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ist daher die Bildung breiter gesellschaftlicher Allianzen, die genügend Machtmittel mobilisieren können, um die notwendigen Pfadwechsel durchzusetzen. In den letzten Kapiteln werden fünf Plattformen vorgestellt, auf denen sich solche transformativen Allianzen versammeln können. Um die Systemkrise zu überwinden, werden weitere entwickelt werden müssen. Dieses Buch will zeigen, wie das gelingen kann.

      Teil I

      Der Neoliberalismus kann die Systemkrise nicht lösen

       »Practical men, who believe themselves to be quite exempt from any intellectual influence, are usually the slaves of some defunct economist. Madmen in authority, who hear voices in the air, are distilling their frenzy from some academic scribbler of a few years back.«

      John Maynard Keynes

      Die Coronakrise sendet wirtschaftliche Schockwellen um die Welt. Ob und wann die entwickelten Volkswirtschaften auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zurückkehren, ist ungewiss. China hat zwar nach dem scharfen Einbruch schnell zu einem Wachstumskurs zurückgefunden, aber weite Teile Europas stecken tief in der Rezession. Auch in Deutschland wächst die Wirtschaft wieder, dennoch bleiben die Konjunkturaussichten für den Exportweltmeister getrübt, solange seine Absatzmärkte im Coronafieber liegen1. Jenseits konjunktureller Zyklen steht weiter die düstere Prognose des einflussreichen Ökonomen Larry Summers vor einer »Säkularen Stagnation«2, also einer Phase schwachen Wachstums ohne nennenswerte Beschäftigungseffekte, im Raum.

      Über die Ursachen dieser säkularen Stagnation herrscht ein ideologischer Glaubenskrieg, dessen Ursprung auf die Auseinandersetzung zwischen John Maynard Keynes und Friedrich August von Hayek zurückgeht. Im Kern lässt sich die Debatte zwischen den beiden Ökonomen, die die Gesellschaften des Westens seit über einem Jahrhundert polarisiert, auf die Frage herunterbrechen: Ist der Staat das Problem und der Markt die Lösung, oder ist es genau umgekehrt?

      Die Erben Keynes vermuten die Ursache der Krise in der schwächelnden Nachfrage im Privatsektor. Der Staat soll daher durch Investitionen und Konsum die aggregierte Nachfrage ankurbeln. Die staatliche Starthilfe, so die Hoffnung, könne einen selbsttragenden Wachstumszyklus in Gang bringen.

      Was löst aber die Nachfragekrise aus, an der die Volkswirtschaften des Westens aus keynesianischer Sicht seit Jahrzehnten leiden?3 Als Grundübel wird die Konsumschwäche in den übersättigten Märkten des Westens angesehen. Alternde Gesellschaften legen einen hohen Teil ihrer Einkommen als Altersvorsorge auf die hohe Kante. Anders als in Ländern mit schnell wachsenden Bevölkerungen wird die hohe Sparquote nicht durch jüngere Generationen mit größerem Konsumbedürfnis ausgeglichen. Die Konsumnachfrage wird zudem von der explodierenden sozialen Ungleichheit gedrosselt. Globalisierung und Automatisierung haben zu stagnierenden Reallöhnen geführt. Wer nichts hat, kann eben auch nicht konsumieren. Mit Blick auf diese düsteren Gewinnaussichten halten sich die Unternehmen mit ihren Investitionen zurück. Statt zu investieren geben sie ihr Geld lieber für Aktienrückkäufe und Dividendenausschüttungen aus. Zur Konsumschwäche kommt also der Investitionsstreik der Unternehmen.

      Gegen den Rat der Keynesianer weigern sich die Staaten, die schwächelnde private Nachfrage mit öffentlichem Konsum oder Investitionen auszugleichen. Spätestens seit den kostspieligen Rettungsaktionen der letzten Finanzkrise sind viele Staaten hoch verschuldet und versuchen ihre Finanzen durch harte Sparprogramme in den Griff zu bekommen. Mit jeder Null- und Sparrunde verschärft sich allerdings die Nachfragekrise.

      Diese aus keynesianischer Sicht kontraproduktive Politik basiert auf einem grundsätzlich anderen Verständnis der Rollen von Markt und Staat. Auch die ordoliberalen Erben Hayeks beobachten, dass es den Unternehmen immer weniger gelingt, neue Produkte zu entwickeln, die das Interesse der Konsumenten wecken. Als Ursache dieser Innovationsschwäche der Unternehmen wird jedoch der Staat ausgemacht, der unternehmerisches Engagement mit seinen sozialen, ökologischen, und normativen Auflagen erstickt. Investieren die Unternehmen nicht, wächst die Wirtschaft nicht. Wächst der Kuchen nicht mehr, zerreißen Verteilungskämpfe um die größten Stücke des Bestehenden die Gesellschaft. Würde man die Unternehmen dagegen von all dem Ballast befreien, den ihnen der Staat aufbürdet, könnten sie endlich wieder das tun, was von ihnen erwartet werden darf: mit innovativen Geschäftsmodellen wirtschaftliche Dynamik entfachen. Die Früchte des Wachstums würden dann allen zugutekommen (Trickle-down-Theorie).

      Als dem Industriekapitalismus in den 1970er-Jahren durch die steigenden Lohn- und Energiekosten und den wachsenden Wettbewerbsdruck die Puste ausging, setzten die Neoliberalen zum Befreiungsschlag an. Seit vier Jahrzehnten treiben sie nun schon eine Konterrevolution gegen alles voran, was in ihren Augen das freie Spiel der Marktkräfte behindert. Ihr Reformprogramm zur Überwindung der Krise des Kapitalismus setzt an fünf Stellen an:

      1.Mit Hochdruck werden die Produkte der Zukunft entwickelt. In der Hoffnung, endlich einen Ausweg aus der Wachstumsschwäche zu finden, werden riesige Summen in die Erforschung neuer Technologien investiert.

      2.Es werden Kosten reduziert, um im härter werdenden Wettbewerb um die gesättigten Märkte bestehen zu können. Das geschieht durch das Offshoring und die Automatisierung der Produktion, aber auch durch Lohndruck und den Rückbau des Wohlfahrtsstaates.

      3.Neue Kunden werden in den Wachstumsmärkten der Schwellenländer erschlossen. Nach der Globalisierung der Produktion wird also der Konsum globalisiert.

      4.In den gesättigten Heimatmärkten wird der Konsum durch private Verschuldung angeheizt.

      5.Wenn das alles nicht hilft, parken die Anleger ihr Kapital an den Börsen, um Spekulationsgewinne mitzunehmen.

      Doch heute stoßen alle diese Gegenstrategien an ihre ökonomischen, ökologischen, sozialen und politischen Grenzen. Schlimmer noch, die neoliberalen Strategien verschärfen die Nachfragekrise, die den Kapitalismus im Würgegriff hält, nur noch weiter. Gefangen in der Dauerkrise sind nun alle Bereiche der Gesellschaft im permanenten Krisenmanagement. Doch auch die Rettungsaktionen der Zentralbanken und Staaten verschaffen nur kurzfristige Verschnaufpausen, verschlimmern langfristig sogar die Systemkrise. Das billige Geld treibt die soziale Ungleichheit, die Staatsschulden spalten Europa. Und jeder Versuch, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, provoziert eine neue Welle populistischer Revolten, die Europa auseinanderreißen und unsere Demokratien bedrohen.

      Im Folgenden wollen wir in schnellen Schritten die vielen Baustellen der Systemkrise abschreiten, um besser zu verstehen, wie sich die Krisen gegenseitig bedingen und verstärken.

       Kapitel 1

      Die Produktivitätsrevolution zündet nicht

      Im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte ist das Wohlstandsniveau rund um den Globus immer weiter gestiegen. Angetrieben wurde dieser historisch einzigartige Aufschwung durch die schiere Explosion der Produktivität in den industriellen Revolutionen.

      Die Strategie, die Produktivität durch technologische Innovationen weiter zu steigern, liegt daher nahe. Und tatsächlich erlebten wir in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige Innovationsschübe, etwa in der Computer-, Kommunikations- oder Biotechnologie. Im neuen Jahrtausend revolutioniert die Digitalisierung Wirtschaft und Gesellschaft. Doch trotz all dieser monumentalen technischen Fortschritte hat der Ökonom Robert Gordon nachgewiesen, dass die Produktivität der Volkswirtschaften insgesamt kaum wächst.4

      Warum das so ist, stellt Wirtschaftswissenschaftler vor ein Rätsel. Vielleicht sind unsere Messinstrumente zu ungenau, um den Mehrwert der digitalen Wundertechnologien zu erfassen? Oder sind die Effizienzsteigerungen in einer Dienstleistungsökonomie nicht so groß wie im alten Industriekapitalismus? Oder liegen die großen Produktivitätssprünge, wie Gordon vermutet, bereits hinter uns?

      Ob die digitale Revolution den ersehnten neuen Wachstumszyklus auslösen kann, bleibt also abzuwarten. Doch bereits heute sind Zweifel angebracht. Denn die digitale Automatisierung optimiert vor allem den Vertriebsweg zwischen Hersteller und Konsument. Statt selbst in die Ladengeschäfte zu gehen, wählt der Konsument von morgen unter Hunderten Produkten

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