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der Nation nach innen versprechen sie Kontrolle und Anerkennung wiederherzustellen.

      Der Neoliberalismus hat also eine Systemkrise heraufbeschworen, die er selbst nicht mehr lösen kann. Wenn der Neoliberalismus aber bankrott ist, warum gelingt es dann dem progressiven Lager nicht, einen Richtungswechsel zu erkämpfen? Warum ist der Neoliberalismus als wirtschaftliches Programm tot, lebt aber als Ideologie weiter fort? Im zweiten Teil des Buches werden die Schwachpunkte der wichtigsten progressiven Strömungen herausgearbeitet, um zu zeigen, wo eine neue, transformative Politik ansetzen muss.

      Die Bollwerk-gegen-Rechts-Koalition glaubt, die rechtspopulistische Konterrevolution zurückschlagen zu können, indem sie Rechten die Salonfähigkeit abspricht (Kapitel 10). Haltung zeigen ist jedoch bestenfalls wirkungslos gegen die rechte Bedrohung, im schlimmsten Fall treibt diese Strategie den Rechten die Wähler in die Arme. Denn immer mehr Menschen kommen zu der Einsicht, dass sich ihr Leben im Krisen- und Katastrophenkapitalismus nur noch weiter verschlechtern wird, und sehen sich nach Auswegen aus der neoliberalen Alternativlosigkeit um. Kommen von links nur Ausgrenzungen und Belehrungen, fällt es den Rechtspopulisten leicht, sich als einzige Alternative zu inszenieren. Um den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss den Bürgern also ein echter Politikwechsel angeboten werden.

      Daher rufen einige danach, sich wieder auf materielle Verteilungs- statt auf kulturelle Anerkennungsthemen zu konzentrieren. Wer die weiße Arbeiterklasse gegen die bunten Minderheiten ausspielen will, konstruiert einen Gegensatz, wo keiner ist. Aber auch der fundamentalistische Rand der Linksidentitären ist nicht ganz unschuldig an dieser Polarisierung. Wer der Bevölkerungsmehrheit pauschal unterstellt, unheilbar rassistisch zu sein, und selbst Progressiven das Wort verbieten will, muss sich nicht wundern, wenn sich natürliche Verbündete genervt abwenden. Die Exzesse der Cancel Culture spalten das progressive Lager in konkurrierende Stämme, die sich mit lautem Getöse gegenseitig bekriegen. Schlimmer noch, die wütenden Attacken auf die bösen »alten weißen Männer« haben die autoritären Rechtsidentitären bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein anschlussfähig gemacht. Die neo-maoistische Kulturrevolution befeuert also die rechtsidentitäre Revolte, die sie zu bekämpfen vorgibt (Kapitel 11).

      Der postmarxistischen Linken ist es bis heute nicht gelungen, aus den Trümmern des Marxismus ein hegemoniefähiges Projekt zu zimmern (Kapitel 12). Unklar bleibt, wer nach dem Niedergang des Industrieproletariats die Fahne der Revolution tragen soll. So kann die postmarxistische Linke die Krise des globalen Kapitalismus zwar analysieren, findet aber keine Mittel, um sie zu überwinden.

      Auch die progressiven Neoliberalen setzen sich für Vielfalt ein, vertuschen damit allerdings ihre Rolle als Helfershelfer der Marktradikalen (Kapitel 13). Wenn Verteilungskonflikte, Machtasymmetrien oder Klasseninteressen aus dem Blickfeld geraten, dann bleibt den verantwortlichen Unternehmern, ethischen Konsumenten und postmateriellen Selbstverwirklichern nur die individuelle Selbstoptimierung, um die Welt zu verbessern. In einer kulturell polarisierten Gesellschaft provoziert aber jeder Moralappell zur Umkehr nur ein trotziges Jetzt-erst-recht der anderen Seite. Vor allem aber ist die freiwillige Selbstoptimierung ein untaugliches Mittel, wenn sie auf Machtkonzentrationen und Partikularinteressen trifft.

      Auch die Sozialdemokratie der Agendajahre hat neoliberale Reformen vorangetrieben (Kapitel 14). Ihr historisches Ziel, den Kapitalismus in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, hat sie dem Primat der Standortsicherung untergeordnet. Aus der Schutzmacht der Arbeitenden wurde so die Reparaturwerkstatt des Kapitalismus. Enttäuscht und nicht selten verbittert wendete sich eine Wählergruppe nach der anderen ab. Bis heute sucht die Sozialdemokratie nach einem Ausweg aus dieser Glaubwürdigkeitsfalle.

      Derartig geschwächt und zerstritten sind die progressiven Strömungen nicht in der Lage, die Richtungswechsel durchzusetzen, die notwendig sind, um die Systemkrise zu überwinden. Ganz im Gegenteil haben die Konflikte über Werte, Identitäten, Prioritäten und Methoden einen heftigen Familienstreit entfacht, der die kollektive Handlungsfähigkeit des progressiven Lagers schwächt.

      Wir brauchen also ein neues Denken, das es erlaubt, gesellschaftliche Gruppen mit unterschiedlichen Werten und Weltsichten, Identitäten und Interessen zusammenzuführen.

      Was tun?

      Die vielen Krisen, die das System unablässig erschüttern, können nicht durch kleinere Reparaturen gelöst werden. Eine Systemkrise kann nur durch die Transformation der alten, sterbenden Ordnung überwunden werden.

      Die überfälligen Paradigmenwechsel scheitern aber seit Jahrzehnten am Widerstand derjenigen, die vom Status quo profitieren oder zu profitieren glauben. Kein noch so ausgeklügelter Plan zur Lösung der Klimafinanzeuropamigrationsdemokratiekrise wird daran etwas ändern. Denn die eigentliche Frage ist, welche gesellschaftlichen Akteure die Richtungswechsel gegen den Widerstand der Beharrungskräfte durchsetzen können.

      Dass dies dem progressiven Lager bislang nicht gelungen ist, liegt nicht zuletzt an seinen untauglichen Strategien. Aktivisten glauben, dass sich die Welt verändert, wenn nur genügend Menschen einsehen, dass sie ihr Verhalten anpassen müssen. Ob sich für die Neugestaltung der Welt Verbündete finden lassen, ist demnach zweitrangig; die Aufgabe der Aktivisten sei es vielmehr, mit Nachdruck das Richtige zu fordern. Die Technokraten halten die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse dagegen für nahezu unveränderlich. Weil die politischen Spielräume im Status quo so eng sind, bleibt ihnen nur die Politik der kleinen Schritte. Die Aktivisten scheitern also, weil sie zu radikal sind, während die Technokraten zu kleinmütig sind, um einen echten Umbau überhaupt zu versuchen. Weil beide Denkschulen nicht willens oder in der Lage sind, die notwendigen Pfadwechsel durchsetzen, verstärken sie ungewollt die Krise des Status quo.

      Im dritten Teil wird daher ein Perspektivwechsel vorgeschlagen. Alle Politik entsteht aus lokalen Kräfteverhältnissen – und zielt auf die Veränderung dieser Kräfteverhältnisse. Der Transformative Realismus versteht Paradigmenwechsel als Ergebnis gesellschaftlicher Machtkämpfe. Den Status quo kann also nur eine breite gesellschaftliche Allianz überwinden, die genügend Machtmittel mobilisieren kann, um sich gegen den Widerstand der Beharrungskräfte durchzusetzen. (Kapitel 15).

      Wie man potenzielle Bündnispartner mit unterschiedlichen, sich oft widersprechenden Interessen, Weltsichten und Identitäten zusammenzubringen kann, ist seit jeher die Gretchenfrage der Politik. Der Transformative Realismus schlägt einen neuen Ansatz zur Allianzbildung vor. Statt wie bisher eine Koalition von Interessengruppen um einen Bauchladen von Angeboten zu versammeln, sollen gesellschaftliche Bündnisse um die Erzählung einer besseren Zukunft herum gebildet werden, in der sich möglichst viele Gruppen wiederfinden können. Utopische Erzählungen sind keine Traumtänzerei, sondern strategische Narrative, die Brücken zwischen verschiedenen Lebenswelten schlagen (Kapitel 16).

      Strategische Narrative müssen einen Spagat vollbringen (Kapitel 17). Wenn sie potenzielle Verbündete nicht verprellen wollen, müssen sie deren Moral- und Ordnungsvorstellungen reflektieren. Um andererseits jedoch eine möglichst breite gesellschaftliche Allianz zusammenzuführen, sollten strategische Narrative anschlussfähig in verschiedenen Wertewelten sein.

      Diskurse alleine reichen allerdings nicht aus, sondern müssen in kollektives Handeln überführt werden. Diese Funktion erfüllen katalytische Leuchtturmprojekte. Katalytische Projekte sind Kristallisationspunkte, um die herum sich potenzielle Verbündete versammeln können, um gemeinsam konkrete erste Schritte zur praktischen Umsetzung der grundlegenden Richtungswechsel zu gehen. Gelingt dies, helfen die Erfolgsgeschichten, bisherige Skeptiker zu überzeugen, dass die Transformation tatsächlich möglich ist (Kapitel 18).

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