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Ich fand das nicht schlecht, gehörte ich doch zu den Vorläufern dieser ganzen Bewegung und schrie mir jeden Abend mein kleines, dunkles Herz aus dem Hals. Aber dann entwickelte sich was wirklich Beschissenes daraus. Die Leute hielten die Schreierei für ein ehrliches Gefühl, die Wut wurde zum Synonym aller Gefühle. Um leidenschaftlich zu erscheinen, musste man also nur in einer Metal-Band spielen – „Oh, er hat ja so viel Feeling.“ Ihr verfluchten Judas Priest, wollt ihr mich verarschen? Jeden Abend stellen sich Jazz-Sänger auf die Bühne und offenbaren uns ihre ganze Seele, und keinen interessiert das. Fuckbucket, der Lead-Sänger der Band Fill (deren Logo der Musik ähnelt – verworren, unlogisch, abgedroschen), bölkt das gesangliche Äquivalent von Kotze in ein SM57-Mikrofon, schmeißt noch eine gehörige Portion „Dad“ und „Fuck“ da rein und die Leute feiern ihn als den nächsten Jim Morrison.

      Hier zeigt sich folglich keine reale Emotion, die wirklich gefühlt wird, sondern eine alte Erfahrung, die beim Schreien im Metal zur Schau gestellt wird. Es ist also vollkommen unmöglich über eine Emotion definiert zu werden, wenn keiner weiß, was genau man fühlt und ob dies wirklich gefühlt wird. Die besagte „Sünde“ bezieht sich also nur auf ein von außen wahrgenommenes Gefühl. Warum hat die Kirche so viel Angst vor fühlenden Menschen? Ich habe da eine Theorie. Die institutionalisierte Religion versucht alles, um das Handeln der Menschen zu kontrollieren, und so ist es auch sinnvoll, die Emotionen zu kontrollieren, besonders den Zorn, da dieser eine natürliche Reaktion auf Institutionen oder Einzelne darstellt, die andere unterdrücken wollen. Wie können Menschen also an einem zornigen Reflex gehindert werden, wenn ihnen ihre Taten und Gedanken vorgeschrieben werden? Erzähl ihnen einfach, dass es eine Sünde ist. Es ist eine Philosophie, die die Selbstverwirklichung verhindert. Je weiter man sich von dem Ursprung entfernt, desto undurchdringlicher wird das Ganze. Zur Zeit von Martin Luther mag es noch möglich gewesen sein, solch einen manipulativen Mechanismus umzukehren. Heute jedoch, nach Hunderten Jahren des Dogmas und der erfolgreichen Gehirnwäsche, kann man sich die Fäuste an der Mauer der blinden Akzeptanz blutig hämmern – so lange man will. Am Ende hast du dann nur blutüberströmte Knöchel und fühlst einen Anflug der Frustration der Moderne.

      Ja, und falls du es bis jetzt nicht bemerkt haben solltest – ich habe ein großes Problem mit Religionen. Die organisierte Religion wurde schon immer als Blaupause für unzählige Fehltritte missbraucht, häufiger als alle anderen Institutionen, die mir in meinem Leben begegneten. Schon früh wurde mir eins klar: Für eine Glaubensgemeinschaft, die das Glorreiche der Liebe preist und Zorn als Sünde auffasst, sind sie aber eine Gruppe voreingenommener und aggressiver Menschen, nicht wahr? Wie ich schon sagte – die Scheinheiligkeit ist eine der größten Sünden in der Welt, denn die Auswirkungen sind verheerend. Die Gläubigen werden in eine Richtung gelenkt, während sich die „Rechtschaffenen“ alles erlauben können.

      Letztere sollten sich genüsslich selbst ficken!

      Ähnlich der Wollust, die einzige andere „Sünde“, die vordergründig als Emotion falsch interpretiert werden kann, ist der Zorn mit einem Stigma behaftet, das sich durch jahrhundertelange Falschdarstellung und Furcht ins Unendliche gesteigert hat. Wenn ein Mensch wütend wird, denken die anderen zwangsläufig, dass etwas Schlimmes geschehen wird – darauf sind sie konditioniert. Das lässt sich zum Teil auf das, ich will es mal scherzhafterweise „Höhlenmenschen-Gen“ nennen, zurückführen, aber auch auf die Propaganda der Religionen. Wenn ich wütend werde, denkt ein Großteil der Menschen automatisch, dass ich jemanden umbringen, meine Kinder schlagen, ein Pferd vergewaltigen oder etwas ähnlich „Langweiliges“ machen werde. Was ist denn hier die größere Sünde? Der Zorn oder die ganze Schlammschlacht, die um dieses Gefühl geschlagen wird?

      Wut wird zu einer Sünde, wenn Eltern ihre Kinder schlagen. Ein wahrer Sünder ist der Mörder, der sein Opfer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Oder ein Lehrer, den seine negativen Gefühle zu Kindern davon abhalten, ihnen etwas beizubringen. Zu den Sündern zählt eine Frau, die ihren Mann betrügt, nur weil er ihr keinen großen Diamantring zum Geburtstag gekauft hat. Die Räder eines Busses mögen „rundlaufen“, aber ein Bus wird dich überrollen, wenn kein Fahrer am Steuer sitzt und ihn lenkt.

      Der Zorn ist eine vielschichtige Emotion mit unterschiedlichster Intensität, die sich sogar im positiven Sinn auswirken kann, hat aber durch viele Jahrhunderte unreflektierter Anprangerung seine Narben hinterlassen. Der Zorn kann im Kampf um die Menschlichkeit zu einer mächtigen Waffe werden. Einige würden sogar so weit gehen, diese Emotion zu verdrängen und die Menschlichkeit sich selbst überlassen, was die Frage aufwirft: Welche Sünde ist größer – der Zorn oder die Furcht? Warum sollte ein guter Mensch nichts tun, um die Welt zu verbessern? Ist es besser, das Unbekannte zu fürchten oder das Feuer ausbrechen zu lassen, das den Kampf entfacht?

      Ich möchte an dieser Stelle mal eine merkwürdige Idee vorstellen: Was ist Tapferkeit, wenn nicht eine potente Kombination von Zorn und Furcht? Lässt sich der Wagemut nicht darauf zurückführen, dass ein Mensch so wütend und ängstlich ist, dass ihm das Undenkbare gelingt? Wut durchdringt die Gesellschaft. Wenn die Nettigkeiten verflogen sind, kommt der uralte „Kämpfe oder flüchte“-Instinkt, der Überlebenstrieb, zum Vorschein. Können wir überhaupt mit wütenden Menschen klarkommen? Ja sicher, denn das müssen wir jeden Tag. Können wir ein Leben ohne den Zorn führen? Mit aller Deutlichkeit – nein! Eine friedliche Koexistenz ist nicht in unserer DNS festgeschrieben. Es gelingt uns, eine gewisse Freundlichkeit zu spielen, doch wir werden nie die Ruhe und den Frieden finden, in denen keine Wut existiert. Und warum sollen wir dieses Gefühl in die Kategorie „Todsünde“ einordnen? Vergiss, was Idealisten und Hippies behaupten – der Zorn ist allgegenwärtig und wird es immer sein.

      Das Thema geht mir ziemlich unter die Haut, denn ich bin immer wütend gewesen. Im Alter von neun Jahren habe ich die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit aus meinem Leben gestrichen. Als meine Welt aus den Fugen geriet, gehörte die Idylle der Vergangenheit an. In meiner frühen Kindheit musste ich Armut, Erniedrigung, Schikanen und Missbrauch erleben, und je mehr sich meine Muskeln anspannten, desto wütender wurde ich. Mit jedem Schlag, den ich wegsteckte, ersehnte ich mir mehr und mehr den Tag der Abrechnung, an dem ich auf jeder Straße in jedem Land dieser Welt meine geballten Aggressionen ausleben könnte. Ich wünschte mir ein Karma, das Pflöcke in die finsteren Herzen derer trieb, die Schuld an der Verbitterung trugen, die mich einen Großteil meines Erwachsenenlebens plagte. Meine Erinnerung ist lückenlos: Ich erinnere mich daran, wie ich über und über mit Essen bekleckert die Schule verließ, weil die Klassenrüpel mit ihren Tabletts nach mir geworfen hatten. Ich musste mir sichere Wege nach Hause einfallen lassen, da einige Idioten scheinbar nichts besseres zu tun hatten, als mich plötzlich anzuspringen und zu Boden zu reißen. Und dann riefen sie noch an, verarschten mich und warfen Klopapier in unsere Bäume, sodass ich das Gefühl bekam, niemals geschützt und geborgen zu sein. Jeden Morgen bevor ich zur Schule ging, hätte ich in Tränen ausbrechen können. Ich erinnere mich an die Scham und die Verletzungen – und ich erinnere mich daran, in ein Haus zurückzukehren, das auch nicht sicher war.

      Ja, noch heute kann ich mich an die Namen der ganzen Typen erinnern.

      Ich weiß, was sie machen und wie ihr Leben aussieht: Jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend verbringen die in einem dunklen Loch voller Ignoranz. Und weil ich immer noch wütend bin, und es immer sein werde, denke ich daran, wie diese Großkotze, die eins auf die Fresse kriegen müssten, geendet sind.

      Und ich lächele.

      Vielleicht werde ich meinen Zorn, meine Wut niemals los, aber ich werde auf immer und ewig den letzten Lacher haben.

      Ist das schlimm? In Deutschland wird das Gefühl mit dem Wort Schadenfreude bezeichnet, was so viel bedeutet wie: „Spaß daran zu haben, das Pech oder Versagen eines anderen zu beobachten.“ Ist es falsch, sich einen abzulachen, weil aus den beschissenen Rabauken meiner Kindheit noch größere Versager geworden sind, als ich es mir jemals hätte vorstellen können, dass sie sich abstrampeln und ein Leben führen, mit dem ich mir noch nicht mal den Arsch abwischen würde?

      Für einige wäre das falsch, aber für mich? Verdammt noch mal, nein!

      Ist es eine Sünde? Natürlich nicht!

      Es reicht schon an die Definition des Menschseins heran, wenn du Spaß dabei hast, dass deine Feinde

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