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wühlte die Parteispenden- und Flick-Affäre die Bundesrepublik auf. Auf Weisung aus Ostberlin hatte Kanter schon den aufstrebenden Jungpolitiker Helmut Kohl und dessen Unterstützertruppe in CDU und Junger Union mit Barem ausgestattet, herangeschafft mittels Spendentricksereien durch Kanter-Freund Eberhard von Brauchitsch. Der hatte dann den DDR-Agenten 1974 auf den Posten des Vizechefs der Bonner Stabsstelle der Flick KG gehievt und ihn so zum umfassend eingeweihten Mitwisser sämtlicher Schmiergeldzahlungen des Konzerns an bundesdeutsche Politiker befördert.

      Kohl hatte sich im Lauf der Jahre Millionenbeträge, zum Teil in bar, illegal zustecken lassen, Schäuble war Mitwisser. So hat es der Generalbevollmächtigte der CDU-Schatzmeisterei, Uwe Lüthje, in einem im Jahr 2000 abgeschlossenen Bekenntnis aufgeschrieben. Laut Lüthje wurden 1982 in bar 4,5 bis 5 Millionen D-Mark unklarer Herkunft – »es könnten auch etwas mehr als 5 Mio. DM gewesen sein« – in schwarze Kassen verschoben, »auf Veranlassung von Helmut Kohl, in Anwesenheit von Wolfgang Schäuble«. Es war in diesen Zeiten, dass Kohl seinen Vertrauten Lüthje fragte, so dessen Niederschrift, ob er als Kanzler nicht »sicherheitshalber zurücktreten solle, ehe das Ergebnis staatsanwaltlicher Ermittlungen mich dazu zwingt«.

      Lüthje schreibt über turbulente Tage im September 1982: »Kohl hatte das ›dringende Bedürfnis‹ – so er selber –, mich zu sprechen. Er schimpfte über Eberhard von Brauchitsch – EvB –, dessen Dummheit er es zu verdanken habe, dass er ausgerechnet jetzt mit Uralt-Spenden-Geschichten konfrontiert werde. Er hatte eine Spendenliste mit vier oder fünf Positionen vor sich […] Es waren das Spenden, die er von EvB jeweils in bar erhalten hatte. Mir war das alles neu. Von Bar-Spenden von EvB – und die dann auch noch an den Parteivorsitzenden – hatte ich nie gehört. Seine dringende Bitte an mich: Ich müsste mir ein Konzept und eine glaubwürdige Argumentation einfallen lassen für die Abwicklung dieser Spenden und ihre Weiterleitung in den Bereich der Schatzmeisterei. Dass dies in jedem Fall eine Argumentation an jeglicher Wahrheit vorbei sein würde, interessierte Kohl nicht; es wurde auch gar nicht darüber gesprochen.«

      Eberhard von Brauchitsch bestätigt Lüthjes Angaben in seinen Erinnerungen von 1999, Der Preis des Schweigens: »Der Betrag von 30.000 DM«, den Kohls Büroleiterin Juliane Weber »persönlich bei mir abgeholt hatte, war in den Büchern der CDU nicht aufzufinden. Die Weitergabe eines Betrages von 25.000 DM vom März 1979 ließ sich ebenfalls nicht belegen.«

      Es hätte Kohl mit ziemlicher Sicherheit den Kopf gekostet, wenn dann auch noch ans Tageslicht gekommen wäre, dass die Schmiergelder für ihn über Jahrzehnte hin mit Wissen und Hilfe eines Stasi-Agenten geflossen sind. Kanter, der sieben Jahre lang, bis 1981, als Flick-Lobbyist brisantes Wissen um die Korruptheit bundesdeutscher Politik aufgehäuft hatte, durfte nicht verhaftet werden. Einen Prozess, in dem Kanter hätte auspacken können, durfte es nicht geben. Schützling Kanter.

      Dabei war der westdeutschen Spionageabwehr ein ordentliches Stück Fahndungsarbeit gelungen. Am 26. September 1983 hatte sich im Westberliner Hotel »Am Tauentzien« ein Gerhard Jennrich aus Altena/Westfalen, Europaring 19, ins Gästebuch eingetragen. Es handelte sich um den Wirtschaftswissenschaftler und Stasi-Agenten Dr. Werner Krüger, Deckname »André«. Er war der Verbindungsmann und Instrukteur Kanters alias »Fichtel«.

      Krüger war mit der Identität eines tatsächlich existierenden Bundesbürgers unterwegs – eine beliebte Tarnung der Ostberliner Stasi-Zentrale. Doch diesmal funktionierte der Trick nicht. Die westliche Abwehr bekam rasch spitz, dass sich der wahre Jennrich zu Hause in Altena aufhielt. Krüger wurde beschattet, in Berlin am Bahnhof Zoo, im D-Zug 246, 1. Klasse, am 27. September 1983, Abfahrt 7.58 Uhr, über Helmstedt nach Hagen. Dort kaufte er eine Fahrkarte nach Andernach. Im Hauptbahnhof Köln stieg er aus, schlenderte zweieinhalb Stunden durch die Kölner Innenstadt. Weiterfahrt im Eilzug nach Andernach, Ankunft 19.07 Uhr. Im Taxi ließ sich der falsche Jennrich durch das Rheinstädtchen zum Mehrfamilienhaus Konrad-Adenauer-Allee 25 fahren. Zwei seiner Observanten drängten sich mit in den Aufzug, im vierten Stock stieg man aus. Krüger/Jennrich holte einen Schlüssel hervor, sperrte eine Wohnungstüre auf, schloss sie hinter sich und ward nicht mehr gesehen. Der Name auf dem Schildchen über der Klingel: Adolf Kanter.

      DDR-Spionagechef Markus Wolf gibt in seinen Erinnerungen (Fußnote: MW Spionagechef im Kalten Krieg, List, 1997) die Abläufe wieder: Man habe eine »Eilmeldung von einer Quelle im Verfassungsschutz« erhalten: »Unser Kontaktmann zu Kanter, Dr. Werner K., gerade auf dem Weg in die Wohnung, die Kanter als Unterkunft für seinen regelmäßigen Besucher gemietet [falsch, Kanter hatte sie gekauft, D. K.] hatte, war enttarnt worden. Er stand seit dem Grenzübertritt unter Beobachtung. Die Beschatter folgten ihm bis vor die konspirative Wohnung. Seine Verfolger warteten noch mit dem Zugriff, weil sie natürlich K.s Gastgeber in flagranti überraschen wollten. In der Wohnung erreichten wir unseren Mann endlich, und es gelang ihm eine abenteuerliche Flucht. Wir fürchteten, eine unserer wichtigsten Quellen zu verlieren. Kanter mußte zum Verhör, dann aber wurden überraschend die Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Unser Mann beim Verfassungsschutz, Klaus Kuron, gab Entwarnung: Auf höhere Weisung seien die Untersuchungen gestoppt worden.«

      Markus Wolf liegt es fern, die ganze Wahrheit zu schreiben. Woher kam die »höhere Weisung«, von der Klaus Kuron berichtet hat? Kuron war beim Kölner Bundesverfassungsschutz für DDR-Spionageabwehr zuständig, wurde 1992 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Flick-Manager von Brauchitsch hegte später, nach Kanters kurzzeitiger Verhaftung – er kam 1994 gegen eine Kaution von 150.000 DM gleich wieder frei – mehr als einen bloßen Verdacht: »Alles, was nach 1983 in Richtung Kanter lief, hätte dann faktisch unter Schutz gestanden – Naturschutzpark Kanzleramt, ein dolles Ding.« Kuron bestätigte den Verdacht. Er meldete seinem Stasi-Führungsoffizier Gunther Nels, die Ermittlungen gegen Kanter seien »auf Grund einer direkten, persönlichen Intervention« des Staatsministers im Kanzleramt, des engen Kohl-Freundes Philipp Jenninger, gestoppt worden.

      Kohl hat dem Stasi -Agenten das Tor zum Kanzleramt weit geöffnet. »Der darf hier rein«, habe der Pfälzer nach seinem Einzug in die Bonner Regierungszentrale angeordnet, erinnerte sich Thomas Gundelach, der Bürochef des Staatsministers Jenninger. Kanter und Kohl waren alte Bekannte aus gemeinsamen Zeiten in den 1950er-Jahren bei der Jungen Union. Kanter war damals schon der Mann mit den Spendengeldern.

      »Jenninger hat mir gesagt«, berichtete Gundelach im Gespräch mit dem Autor weiter, »der Kanzler hat mich gebeten, mich um Kanter zu kümmern.« Ihm, Gundelach, habe Jenninger dann aufgetragen: »Wenn ich keine Zeit habe, setzen Sie sich mit dem zusammen.« Von seinen »gelegentlichen« Zusammentreffen mit Kanter im Kanzleramt hat Gundelach einige Eindrücke bewahrt: »Ein unscheinbarer Mann. Leise und höflich. In Auftreten und Kleidung eher unterwürfig mit dem Gehabe eines Sachbearbeiters, das dazu einlud, ihn zu unterschätzen. Hatte etwas Lauerndes, Schleichendes an sich, ein Typ für die Hintertreppe, der die Öffentlichkeit meidet. Aber auch einer, der geduldig und beharrlich ausfragen konnte.«

      Wie auch, ohne massiven Eingriff von oben, hätte die Flucht von Kanters Verbindungsmann Krüger/Jennrich aus Andernach gelingen sollen? Richter Joachim Vonnahme, der Kanter am 23. März 1995 statt zu drei Jahren Gefängnis, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, lediglich zu milden zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilte, schildert in seiner geheim gehaltenen Urteilsbegründung den Ablauf der wundersamen Rettung: »Dr. Krüger bemerkte die Beschattung jedoch. Von Andernach aus setzte er sich deshalb telefonisch mit dem Angeklagten in Verbindung, schilderte ihm den Sachverhalt und erklärte ihm, daß er unverzüglich die Heimreise antreten wolle. Dieser holte ihn darauf vereinbarungsgemäß mit dem PKW ab und brachte ihn zum Bahnhof in Koblenz, von wo aus Dr. Krüger nach Hause zurückfuhr. Zwei Versuche, ihn in der Wohnung in Andernach festzunehmen, blieben erfolglos, da sich zu den Zeitpunkten der beiden polizeilichen Durchsuchungen niemand dort aufhielt.«

      So viele Ungereimtheiten, und dem Richter sollen sie entgangen sein? Da verfolgten die Staatsschützer Kanters Kontaktmann von Berlin aus quer durch die Bundesrepublik, 25 Beamte aus vier Bundesländern wechselten sich ab. Man hatte es mit einem Profi zu tun, das war ihnen klar.

      Die Fahnder hielten im Protokoll über die Beschattung der Zielperson (ZP) in Köln fest: »Alias Jennrich bewegte sich mehrere Stunden in der Innenstadt, wobei er z. B. in einer menschenleeren Straße durch Umdrehen die ihm in Entfernung folgenden Observanten musterte. Dieses Verhalten wiederholte sich.

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