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im Bundeskanzleramt, war ostpolitischer Stratege, engster Berater und Freund des SPD-Kanzlers Willy Brandt. Der setzte ihn als Chefunterhändler für die auf Verständigung zielenden Ostverträge mit der Sowjetunion und Polen ein. »Es gelang uns sogar«, berichtet Markus Wolf in seinen Memoiren, »im Privathaus Egon Bahrs Abhöranlagen zu installieren. Wir belauschten ihn dort bei ebenso geheimen wie freimütigen und oft auch fröhlichen Gesprächen mit seinen sowjetischen Partnern. So wusste ich bisweilen wahrscheinlich vor dem Bundeskanzler, mit wie viel Geschick der Unterhändler über seine konspirativen Kanäle die Verhandlungen vorantrieb. Die ›Verwanzung‹ seines Hauses, die uns im Verlauf von Reparaturarbeiten gelang, war ein seltener Glücksfall. Trotz einigem Aufwand glückten uns solche Operationen nur sehr selten. Nach einiger Zeit blieben alle Mikrofone in Bahrs Haus mit einem Schlag stumm. Ich vermute, daß unsere sowjetischen Freunde etwas gemerkt und Egon Bahr gewarnt hatten, denn Moskau paßte es gar nicht ins Konzept, daß die DDR-Führung allzuviel über die Annäherung der UdSSR an Bonn erfuhr.« Über den Vormieter Bahrs, auch eine für Ostberlin höchst interessante Zielperson, schwieg sich Wolf aus.

      Bahr hatte in Kanters Haus einige Male mit Willy Brandt die Köpfe zusammengesteckt, um die nächsten Züge in der Ost- und Entspannungspolitik abzusprechen. Wolf hatte also dank Kanter den Sowjets, mit denen er laut Müller-Enbergs enger zusammenarbeitete, als er zugeben mochte, einiges an Informationsleckerbissen zu bieten. Doch auch Wolf wurde manipuliert. »Egon Bahr wusste schließlich«, erinnert sich Christiane Leonhardt, eine von Bahrs Partnerinnen in den 1970er-Jahren, »[…] dass das Haus total verwanzt war. Er hat das des Öfteren gesagt und er hat sich einen Spaß daraus gemacht, den Lauschern im Osten gezielt Infos über Absichten und Schachzüge und so zukommen zu lassen. Egon Bahr hat denen die Wanzerei nicht groß übel genommen.« Aber dass sein Vermieter hinter der Abhörerei stecken könnte, darauf sei Bahr bei all seinem Scharfsinn nicht gekommen.

      Zumal der ein besonders netter Kerl zu sein schien, wie sich auch später zeigte. In Flicks Lobbybüro an der Bonner Hausdorffstraße gehörte es zu Kanters Aufgaben, für die Düsseldorfer Konzernzentrale Vorschlagslisten jener Politiker mit klebrigen Händen in Regierung, Parlament und Parteien zusammenzustellen, die ihrer industriefreundlichen oder rechtskonservativen Haltung wegen finanziell gefördert oder deren Gunst, wenn es den Interessen des Konzerns diente, durch »inoffizielle Zahlungen« gekauft werden sollte. In einer dieser Listen der Flick-Zentrale über »Inoffizielle Zahlungen« aus dem Jahre 1978 standen der Betrag 40.000 und der Name Egon Bahr, knapp vier Wochen, nachdem die Bonner SPD/FDP-Regierung dem Konzern beim Verkauf seiner Daimler-Anteile Steuerersparnisse in Höhe von Hunderten Millionen D-Mark spendiert hatte. Der Staatsanwaltschaft gegenüber wird Bahr später erklären, er könne sich das nicht erklären.

      Am 3. Juli 1978 hatte sich Bahr, damals SPD-Bundesgeschäftsführer, mit von Brauchitsch getroffen. Es ging um die steuerbefreite Wiederanlage des Erlöses aus Flicks Verkauf von 29 Prozent der Daimler-Aktien nach § 6b des Einkommensteuergesetzes. Der Flick-Manager zitiert in seinem Buch Der Preis des Schweigens aus seinen Notizen über die Unterredung im Wortlaut: »Bahr nannte unsere 6b-Anträge eine ›Schummelei‹.« Aber Bahr habe das Gespräch mit ihm nicht gesucht, weil er ihn habe beschimpfen wollen. In Bahrs Bundestagswahlkreis Flensburg habe der zu Flick gehörende Feldmühle-Konzern viele Arbeitsplätze geschaffen. »Bahr will einen Teil der Feldmühle-Investitionen zur Sicherung des Werkes Flensburg. Als alter Stratege faßt er das Ganze über 6b an, um seine Scheibe Wurst sicherzustellen. – Er bekommt sie. Nur weil einige Abgeordnete in ihren Reihen so tapfer Widerstand geleistet hatten, konnte die SPD doch nicht leer ausgehen.«

      Kanter war beim Flick-Konzern durch Freund von Brauchitsch in die Schlüsselstellung eines Prokuristen und Vizechefs der Politischen Stabsstelle der Geschäftsführung am Sitz der Bundesregierung geschoben worden. Firmengründer Friedrich Flick hatte im Zweiten Weltkrieg sein Industrieimperium zum größten deutschen Rüstungsunternehmen ausgebaut, von dem er wesentliche Teile über den Zusammenbruch hinüber retten konnte. Als Kriegsverbrecher verurteilt, dank seiner Beziehungen und Mittel vorzeitig aus der Haft entlassen, war der Kriegsgewinnler rasch wieder an die Spitze der westdeutschen Industrie gelangt.

      Hatte Flick die Nazis und die SS, Adolf Hitler und Heinrich Himmler mit Millionenbeträgen geschmiert, um Rohstoffe aus der Kriegsbeute und Rüstungsaufträge zu ergattern, machte sich der Alte, wie später sein Sohn Friedrich Karl, auch die Bundestagsparteien und ihre Spitzenpolitiker durch Millionenzahlungen gefügig.

      Gesteuert wurde der breite Fluss der Gelder zur »Pflege der politischen Landschaft«, wie von Brauchitsch das nannte, aus dem geräumigen Büro des Chefbuchhalters Rudolf Diehl im ersten Stock der Düsseldorfer Flick-Zentrale. Diehl führte penibel Buch über die Zuwendungen, die Listen fielen in die Hände von Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung. Die Flick-Affäre platzte auf, 1981 wurde das Bonner Lobbybüro geschlossen, von Brauchitsch gefeuert, ein neues Management bestellt. Diehl war es, der die Geldscheinbündel aus seinen schwarzen Kassen in Aktenkoffer gepackt hatte, Diehl waren die entsprechenden Weisungen von oben, meistens per Telefon, zugegangen, Diehl war eine Schlüsselfigur der Korruptionsunkultur des Milliardenkonzerns. Und deshalb für Markus Wolf besonders interessant. Bis dato nicht bekannt: Es gibt gewichtige Indizien, dass die Stasi Büro und Telefon Diehls mit Kanters Hilfe verwanzt hatte.

      Bernd Würthener, einst Revisor und Finanzvorstand bei den Buderus-Eisenwerken, einer Tochterfirma des Flick-Imperiums, schilderte dem Autor jene turbulenten Tage um den Jahreswechsel 1982/83. Sonntags sei in den Fernsehabendnachrichten gemeldet worden, dass Hans Werner Kolb, der Vorstandsvorsitzende von Buderus, zum Nachfolger des geschassten von Brauchitsch als persönlich haftender Gesellschaft er bei Flick berufen worden sei. Am nächsten Morgen habe ihm der Chef am Telefon befohlen: »Sie kommen mit mir nach Düsseldorf, wir müssen den Sauladen reinigen.« In der ersten Vorstandssitzung in der viergeschossigen Flick-Zentrale in Düsseldorf-Oberkassel habe ihn Kolb auf den Stuhl neben sich platziert, ein Signal, welches Gewicht er dem Revisor beimesse. »Sie prüfen alle und alles durch«, sei Kolbs Vorgabe gewesen. Auf Würtheners Frage, in welchem Büro er denn tätig werden könne, habe Kolb geantwortet: »Gehen Sie durchs Haus und nehmen Sie sich, was Ihnen gefällt.« So sei er, berichtete Würthener, zu Diehls Büro gekommen, »das stand leer, der war ja im Gefängnis«.

      »Als Technikfreak« habe er bald gemerkt, »da stimmt was nicht mit Diehls Telefon«. Beim Mittagessen habe er zu Kolb gesagt: »Ich glaube, wir werden abgehört. Was sollen wir tun?« Kolb habe kurz von einem seiner billigen Schmöker, die er gerne beim Essen las, aufgeblickt und gesagt: »Trauen Sie keinem hier in dem Unternehmen, holen Sie sich Hilfe von außen.« Er habe drei Spezialisten kommen lassen, und die seien bald fündig geworden: Wanzen im ersten Stock, Aufzeichnungs- und Übermittlungsgeräte im Keller. »Wir haben niemanden informiert, im Hause nicht und auch nicht den Staatsschutz.«

      Wer steckte dahinter? Ihre größte Angst sei gewesen, sagte Würthener, dass es die RAF gewesen sein könne. Der Mord an Hanns Martin Schleyer sei ja nicht lange her, die Furcht vor der Roten Armee Fraktion bei den Industriebossen immer noch groß gewesen. Kolb und er hätten wegen des RAF-Verdachts dann im hessischen Steinbruch Hermannstein Schießübungen gemacht, zwecks Selbstverteidigung. Sie hätten aber auch, erinnert sich Würthener, darüber spekuliert, dass es die Steuerfahndung gewesen sein könnte, die den Flick-Laden abgehört hat. Und mit der Steuerfahndung hätte man sich ja weiß Gott nach der ganzen Flick-Affäre nicht anlegen wollen. Übrigens habe er auf Mallorca später einen der Steuerfahnder des in der Spendenaffäre zuständigen Finanzamtes St. Augustin getroffen, und der habe ihm beim Kölsch glaubhaft versichert, so etwas hätten sie nie gemacht.

      »Nach einer Weile aber wussten wir, es war die DDR.« Bei den Wanzen, das hätten die Spezialisten schließlich herausgefunden, habe es sich um umgebaute Hörgeräte aus der Bundesrepublik gehandelt, die als milde Gabe für bedürftige DDR-Bürger »nach drüben« geschickt worden seien. Die Hörhilfen seien im Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen zu Spionagezwecken hergerichtet worden. Kolb und er hätten ihr Wissen für sich behalten, die Stasi nicht warnen wollen. Wenig später seien beim Einbau einer neuen Anlage die Gerätschaften unauffällig entfernen worden. Würthener: »Heute bin ich sicher, dass Kanter die Stasi-Leute da reingelassen hat. Kanter war ja Prokurist, der hatte freien Zugang zur Zentrale.« Damals aber habe niemand Kanter verdächtigt. »Der galt viel in Düsseldorf, alle

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