht erklärlich.”

      „Nun, das war eigentlich

Скачать книгу