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Maria löst sich aus dem Kreis, ergreift meine Hand und zieht mich auf die Tanzfläche.

      Hermann Schwarzen

      Weihnachtliche Begegnung

      Er war eben am Flughafen angekommen, nach einem ruhigen Flug mit nur leichten Turbulenzen. Er hatte einige Tage in der Nähe von London gearbeitet. Der Grund war eine Panne in der Verpackungsanlage, die seine Firma dorthin geliefert hatte. Es lag an der Software, wie er von Anfang an vermutet hatte. Doch dann waren noch zwei drei kleinere Probleme dazu gekommen und er brauchte Ersatzteile. So hatte es gedauert, volle zwei Tage länger als geplant. Jetzt am Weihnachtsabend war er froh, vor dem Einnachten wieder zurückzusein. Seit Jahren war er bei seiner Arbeit als Techniker in der Welt unterwegs und noch immer faszinierte ihn der Blick aus dem Flugzeug. Es gab magische Momente, wie heute, als er im Flugzeug auf der Schattenseite gesessen hatte und die tief stehende Sonne vom Westen her nur noch den kleinen Winglet-Flügel am Ende der Tragfläche zum Leuchten gebracht hatte. Und dieses glänzende Stück Metall zog über den tiefblauen Himmel wie ein Komet.

      Den Gedanken an einen Stern hatte er als einen leisen Trost empfunden, denn er wusste, dass in der Ankunftshalle des Flughafens niemand auf ihn wartete und er diesen Weihnachtsabend auch heute allein verbringen würde. Seit vier Jahren war er geschieden. Die Kinder lebten bei ihrer Mutter und ihrem neuen Partner. Sie hatte es sich nach der Scheidung zur Angewohnheit gemacht, über die Weihnachtstage wegzufahren. Manchmal kam ihm der Gedanke, sie wolle ihn damit bestrafen. Seine Tochter und sein Sohn, beide bald erwachsen, würden ihn in den Tagen nach Weihnachten besuchen. Er hatte Geschenke für sie gekauft und würde dann mit ihnen auswärts essen gehen. Ob er ein guter Vater war? Er hatte sich einige Mühe gegeben, aber die langen arbeitsbedingten Abwesenheiten waren für alle eine Belastung gewesen. Und so hatten auch er und seine Frau sich mehr und mehr auseinandergelebt. Am Schluss passte nicht mehr viel zusammen. Doch die ersten Monate nach der Scheidung waren trotzdem hart gewesen.

      Er fuhr mit der Bahn vom Flughafen ins Stadtzentrum und liess sich dann mit dem Taxi zu seiner Wohnung fahren. Es war eine eher bescheidene Wohngegend, aber er hatte ganz oben im sechsten Stock eines Wohnblocks eine Dreizimmerwohnung mit Dachterrasse gemietet. Der Blick Richtung See und in die südlichen Berge hatte es ihm angetan.

      Er spürte auch diesmal eine leichte Beklemmung, als er in die leere Wohnung trat. Er stellte die Heizung höher, schlug die schweren Vorhänge zurück, draussen war es schon dunkel. Er stand einen Augenblick unschlüssig da; sollte er nicht gleich wieder gehen und irgendwo etwas essen? Dann aber sah er den kleinen Adventskranz auf dem Clubtisch im Wohnzimmer, den seine Tochter ihm geschenkt hatte. Bisher hatte erst eine Kerze gebrannt und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen zündete er alle vier Kerzen auf einmal an, holte sich dann ein Glas und goss sich einen Whisky ein, einen aus dem südwestlichen Schottland mit diesem rauchigen Geschmack, den er so liebte.

      Bald einmal kamen Gedanken, Erinnerungen an frühere Weihnachten, als die Kinder noch klein waren, an Weihnachtslieder und Spielzeuggeschenke. Und plötzlich fiel ihm das kleine Dreirad ein, das er vorher bei der Türe zum Lift gesehen hatte. Es gehörte den zwei Kindern, den einzigen im Haus, die im zweiten Stock wohnten, zusammen mit ihrer Mutter, die offenbar alleinerziehend war. Er hatte gehört, der Vater der Kinder habe sich irgendwo ins Ausland abgesetzt. Die Frau war ihm gelegentlich begegnet und die Kinder sah er, wenn sie beim Hauseingang spielten. Er kam selbst aus sehr ärmlichen Verhältnissen und hatte ein untrügliches Gespür für diese Armut von Kindern in sauberen, aber etwas ausgewaschenen Kleidern, für die kaum sichtbaren Kratzer, die den gebrauchten Spielzeugen ihren Glanz nahmen. Diese Kargheit, die sich nie ganz kaschieren liess, berührte ihn, ja löste ganz tief in ihm etwas aus.

      Dann sah er auf dem Tisch eine noch unbeschriebene Weihnachtskarte und fasste einen Entschluss: Ja, er wollte schreiben, aber dabei unbedingt anonym bleiben. «Sie werden nie erraten, wer ich bin. Machen Sie sich und Ihren Kindern eine Freude: Gönnen Sie sich einmal etwas Besonderes. Schöne Weihnachten.» Er las das Geschriebene nochmals sorgfältig durch, öffnete dann die Brieftasche. Es hatte darin wie immer reichlich Geld, eine alte Gewohnheit aus der Zeit, als Kreditkarten noch kaum in Gebrauch waren; man wusste ja nie. Dann schob er die Karte und ein paar grössere Noten in den Briefumschlag.

      Er entschloss sich, den Umschlag vor die Türe zu legen, nicht in den Briefkasten, denn der würde über die Festtage kaum mehr geleert werden, und den Leuten im Haus konnte man vertrauen. So stand er vor der fremden Türe und war erstaunt, dass diese nur angelehnt war. War die Frau für kurze Zeit weggegangen? Er musste sich beeilen und legte den Umschlag behutsam auf die Fussmatte. Als er sich wieder aufrichtete und gehen wollte, sah er die Frau auf sich zukommen. Natürlich, sein schlechtes linkes Ohr, er hatte sie nicht kommen hören. Sie trug ein hübsches Kleid und sah jünger aus als mit dem grauen Mantel, in dem sie normalerweise das Haus verliess. Es war ihm unendlich peinlich, er bückte sich und hob den Umschlag auf: «Hier, das ist für Sie und Ihre Kinder. Schöne Weihnachten». Die Frau sah müde aus, aber sie lächelte. Und für einen Augenblick berührte ihre Hand seinen Arm: «Vielen Dank, und auch Ihnen schöne Weihnachten. Wissen Sie, ich muss gehen, die Kinder warten.» «Ja, natürlich, ich verstehe», sagte er und wandte sich zum Gehen. Einen Atemzug lang hielt er inne, ihr Parfum war noch im Raum wie eine Erinnerung, die schon am Verblassen war. Als sie die Türe sanft ins Schloss zog, war ihm, als hörte er hinter sich einen leisen Flügelschlag. Vor dem Fenster im Treppenhaus blieb er stehen und blickte hinüber zum Weihnachtsbaum, den man auf der Strassenkreuzung aufgestellt hatte. Hoch in seinen Ästen hing ein Stern.

      Vera Spöcker

      Der Weihnachtsengel

      Sie sitzt in der Kirche, vor sich den geschmückten und lichtvollen Baum. Müde ist sie zu dieser späten Stunde, doch es ist eine befriedigende Müdigkeit. Als Sigristin hatte sie die schöne Aufgabe, die Kirche weihnachtlich zu schmücken. Sie hat die Gottesdienstbesucher willkommen geheissen, und dabei die vielen brennenden Kerzen nie aus den Augen gelassen. Eine Verantwortung, die sie auch jetzt noch, nachdem sich alle anderen auf den Heimweg gemacht haben, allein in der Kirche bleiben lässt. Die letzten Kerzen verglimmen, es ist still geworden. Immer mehr nimmt die nächtliche Dunkelheit zu, die Kirche scheint langsam darin zu versinken. Sie sitzt da und lässt die Stille nach all dem Trubel auf sich wirken. Es ist eine satte Stille, die nicht einsam macht, sondern das Geschehen dieser Heiligen Nacht nachhallen lässt. Sie mag diese Stille, dieses Alleinsein. Nach der fröhlich-lebhaften Weihnachtsfeier mit ihrer Familie und dem nächtlichen Gottesdienst mit den vielen Menschen, erlebt sie nun ihre eigene, besinnliche Weihnacht. So fühlt sie sich von der Stille getragen und mit Frieden erfüllt.

      In der vordersten Kirchenbank sitzend lässt sie ihren Blick wandern. Es ist eine schimmernde Dunkelheit, die sie umgibt, durchzogen vom silbernen Licht des Vollmondes. Sie sieht den Weihnachtsbaum schemenhaft vor sich, ein leises Glitzern leuchtet ab und zu noch auf. Dann bleiben ihre Augen auf einem nahen Chorstuhl ruhen, auf dessen Baldachin ein geschnitzter Engel thront. Er sitzt da, die Arme auf das dem Chorstuhl zugehörige Familienwappen gestützt und schaut ihr direkt in die Augen.

      Plötzlich lauscht sie aufmerksam in die Stille. Was ist da leise, aber doch vernehmbar zu hören? «Vom Himmel hoch, da komm ich her …» Erst meint sie, sich verhört zu haben, meint, das Weihnachtslied klinge noch in ihren Ohren nach. Doch nein, als sie länger hinhört, erkennt sie, dass dieses Lied vom Chorstuhl herkommen muss.

      «Bist du ein Weihnachtsengel?», fragt sie ziemlich erstaunt. «Ja, das bin ich», kommt die Antwort keck von oben herab. Sie schaut den Engel ungläubig an. «Das ganze Jahr hindurch sehe ich dich auf dem Familienwappen sitzen, doch niemand hat mir je erzählt, dass du ein Weihnachtsengel bist.»

      Der Engel schaut sie weiterhin unverwandt an, blinzelt ins silberne Mondlicht und setzt nach einigem Zögern zu einer Rede an: «Wir Engel von der ersten Stunde, die wir die Geburt des Christus verkündigt haben, hatten und haben immer noch die göttliche Botschaft zu überbringen. Wir bleiben die singenden und jubilierenden Engel, solange diese Botschaft unter die Menschen gebracht werden muss. Unter diejenigen, die noch nicht davon wissen, oder zu denjenigen,

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