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»Vorstoß« (Augstein) eröffnet ein weites Feld für dringend gebotene Zustandsbezeichnungsneologismen, die komplizierte Zusammenhänge griffig auf den Punkt bringen. Wir schlagen deshalb – berufsgruppen- und anderweitig differenzierend – vor: Fortismus für Werber, die sagen: »Ich muß los!« und gehen – und zwei Minuten später setzt sich das kroatische Frauenmirakel Miranda F. an den Nebentisch; Veritatismus für Politiker, die dafür sorgen, daß sich Journalisten immer häufiger zu sofortistischen Handlungen hingerissen fühlen; Vollkornismus für Bäcker, die voreilig, d. h. samstags vor halb zehn bereits sämtliche Vollkornbrötchen verkauft haben; Falsismus für Künstler, die so täuschend echt malen, daß niemand mehr ein noch aus weiß; Ausweisismus für Schiedsrichter, die ehrliche Kräfte wie Mario Basler u. a. vom Platz stellen, obwohl sie einen gültigen Spielerpaß besitzen; Satanismus für Rockgitarristen, die immer wie »Carlos« Sa(n)tana klingen; Rockismus für Popmusiker und Frauen; Emotionalismus für Katzen, Hunde und höheres Getier; Taktilismus für flinke Männer(hände); Spagatismus für die, die auf »allen« Hochzeiten tanzen; Aufzugismus für Aufmaschler; Mauschelismus für Maulhelden; und Hinhaltismus für alle. Wär’ supi, odrrrr?

      Transzendentale Reform

      Gerade hatte die FC Bayern AG mal wieder einen Titel heimgebracht, den des Deutschen Fußballmeisters 2005, da hauchte ihr Vorsitzender Karl-Heinz Rummenigge einem Reporter der Süddeutschen Zeitung voller Zartgespür für die neben dem Fußball wichtigste Nebensache der Welt, das Leben in dieser Gesellschaft nämlich, ins Mikrophon: »Der Fußball gehört reformiert, wie unsere gesamte Gesellschaft reformiert gehört. Wir sind hier ein Land der Gleichmacherei geworden. Das muß aufhören. Der Fußball muß da möglicherweise auch gesellschaftspolitisch eine Vorreiterrolle spielen.«

      Mögen uns die höheren Mächte davor bewahren, künftig womöglich von Karl-Heinz Rummenigge und Franz Beckenbauer regiert zu werden, in Anbetracht der demnächst reformierten Berliner Regierung, mithin der gründlich neuformierten Bundeskanzlerinnenreformmannschaft oder aber auch einer großen, gewaltigen Koalition aller Reformkräfte dieses Landes, hat Kalle, der Katechet des knallharten Kapitalismus, doch den Nagel auf den Kopf getroffen.

      Denn nie war mehr Reform, nie mehr »Reformbedarf« als heute. Obwohl im Zeitraum des letzten Jahres in einer diffusen Meinungsgemengelage mitunter schon wieder darüber geklagt wurde, das »strapazierte Wort ›Reform‹« (Börsenblatt des deutschen Buchhandels) sei, wie der Politologe Frank Decker eruierte, »bei den Wählern nicht mehr unbedingt positiv besetzt«, und obschon Michael Rutschky einen »Reformstreß« und der Kölner Expreß einen »Reformstau« ausgemacht hatte, feuerten die Medien angesichts der anstehenden resp. bereits eingeleiteten Gesundheits-, Gebiets-, Rechtschreib-, Steuer-, Hochschul-, Arbeitsmarkt- und Sozialreformen unvermindert aus allen Rohren – und verlangten auf Grund der sich angeblich einschleichenden Reformhalbherzigkeit der Schröder-SPD einen schmissigeren »Reformschwung« (stern) für den »Reformkurs« (ebd.) sowie stärkere »Reformmotoren« wegen eines zu erhöhenden »Reformtempos«, was aber wohl ausnahmsweise kaum was mit den allseits beliebten »revolutionären Reformen im Reglement der Formel 1« (ARD-Text) am Hut hatte.

      Wie lautet, so gesehen, das Gesetz der Stunde, der Woche, der nächsten Monate und ja Jahre? Reform ist, wenn Reform ist und irgendwie wiederum auch nicht ist. So lautet es. Reform ist, wenn die Reform, die ist, keine Reform ist, die den Namen Reform verdient. Deshalb ist Reform angesagt, die Reform der Reform. Und deshalb hat unser führender Reformquer- und Reformleistungs- und Reformturbotalkshowdenker, der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel, via Fernsehen, das sich übrigens auch bald mal warm an- und einer Vollpowerprogrammreform unterziehen sollte, bereits weg- und richtungsweisend »die Reform der Reformfähigkeit« eingefordert. Ja, genau: die Reform der – Reformfähigkeit. Das Vermögen, zu reformieren, umzugestalten, selbst umzugestalten, das ist die Devise unserer gesegneten Reformzeit, warum und wozu auch immer, Hauptsache, es wird in einem wahrlich kantianischtranszendentalen Doppelreflexionssalto die Reform selber reformiert, bis der Reformator nicht mehr weiß, was er da eigentlich permanent reformatorisch zusammenquakt, endlich niedergestreckt von seiner Wortallzweckwaffe, diesem zähsten aller akuten Kleister- und Nebelwörter, und siech, aber beseelt weiter vor sich hin quasselt, und zwar so: »Was wir brauchen, ist die reformatorisch fundierte Reform des Reformgedankens, damit die notwendigen Reformen im Reformfundus der Gesamtreform des gesamten Gemeinwesens ihre reformierende Kraft als wirkliche Reformen der Reformen entfalten können.«

      Nein, es ist im Zuge der unterm Banner der Reform, die im ursprünglichen Sinne eine rationale, planvolle Veränderung oder Besserung der sozialen und anderweitigen Verhältnisse zum Ziel sich setzt, vorangetriebenen Deformation und Demontage des Sozialstaates immer weniger Menschen zum Albern zumute. Die »Agenda 2010« mit ihren brutalen Einschnitten bei der Arbeitslosenhilfe, beim Kündigungsschutz, im Gesundheits- und Rentenwesen ist seit dem 1. Januar 2004 in Kraft und das bis dato umfänglichste Dokument einer götzengleichen Verehrung des Irrationalismus des Marktes. Trotz aller Reformen, die nicht erst seit Schröders Regierungsantritt 1998 wüten, ist nicht ein einziger Arbeitsplatz entstanden, im Gegenteil. Dafür fahren die Konzerne Gewinne ein, daß sich die Geldspeicher biegen. »Wachstum bedeutet nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr«, merkt Hermann L. Gremliza zu Recht an, das darf in China genauso wie in den USA oder in Deutschland beobachtet werden, nur daß Verelendung hier »Hartz IV« heißt.

      Eine »irrationale Panik vor den Folgen der Globalisierung«, meldete sich DGB-Chef Michael Sommer vor einem Jahr zu Wort, habe »zu der Übereinkunft bei Parteien und Medien geführt, daß alles schlechter werden muß – nur nicht für diejenigen, die schon genug haben«. Daß die Gewerkschaften, die Guido Westerwelle bekanntlich als »Landplage« belobigt hat, den Bann des »Reform-Mantras« (taz) durchbrechen könnten, ist illusorisch. Deshalb meldete Spiegel Online jetzt auch im höheren Sinne des Hans-Olaf Henkel: »Union will Hartz-Reform reformieren«, und die vorgeblich überparteiliche Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, an der sich u. a. Friedrich Merz und Florian Gerster beteiligen, gab die Losungen aus: »Wir wollen, daß die Reformbereitschaft trotz Wahlkampf steigt. Soziale Übertreibungen müssen ein Stück weit zurückgenommen werden. Wir können uns keine Reformferien leisten.«

      So bleibt der güldene Satz des FC-Bayern-Managers Uli Hoeneß eisern gültig: »Bei der Reform darf nicht gemauert werden.« Es muß geschossen werden. Wer immer dabei auf der Strecke bleibt. Ganz am Ende vielleicht ja sogar das gnadenlose Fetischwort: Reform.

      Nix krank

      Früher, wann immer das war, zuweilen scheint es, es sei vor Jahrzehnten gewesen, früher sprach man unter Kollegen und Freunden gelegentlich und ohne schlechtes Gewissen darüber, sich außerplanmäßig mal ein paar Tage Erholung zu gönnen, auszusteigen aus der Mühle der Arbeit, der blinden Mechanik des Weiter-so zu entrinnen – und krankzufeiern. Es durfte dann, so die Wahrnehmung dessen, der ja durch Abwesenheit letztlich der Wiederherstellung seiner körperlichen und psychischen Arbeitskraft diente, der Boß im Dienste der Produktivität, d. h. im Dienste seines Profits, ausnahmsweise ruhig selber mal eine Ecke schärfer buckeln.

      Das Krankfeiern war eine Waffe, keine sehr spitze, aber ein Mittel, um diejenigen, die über die Produktionsmittel verfügen, ein wenig zu triezen. Noch früher, vor Jahrhunderten, erfreute sich der Blaue Montag unter Handwerkern so großer Beliebtheit, daß er regelrecht institutionalisiert wurde. Es gab einmal etwas, das man Klassenbewußtsein nannte, und sei es lediglich Ausdruck eines Restes an sozialem Stolz und Würde gewesen.

      Heute herrschen die einen wie gewohnt, und die anderen beherrscht die Angst, die Angst, den Job, die materielle Grundlage ihres Lebens, zu verlieren. Wen noch die Gnade irgendeines »Arbeitgebers« ereilt, wer noch für ein paar Euro bei höchst prekären Arbeitsbedingungen ackern und rackern darf, darf froh und dankbar sein, dankbar seinem Ernährer, dem Unternehmer, den der große Demiurg, der Markt, schuf, auf daß der Terror, den sich die Menschen in der bedingungslosen Konkurrenz selbst zufügen, nie ende.

      Es sind dies Zeiten, in denen der »objektive Geist« (Hegel) schamloser und rabiater denn je um nichts anderes als um Sekundärtugenden wie Selbstausbeutung und Unterwerfung rotiert, flankiert

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