Скачать книгу

ist die von einer örtlich um­schrie­benen christlichen Gemeinschaft spontan und öffentlich formu­lier­te, für ihren Charakter nach aussen bis auf weiteres massgebende und für ihr eigenes Lehren und Leben bis auf weiteres richtungge­bende Darstellung der der allgemeinen christlichen Kirche vorläufig ge­schenkten Einsicht von der allein in der Heiligen Schrift bezeugten Offenbarung Gottes in Jesus Christus.»9

      Beim einmaligen Hören lassen sich die vielen Aspekte kaum fassen, die in dieser kompakten Definition stecken. Da stehen relativierende Aspekte (örtlich, bis auf weiteres, vorläufig geschenkte Einsicht) neben anderen, in denen die Verbindlichkeit annonciert wird (massgebend, richtunggebend, allgemeine christliche Kirche). Das entscheidende Kriterium wird am Schluss genannt: die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, wie sie in der Heiligen Schrift bezeugt wird – eine Assoziation zu der ersten These der einige Jahre später verabschiedeten Barmer Theologischen Erklärung drängt sich geradezu auf. Doch bevor wir auf die theologische Kri­teriologie zu sprechen kommen, wollen wir uns zunächst mit den äus­seren Anforderungen beschäftigen, unter denen sich für Barth die For­mulierung |28| eines Bekenntnisses als sinnvoll und dann eben auch als not­wendig darstellt.

      Die entscheidende Anforderung ist die, dass ein Bekenntnis konkret sein muss. Aus dieser Anforderung leiten sich im Grunde alle weiteren Anforderungen ab. Was aber meint hier «konkret»? Um dies näher erfas­sen zu können, müssen wir uns den spezifischen Akzent ansehen, den Barth für das reformierte Kirchenverständnis reklamiert. Gewiss gilt für die Kirche entschieden, dass sie eine über die ganze Erde verstreute und somit im substantiellen Sinne eine katholische, d. h. universale Kirche ist. In ihr wird auf das Wort Gottes gehört, geglaubt, geliebt und gehofft, ohne dass es eine Rolle spielt, wie weit die Glieder dieser Kirche vonei­n­ander entfernt sind. Für das tatsächliche Leben der Kirche kommt es aber entscheidend darauf an, dass die Kirche nicht nur hört, sondern die im Hören sich ihr erschliessende Freiheit ergreift und auf das Gehörte antwortet. Sie bekennt nun ihrerseits, was sie gehört hat und was es des­halb unter ihren konkreten Bedingungen zu bezeugen gilt.

      Eine recht hörende Kirche wird notwendig zu einer bekennenden Kir­che. Das Bekenntnis ist dabei wohlgemerkt nicht das Sammelgefäss der Wahrheit Gottes, in dem die Kirche nun diese Wahrheit aufbewahrt, son­dern die jeweils von der Kirche und somit von auch fehlbaren Menschen zu gebende Antwort – Barth nennt es auch eine «Empfangsbestätigung»10. Zwar bezieht sich das Bekennen auf das, was Gott gesagt hat, es formu­liert aber das, was der Mensch gehört hat und ist insofern konsequent vom Wort Gottes zu unterscheiden. Es steht nicht für die Aktion Gottes, sondern ist die Reaktion des Menschen, mit der er kundgibt, dass er et­was vernommen hat, was sein Leben in einen neuen Horizont versetzt und somit Folgen für seine Wahrnehmungen der Wirklichkeit hat.

      Solches Antworten vollzieht sich jedoch nicht in einer die ganze Welt umspannenden Allgemeinheit – es ergeht sich nicht in einer immer auch problematischen Zusammenstellung von Richtigkeiten –, sondern immer nur in einer konkreten geschichtlichen Situation, in einem benennbaren Lebenszusammenhang, unter einigermassen überschaubaren Umständen. Gott steht kein abstrakter Mensch gegenüber, sondern immer nur kon­krete und somit durchaus unterschiedliche Menschen, die von Gott in |29| ihren unterschiedlichen Situationen angesprochen werden und nun ihrer­seits darauf reagieren. So wie die Rede von «dem Menschen» eine Ab­strak­tion darstellt11, so kann auch die Rede von der Kirche zu einer Abstrak­tion werden, wenn dabei nicht die konkrete Kirche im Blick ist, in der man sich jeweils befindet.12 Darin sieht Barth ein zentrales Element der reformierten Ekklesiologie.13 In dem hier gemeinten Antworten geht es im umfassenden Sinn um das Handeln der Kirche, welches eben immer auch Entscheidung voraussetzt – nicht Entscheidung zum Glauben, son­dern Entschiedenheit und Entscheidung im Glauben.14

      Wenn das Handeln der Kirche tatsächlich die Lebensumstände der Menschen tangieren soll, wird es das Handeln einer benennbaren Ge­meinde bzw. lokalen Kirche sein müssen. Die Verabschiedung des corpus christianum durch die reformierten Reformatoren brachte nicht nur beiläu­fig, sondern durchaus entschlossen ein gewisses kongregationalistisches Ferment mit sich, das sich in Barths Kirchenverständnis deutlich zurück­meldet, nicht als Zurückweisung des Motivs der Universalität der Kirche, wohl aber als Schutzwall gegen die Versuchung, sich mit mehr oder we­niger verbindlichen Allgemeinheiten zufrieden zu geben. In dem lutheri­schen Festhalten am mittelalterlichen corpus christianum diagnostiziert Barth einen vor allem politisch motivierten «rückwärts orientierten Sinn»15.

      Die deutliche Relativierung von ökumenischen Bekenntnissen für die Gesamtkirche zielte nicht auf eine Schwächung der Katholizität der Kir­che, sondern stand im Gegenteil gerade im Zeichen ihrer Konkretisie­rung. In diesen Sinne ist es zu verstehen, wenn es an anderer Stelle bei Barth heisst: «Der legitime Weg zur Universalität ist hier also gerade die Partikularität.»16 Auch die Katholizität bedarf der Konkretisierung und ist |30| eben nicht ein Rückzugsraum für vom Leben der Ortskirche unberühr­bare Wahrheiten. Das Bekennen der Kirche bliebe weit unter dem zu er­wartenden Niveau, wenn es die Kirche dabei belassen wollte, der Welt ein paar immer richtige Einsichten oder Forderungen zuzurufen, die im besten Fall damit rechnen können, freundlich zur Kenntnis genommen zu werden. Wenn Barth von der «unerbittlichen Konkretheit des reformier­ten Kirchenbegriffs» spricht17, tritt er der gerade von den Kirchen so gern ergriffenen Flucht in die Unverbindlichkeit entgegen.

      Das Bekenntnis im Sinne des angesprochenen Antwortens ist weniger öffentliche Verlautbarung oder Deklaration, als vielmehr «Akt, Ereignis, Handlung»18. Die Universalität der Kirche gibt es grundsätzlich nicht anders als örtlich, und da ist sie eben auch zur Geltung zu bringen, nicht als eigenwillige Individualpräsentation, sondern in einer vor der ganzen Kirche zu verantwortenden konkreten Gestalt. Deshalb betont Barth auf der einen Seite die Partikularität: «Wir, hier, jetzt – bekennen dies!» und hält diese aber stets auf der anderen Seite mit dem Anspruch verbunden, eben dies im Namen der einen Kirche zu tun.19 Für Barth ist das Bekennt­nis in reformierter Perspektive «[u]niversal-christliche Wahrheit, aber jetzt und hier in bestimmter Weise erkannt und ausgesprochen von einer christlichen Gemeinde».20

      Eine letzte Anforderung, die Barth für ein Bekenntnis der Kirche er­hebt, besteht in seiner Dringlichkeit, die keineswegs immer gegeben ist, der aber da, wo sie gegeben ist, nicht ausgewichen werden darf. Vielmehr hat sich die Kirche in diesem Fall entschieden und öffentlich zu positio­nieren. «Jedes andere Credo ist ein fauler Zauber und vom Teufel, und wenn es wörtlich das Apostolikum wäre», heisst es provokant.21 Ein sol­ches in der Bedrängnis gesprochenes Bekenntnis fällt nicht einfach vom Himmel, sondern ihm geht ein ernsthaftes Ringen um seine Angemes­senheit und Deutlichkeit voraus.

      «Vor einem Bekenntnis ohne charakteristische biblische Einsichten, ohne Narben vorangegangenen Kampfes, ohne notwendiges Anliegen, |31| vor einem dogmatisch bedeutungslosen, wohl gar bedeutungslos sein wollenden Bekenntnis, davor behüte uns, lieber Herre Gott!»22

      Deshalb ist es auch mit der Rezitation der alten Bekenntnisse nicht getan, wenn nicht zumindest ein authentischer Kommentar dazu gegeben wird. Die ungeprüfte Wiederholung bereits von der Kirche formulierter Ein­sichten, also eine rein traditionsgebundene Orthodoxie stellt Barth später sogar unter den Verdacht der Häresie.23 Es kann nicht darum gehen, dass die Kirche zu jeder Gelegenheit und zu Allem das Wort erhebt, sondern dass sie da, wo sie aufgrund ihrer Bindung an das Wort Gottes das Wort er­heben muss, dies auch in der ihr gegebenen Freiheit und Deutlichkeit tut.

      Dieser Dringlichkeit, ja Unausweichlichkeit entspricht dann auf der anderen Seite auch die Verbindlichkeit. Gewiss auch nur «vorläufig», d. h. «bis auf weiteres» – wie es in der zitierten Definition geheissen hat –, jetzt aber gilt es, d. h. es ist für die Kirche «richtunggebend»24. In diesem Sinne formuliert das Bekenntnis eine Wahrheit, von der man sich nicht einfach abkehren kann, ohne sich nicht zugleich von der Kirche insgesamt abzuwenden. Es geht um Dogmatik im Vollzug: Dogmatik, indem die Angemessenheit des Gotteszeugnisses der Kirche zur Debatte steht, aber eben im Vollzug, weil das Gotteszeugnis von einer konkreten Situation herausgefordert wird, auf die es auch bezogen ist. 25

      Das, was Barth hier mit seinen Ausführungen für den Reformierten Weltbund zu bedenken gibt, findet dann acht Jahre später in der Barmer |32| Theologischen Erklärung, an der Barth bekanntlich massgebend beteiligt war, seinen exemplarischen

Скачать книгу