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zu den „Verpflichtungen“ des realen Lebens zurückzukriechen. Was für ein Schwachsinn! Niemand fühlte sich zuständig, mich und meine Schwester zu beschützen und abzuschirmen. Schon jahrelang peinigten uns alle nur erdenklichen Schattierungen des Hasses und der Wut, doch an diesem Abend sollte es noch schlimmer kommen. Was geschieht mit dir, wenn plötzlich die ganze Welt auf dich einstürzt?

      Meine Schwester und ich hielten uns im Wohnzimmer auf. Wir hatten beide jeweils eine Couch zum Pennen. Die Bewohner des Hauses möchte ich mal Jim und Sadie nennen, vor allem, weil ich mich lange Zeit bemüht habe, ihre Namen zu vergessen. Sie stellten so was wie „professionelle Jugendliche“ dar, denn obwohl in den Dreißigern, verhielten sie sich noch wie 16-Jährige. Delinquenten beim Bluffen zuzuschauen wirkt manchmal so, als würden Affen Poker spielen. In dem Moment, in dem es so scheint, als wüssten sie, was sie machen, scheißen sie andere Leute an. Jim war arbeitslos, aber im Grunde genommen noch am meisten „beisammen“. Er verbrachte sogar die Zeit mit uns, machte Lunch und kümmerte sich um alles. Sadie lässt sich, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, als eine miese, versoffene Drogenabhängige beschreiben – einfach ein Loch, in das Männer ihr Ding rein steckten. Und sie dachte noch, diese Typen gäben wirklich was auf sie. Sie hatte drei Kinder von drei verschiedenen Kerlen, und um alle kümmerte sich Jim – Respekt, mein Freund! Sie war eine zweitklassige Frau in drittklassigen Klamotten – unausstehlich, laut und ignorant. Sadie scherte sich um nichts, und machte keinen Hehl daraus. Ich werde nie verstehen, wie Jim es mit so einer schäbigen Schlampe aushalten konnte. Aber er lebte ja nicht allzu lang mit ihr zusammen.

      In dieser Nacht, nach dem Barbecue, hatte sich Sadie abgesetzt, um auf eine andere Party zu gehen – ohne jemanden Bescheid zu sagen. Sie verließ die Kids ohne nachzudenken, um noch mehr Alkohol zu kippen und sich anderen Scheiß zu besorgen. Ich glaube, meine Mutter begleitete sie, denn ich kann mich nicht erinnern, wo Mum in dieser Nacht schlief. Ich beobachtete Jim, der stündlich wütender und wütender wurde, denn Sadie ließ auf sich warten. Er brachte ihre Kinder ins Bett. Immer noch kein Zeichen von ihr. Er setzte sich mit mir und meiner Schwester vor den Fernseher. Nichts. Kurz danach schliefen wir auf der Couch ein. Jim schlummerte in seinem Lehnstuhl. Noch immer war sie nicht aufgeschlagen.

      Ich wachte auf, als jemand an die Haustür hämmerte und laut schrie. Gerade als ich neugierig meinen Kopf hob, wurde klar, dass es kein Hämmern, sondern lautes Treten war. Da trat jemand mit voller Kraft gegen die Tür, weil der Sicherheitsriegel das Schloss blockierte.

      Alles lief in Zeitlupe ab: Jim sprang aus dem Sessel, die Tür sprang mit einem lauten Bersten auf und Sadie stand da, ein Fuß noch auf dem Treppenabsatz.

      Dann schlug ihr Jim voll ins Gesicht.

      Sadie flog rückwärts in den Vorgarten, viel zu besoffen um sich zu verteidigen. Sie schrie um Hilfe und verdammte Jim mit jedem nur erdenklichen Fluch. Er hatte die ganzen Stunden der Stille ertragen, in denen sie eine Party feierte, um ihre Leere zu überspielen, und ihn ohne schlechtes Gewissen mit einem Haus voller Kinder zurückließ – die noch nicht mal seine eigenen waren. Er konnte nur noch seine Füße spüren, mit denen er ihr in den Rücken trat. Dann fiel er über Sadie her und würgte sie. In der Ferne hörte ich eine unbekannte Stimme, die die beiden „heißblütigen Liebenden“ warnte, dass gleich die Cops kämen. Aber Jim war das egal – er empfand sich als Mensch, der verarscht und ausgenutzt wurde, in Bezug auf seine Wünsche und Bedürfnisse degradiert auf einen flüchtigen Gedanken seiner „Freundin“. Wie ein außer Kontrolle geratener Dampfkessel stand er vor dem Platzen, würde nicht schnell jemand das Sicherheitsventil aufdrehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Wut abzulassen, die sich aufgestaut und angesammelt hatte. Er wirkte wie eine Bombe mit zwei Fäusten, wie ein Vesuv auf zwei Beinen. Er wollte zerstören.

      Ich beobachtete das alles, auch das unvermeidbare Nachspiel. Sadie versuchte zu flüchten und Jim verfolgte sie, ohne dabei an die Kinder zu denken. Ich setzte mich hin und wartete mit den jüngeren Kids. Die Cops tauchten auf, Hände auf die Pistolen gelegt. Meine Schwester fing an zu weinen und steckte damit die anderen an. Ich erklärte den Polizisten, dass die beiden weggerannt waren. Einige Cops liefen in die ungefähre Richtung. Irgendwann später führten sie Jim in Handschellen ab, während Sadie in einem Polizeiauto saß und wie wild schrie. Ein Beamter fragte mich nach der Telefonnummer.

      Ein entfernter Freund meiner Mutter kam, um uns abzuholen und nach Hause zu bringen. Die Sonne ging auf. Mehrere Tage lang sagte meine Schwester nichts mehr. Wir sahen diese Leute nie wieder.

      Die Wut an sich ist keine Sünde, kann aber ein Auslöser sein, Sünden zu begehen. Wenn wir Gefühle aufstauen und uns nicht eingestehen, dass wir den Ärger zulassen müssen, wird das zu einem richtigen Problem. Es kann ziemlich viel Mist passieren, wenn sich die Leute selbst täuschen und einreden, alles wäre in Ordnung. Ich bin mir sicher, dass Jim ein echt anständiger Kerl war, und Sadie sich um ihre Kinder Gedanken machte. Dieses Urteil basiert natürlich auf den vagen Erinnerungen eines Elfjährigen. Die genauen Geschehnisse sind im Rückblick eher verschwommen, die damit verbundenen Gefühle empfinde ich aber nach wie vor umso deutlicher. Diese Erfahrung blieb wie Scheiße an mir kleben. Niemand schützte mich und meine Schwester vor dem puren Hass und der tobenden Wut. Damit wurde mir klar, dass ein Mensch mit dem „richtigen“ Schubs und dem „richtigen“ Druck zu jeder Zeit verletzt werden kann. Das wiederum machte mich wütend, brachte mich dazu, die Welt zu hassen und anderen zu misstrauen. So eine Kindheit war ganz einfach nicht gerecht – ich hätte nicht so aufwachsen dürfen. Für die meisten Menschen ist das der Beginn einer kriminellen Karriere. Ich verwandelte diese Erfahrungen in Musik.

      Aber trotz alledem bleibe ich dabei, dass Zorn keine Sünde ist. Wut und Zorn können einen Nutzen haben, wenn sie in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Viele der bedeutendsten künstlerischen Errungenschaften wirken wütend, erschütternd und zerrissen. Mäßigung ist hier das Schlüsselwort – versuche dich zu mäßigen. Aus einem offensichtlichen Grund kann nicht der „Sünde“ die Schuld zugeschoben werden. Wenn einer beschuldigt wird, müssen auch alle anderen beschuldigt werden. Die Leute, die einfach zusahen und nicht handelten, sind schuldig. Die, die lachten und das lustig fanden, sind schuldig. Die, die still litten, statt etwas zu sagen, sind schuldig. Stell dir einen Stammbaum vor, in dem nur die Namen der Leute stehen, die an dem Abend dabei waren – dann wird klar, was ich meine.

      Zorn hat aber auch eine Kehrseite, da wir in so einer Lage oft merkwürdige Dinge veranstalten. Warst du jemals so sauer, dass du nichts mehr sagen konntest? So sauer, dass aus deinem Mund der größte Scheiß kam, der der Menschheit je in die Ohrmuscheln gedrückt wurde? Diese Dummheit kann genau so ansteckend sein wie die Wut selbst. Versuch mal mit einem anderen zu reden, wenn dich alles ankotzt – die Worte sprudeln nur so hervor, alles wird lauter und lauter bis zu dem Punkt der einsilbigen Stammeleien, die wie ein luftloses Bellen klingen. Das klingt wie ein Auktionator mit Tourette-Syndrom.

      Auf einen außenstehenden Beobachter können die offensichtlichen Anzeichen eines Wutanfalls sehr komisch wirken. Er sieht ein rotes Gesicht, dessen Farbe in Purpurrot umschlägt. Es mag sein, dass der Wütende zu lächeln oder zu lachen beginnt und dabei den Kopf schüttelt. Die Lippen pressen sich zusammen und die Augen verschleiern sich, während der Kampfgeist eines Clint Eastwood oder Steven Seagal in ihn fährt. Beobachte die Hände – je nach Mentalität beginnen sie entweder zu schwitzen oder sie verkrampfen sich. Wenn die Kinnlade nicht wie von einem Schock der Fassungslosigkeit runterklappt, mahlen die Zähne aufeinander. Das zu beobachten wirkt auf mich verflucht komisch, und ich ertappe mich oft beim Kichern, während sich andere Leute vor Zorn aufplustern. Das wiederum verschärft die Situation noch weiter, aber ich kann nichts dagegen machen. Es beeindruckt mich immer aufs Neue. Aber wenn ich das Ziel der Wut bin, raste ich aus und kann mich nicht mehr kontrollieren. Dann ist es das Beste, einfach zu verschwinden.

      Sünden sind Schmutzflecken des spirituellen Lebenslaufs. Warum soll uns also ein Gefühl, das schon fast zum Alltag gehört, angekreidet werden? Ah, ich verstehe – der Zorn bringt uns auf einen verwirrenden Weg, auf dem wir Taten vollbringen, die unsere Reinheit beflecken. Aber angepisst zu sein, sollte nicht mit der Aussicht verknüpft sein, in der Hölle zu schmoren. Auszurasten ist die Reaktion auf einen Moment im Leben, der sich deiner Kontrolle entzieht. So ein Gefühl zählt zu den menschlichsten Empfindungen. Und warum, bitte, soll das eine Sünde sein?

      Ich

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