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Die sieben Todsünden. Corey Taylor
Читать онлайн.Название Die sieben Todsünden
Год выпуска 0
isbn 9783854453536
Автор произведения Corey Taylor
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Издательство Bookwire
Der Grund, warum sich so viele Menschen vor dem Zorn fürchten, liegt in der damit assoziierten Gewalt. Die Gewalt löst Ängstlichkeit aus, und ängstliche Menschen ziehen eine Trennlinie und kapseln sich ab. Wie schon erwähnt – jeder wird wütend, doch nicht jeder reagiert gleich. Die Gewalt – und hiermit meine ich unterschiedlichste Nuancen – versetzt die anderen in eine Starre und bringt sie dazu, die wahren Gefühle zu verleugnen. Durch die Gewalt befürchten Menschen bei einem ungewöhnlichen Geräusch in der U-Bahn schon das Schlimmste. Durch drohende Gewalt überlegen sich die Leute – wie könnte es auch anders sein – mit wem sie es zu tun haben. Darum halten wir unsere Frustrationen zurück und verschwenden Zeit und Geld, um unsere Probleme teilnahmslosen Therapeuten zu erzählen. Manchmal wird durch die Stagnation, das Verdängen der Wut, eine Feuersbrunst überschäumender Vergeltung ausgelöst, die die Kirchen niederbrennt und unsere gemeinsame Sicherheit beschmutzt. Mir ist klar, dass ich gerade so boshaft wie der Schauspieler und Entertainer Nipsey Russell klinge, aber ich betrachte die Welt ohne Überheblichkeit und unvoreingenommen. Darum kann ich mit Sicherheit behaupten, dass unsere Reaktionen immer die Früchte unserer Kreationen verderben werden. Wenn du mit einer Situation in einer bestimmten Art und Weise umgehst, wirst du ein spezifisches Resultat erhalten.
Vor langer Zeit glaubte ich noch daran, dass die Menschen die richtigen Entscheidungen treffen. Unglücklicherweise riss mich die Realität immer wieder aus dieser naiven Ansicht. Mit 19 hatte ich einen Traumjob – in einem Plattenladen. Der gehörte zwar zu einer großen Kette, was mich aber nicht weiter störte. Im Grunde genommen war es das musikalische Äquivalent eines Jobs bei einer Fastfood-Kette wie Wendy’s, aber auch das konnte mich nicht erschüttern. Ich hatte die Chance, mir den ganzen Tag Musik anzuhören, und bekam einen wirklich netten Rabatt auf die CDs. Es war eine tolle Arbeit, obwohl ich mich nett und adrett kleiden musste. Das nervte natürlich, aber ich nahm es in Kauf, da ich zum ersten Mal, mit der Ausnahme des Musikmachens, etwas wirklich gut konnte. Es mag dämlich klingen, aber der Job gab mir das Gefühl, normal zu sein, und das „Normale“ fühlt sich in gewissen Zeiten einfach gut an.
Doch es gab ein Problem. Ich hatte lange Haare. Nach heutigen Maßstäben klingt das völlig belanglos, aber noch vor 15 Jahren machten die eine große Sache daraus, speziell im Mittleren Westen. Die Haare waren weder gefärbt noch trug ich Dreadlocks oder eine abgefahrene Frisur, ich hatte einfach nur lange Haare. Und was kann daran so schlimm sein? Die Antwort auf die Frage lautete offensichtlich: „Das ist einfach sehr schlimm!“ In den Arbeitsvorschriften dieser Kette stand, dass die Haare eines männlichen Angestellten nicht den Hemdkragen berühren durften. Mir wäre das eigentlich egal gewesen, doch als ich eingestellt wurde, wies mich niemand darauf hin. Nach einigen Monaten kam der Besitzer zur Inspektion, um alles penibel zu kontrollieren. Ohne etwas zu ahnen, stellte ich mich vor. Er blickte mich kurz an, drehte sich zu seinem Assistenten um und meinte: „Der muss sich die Haare schneiden lassen, oder er kann gehen.“ Mein Vorgesetzter versuchte alles, um mich zu verteidigen, aber es war schon zu spät. Die setzten mich verflucht noch mal vor die Tür.
Bist du bereit für den noch beschisseneren Teil?
Am anderen Ende der Stadt, in einer anderen Filiale, arbeitete ein Typ mit wesentlich längeren Haaren – und das schon seit sieben Jahren. Sieben verdammte Jahre! Der Filialleiter verhielt sich so geschickt, ihn immer während der Inspektionen zu verstecken. Ich zog ihn als Argument heran, um meinen Job zu behalten, aber keiner wollte großes Aufsehen erregen und etwas sagen. Ich war gefeuert und er behielt seine Arbeit, bis die ganze Kette pleite machte. Ich bete dafür, dass er mit seinen Haaren nun die Dixie-Klos in Toledo, Ohio putzen muss.
Als es darauf ankam, haben mich die Leute, wie es so üblich ist, verraten und verkauft, um den eigenen Job nicht zu gefährden. Auch der langhaarige Typ hätte etwas sagen können, blieb aber mucksmäuschenstill. Du stellst dir jetzt sicherlich die Frage, warum ich immer noch ein wenig angefressen bin. Um ehrlich zu sein, hatte ich schon gar nicht mehr daran gedacht, bis ich mit diesen Zeilen begann. Scheinbar bin ich noch ärgerlich, und der Grund dafür liegt darin, dass es einfach nicht fair war – und ich hege einen unerschütterlichen Glauben an die Gerechtigkeit! Falls du ein faires Spiel verlierst, packst du das weg, lernst daraus und machst es beim nächsten Mal besser. Aber beschissen und abgezogen zu werden wie ein Freak, während sich die anderen noch ein paar Tage als was Besseres vorkommen, ja, darin liegt die Wurzel meiner andauernden Wut. Wenn ich mir vor Augen führe, was ich in den letzen Jahren erreicht habe, sollte mich das eigentlich nicht mehr jucken. Ja, es war ein zeitlich begrenzter Job und ich lernte eine Menge, indem ich meinen Stolz runterschluckte und akzeptierte, dass es immer noch Menschen gibt, denen Männer mit langen Haaren Unbehagen bereiten. Aber ist das Gerechtigkeit?
Bei meinem Job habe ich mir den Arsch aufgerissen und den Umsatz gesteigert. Ich habe die Kunden höflich und zuvorkommend behandelt. Wäre ich ein ganz normaler Typ gewesen, hätten die mich für eine Beförderung vorgeschlagen. Schon damals hielt ich nicht viel von Kompromissen, und im Großen und Ganzen betrachtet war es wirklich eine triviale Angelegenheit. Aber die langen Haare? Nein, die hätten wirklich keine Rolle spielen dürfen! Ich bin zwei Mal reingelegt worden – ein Mal von dem Besitzer und dann noch von meinen Freunden. Bist du jetzt immer noch erstaunt, warum ich so sauer bin? Man lässt viel zu viele Menschen in seine Nähe, zeigt ihnen seine wirklichen Gefühle und verliert dabei die Kontrolle. Ich habe daraus eine bittere Lektion in Sachen Loyalität und Gerechtigkeit gelernt. Glücklicherweise begegneten mir Menschen in meinem Leben, die mir wieder den Glauben an diese beiden wertvollen Charaktereigenschaften ermöglichten. Aber trotzdem beschleichen mich bei den meisten Leuten so meine Zweifel. Ich vermute, das wird sich nie ändern.
Was ich damit eigentlich sagen will – im Leben wird es oft Momente geben, die dich wahnsinnig machen. Falls dir jemand was anderes erzählt, solltest du ihm oder ihr eine schallende Ohrfeige verpassen, denn es ist eine Lüge. Wie können diese Momente als Sünde bezeichnet werden, wenn sie ganz einfach zum Leben gehören? Der Mensch neigt zum Zorn. Die Scheinheiligen und Religiösen werden das als Beleg der ursprünglichen Sünde deuten; sie werden dir erzählen, dass Gott gnädig sein wird, wenn du ihn um Vergebung bittest. Wollt ihr mich verarschen? Wer seid ihr überhaupt? Ihr nehmt euch heraus von einem „Gott“ zu reden. Wenn es einen „Gott“ gibt, wie könnt ihr euch erdreisten, für ihn zu sprechen? Kennt ihr ihn? Habt ihr ihn getroffen? Hey, ich habe da eine viel leichtere Frage: Seid ihr verfluchte Lügner? Habt ihr euch schon mal Gedanken gemacht, die nicht von Gottes Ouija-Brett, seiner Buchstaben- und Zahlentafel für spiritistische Sitzungen, gefiltert wurde? Hat euch Gott aus dem Himmel eine Textbotschaft gesandt? Vielleicht mit einem Emoticon mit Heiligenschein? Diese schmierigen Scharlatane mit ihren Heilsversprechen sind so viel wert wie ein zerschossenes Glas, kennen aber jeden nur erdenklichen Weg, um den Durst der Einsamen zu löschen, die nur Antworten auf ihre Fragen suchen.
Wir begegnen den dunkelsten Momenten unseres Lebens in den Winkeln und Nischen, die wir vermeiden wollen. Wie Verzweifelte klammern wir uns an ein wackeliges Seil, während wir uns durch Zusammenstöße und Ereignisse hindurchwinden. Doch die Ironie des Schicksals dringt in diese Nischen ein und zieht uns mit. So begegnen wir den dunklen Seiten der anderen, die wiederum unsere negativen Emotionen erleben. Sind wir es, die unser Umfeld beschmutzen, oder ist es unser Umfeld, das uns beschmutzt? Was tauchte zuerst auf – der Zorn und die Zerrissenheit oder das Schicksal?
Von mir aus können wir alle in einem riesigen