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und italienischen Texte. Ein erfolgreiches katholisches Gegenstück zur evangelischen Passion ist allerdings überraschenderweise an einem völlig anderen Ort zu finden: das Passionsspiel. Es war zu allen Zeiten auch mit Musik verbunden und war vermutlich auch die erste europäische Schöpfung eines Gesamtkunstwerks, wie es später Richard Wagner anstrebte. Das heute noch aufgeführte berühmteste Beispiel ist Oberammergau in Bayern: Die Schauspielmusik für Soli, Chor und Orchester stammt von Rochus Dedler, einem Zeitgenossen Beethovens, und hat die Dauer und die Tonsprache einer veritablen Oper. Es ist für die katholische Gegenreformation bezeichnend, dass sie mit Mitteln der Kunst – der Malerei, der Architektur, des Schauspiels und der Musik – Protestanten für den alten Glauben zurückzugewinnen suchte. Da ihr die bei den Evangelischen so erfolgreiche deutsche Passion wegen der lateinischen Kultsprache untersagt war, wich sie auf andere Passionsmusiken aus: neben der lateinischen und manchmal italienischen Passion waren dies Grabmusiken, die Musik zu den sieben letzten Worten Jesu und das Stabat Mater – eine Passionsmusik mit Blick auf Maria unter dem Kreuz.

      Neben der Passion, die ja aus dem Mittelalter kommt und nur für kurze Zeit im Barock die Form eines Oratoriums angenommen hatte, hatte das Oratorium selbst eine durchaus ruhmreiche Geschichte. Bei Händel verstand es sich vor allem als Oper ohne Szene, die der künstlerisch erfolgreiche, doch letztlich kommerziell gescheiterte Opernkomponist bestens beherrschte, bei Haydn bereits als im weltlichen Raum aufgeführtes religiöses (Schöpfung) oder weltliches (Jahreszeiten) Werk. Dass Gott auch während der Jahreszeiten gelobt wurde, war für den damaligen Zuhörer ohnehin kein Problem. Die beiden wichtigsten Oratorien der Romantik sind mit »Elias« und »Paulus« zwei biblische Werke – immerhin von einem zum Protestantismus konvertierten Juden aus tiefer Überzeugung komponiert. Hier hat sich das Oratorium endgültig aus dem engen Umfeld der Kirchen gelöst. Das ist gar nicht so selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass die Herkunft der Gattung (lat. orare/beten) eine religiöse ist. Die Bezeichnung »weltliches Oratorium« ist natürlich unfreiwillig komisch und klingt so ähnlich wie »Gottesdienst für Agnostiker«. Dennoch hat gerade das 20. Jahrhundert in dieser eigenartigen Gattung wichtige Werke hervorgebracht (Strawinsky »Oedipus Rex«, Schönberg »Ein Überlebender aus Warschau«).

      Es ist interessant zu verfolgen, wie sich die Oper von ihrer Entstehungszeit her immer mehr formalisierte: War sie zuerst reiner Sprechgesang, der sich am Text und dem dramatischen Geschehen orientierte, gruppierte sich in der Folge die Musik immer stärker zu kleinen Formen und letztlich zu den klassischen Teilen (Rezitativ, Arie, Duett, Ensemble, Chor, Ballett, Ouvertüre, Intermezzo). Zeitweilig waren die Teile auch von verschiedenen Komponisten »beigesteuert« worden, wodurch die dramaturgische Einheit zu einem heterogenen Pasticcio – einer »Musikpastete« – wurde. Als die Opera seria zur langatmigen Nummernoper verkommen war, setzte die Gegenbewegung ein und verband die Teile wieder zu einem großen Ganzen, so dass um Wagner und Verdi wieder großes Musiktheater aus einem Guss zu erleben war.

      Die Oper als aufwändigste und teuerste musikalische Gattung war auch immer wieder der Anlass zu Konflikten und Parteiungen, die sich gelegentlich sogar zu richtigen Glaubenskämpfen stilisierten. Den Wagnerianern gelang sogar ein in der Musikgeschichte einmaliges Vorhaben: Ihr Religionsgründer errichtete sich und seiner Glaubensgemeinschaft einen eigenen Tempel zur Aufführung seiner Werke. Man kann Wagners Mono- und Egomanie tadeln oder bewundern – aber die Firma Bayreuth ist in der Kunstwelt einzigartig. (Als würden im Mozarteum Salzburg nur Mozarts Werke unterrichtet und aufgeführt.) Es ist bemerkenswert, dass es um keine andere musikalische Gattung derart wüste Kämpfe, Beschimpfungen und Intrigen gab wie um die Oper.

      Die große Popularität der Oper zu Zeiten Mozarts oder Wagners, die ja die erfreuliche Vorderseite der Positionskämpfe ist, kann heute keine Oper mehr verbuchen. Waren es zeitweise die Singspiele und Operetten (und ihre nationalen Spielarten wie Zarzuela, Vaudeville) und später die Musicals, die noch breitere Bevölkerungsgruppen ansprechen konnten, so sind es heute eher Filme, musikalische Shows und diverse Fernsehvarianten, die es zu ähnlicher Bekanntheit bringen können. Die gute alte Oper wurde wiederholt totgesagt. Und wenn man heute in eine zeitgenössische Oper geht, dann erlebt man eine Art von Musiktheater, die sich natürlich seit 1600 immer wieder weiterentwickelt hat. Die einen finden sie lächerlich, weil die Menschen beim Liebesakt und sogar beim Sterben singen, die anderen finden sie gerade deshalb so stark, weil nichts so sehr nach Musik drängt wie die Erfahrung von Liebe und Tod.

      Das 19. Jahrhundert kannte zwei musikalische Gattungen, die ebenfalls Geschichten in Musik gossen, jedoch in einer zeitgebundenen und deshalb beinahe vergessenen Form. Das Melodram verband Sprache mit Musik – konkret einen oder mehrere Sprecher(innen) in Kompositionen für Orchester oder Klavier. In Opernszenen gab es das – etwa im »Fidelio« oder im »Freischütz« – schon länger. Ein Melodram im Großformat ist eine rezitierte Geschichte mit illustrierender Hintergrund- und Verbindungsmusik des Orchesters. Im Kleinformat genügen ein Sprecher, eine Sprecherin und ein Pianist. Die Werke (Schumann, Liszt, Richard Strauss) sind allesamt vergessen und vermutlich durch die Entwicklung der Medien (Tonträger, Hörfunk, Fernsehen) abgelöst. Im 20. Jahrhundert versuchten es nochmals Arnold Schönberg und Alban Berg. Eine ebenfalls kleinere Version des Dramas mit Text und Musik ist die Ballade: Von dieser Gattung werden fast nur mehr jene des sonst als Komponisten unterschätzten Carl Loewe aufgeführt. Goethes Erlkönig wurde ebenso von ihm wie von Franz Schubert vertont.

      In dieses Kapitel gehört auch eine weitere musikalische Gattung, die dem dramatischen Geschehen verbunden ist: die Ballettmusik. Sie ist eigentlich ein selbstständiges »Tanztheater«, hat aber auch in vielen Opern, Operetten und Musicals einen festen Platz. Die Faszination guter Ballettmusik besteht darin, dass sie selbst ohne das visuelle Erlebnis des Tanzes und ohne das Wissen um die in einen Tanz gegossene Geschichte dem Hörer ein pulsierendes und tänzerisches Hörerlebnis zu geben vermag. Das ist wohl der Grund, weshalb sich viele Ballettmusiken auch in den Konzertprogrammen gehalten haben. Das kann besonders Musikfreunde ansprechen, die musikalische Eindrücke primär über den Rhythmus erfahren – wie es die Popmusik in oft trivialer Weise demonstriert.

      Dieser Musik wohnt die Anteilnahme an sinnlichen und dramatischen Vorgängen inne, die man nicht immer sehen muss, um sie zu empfinden.

      4 ANDANTE CANTABILE

      GESANG UND STIMME

      Eine Musik mit besonderer Faszination ist die menschliche Stimme. Kein Klang ist so authentisch und von derart direkter persönlicher Ausstrahlung wie der Gesang. Schon dass man meist nach wenigen Tönen erkennt, ob hier ein Mann, eine Frau oder ein Kind Musik erzeugt, ist ausschließlich beim Singen möglich. Zudem braucht der Gesang kein Instrument – außer dem Körper. Oder noch deutlicher: Beim Singen ist der Mensch selbst das Instrument, auf dem er spielt. Damit kein Irrtum aufkommt: Man singt nicht nur mit dem Hals, der Lunge, den Stimmbändern, dem Mund. Man singt mit dem ganzen Körper. Ein steifer und verkrampfter Körper, der nur in den oberen Luftwegen Töne erzeugen will, kann keine gute Musik hervorbringen. Nur wenn der ganze Mensch singt, singt er gut. Das gilt übrigens auch für jede andere Form des Musizierens.

      Die Geschichte der Vokalmusik ist so alt wie die Geschichte der Musik überhaupt. Und vielleicht ist der Gesang auch das Urbild jeglicher Musik, so dass sich auch in den Spielanweisungen für die Instrumentalmusik immer wieder Ausdrücke aus dem vokalen Bereich finden (Andante cantabile). Auf Instrumenten sanglich zu musizieren, ist ein gutes und altes Ideal. Von den Anfängen der Vokalmusik haben wir nur Ahnungen und Vermutungen, aus dem Mittelalter immerhin dank der Schriftkultur der Kirchen und Klöster den gregorianischen Choral und ein wenig weltliche Musik, aus der Renaissance einen reichen Schatz an geistlichen und weltlichen Gesängen – vor allem mehrstimmige. Das hat wohl auch damit zu tun, dass man einstimmige Gesänge leichter im Gedächtnis behält und nicht unbedingt aufzeichnen muss. Man sollte also nicht vorschnell aus den Aufzeichnungen auf die tatsächliche Praxis schließen.

      Wenn wir heute die geistlichen Gesänge rund um den wohl bekanntesten Komponisten geistlicher Musik des 16. Jahrhunderts – Palestrina – hören, dann entsteht leicht ein folgenschwerer Irrtum: Wir hören bei den meisten Aufführungen und auf den meisten Tonträgern unbegleitete Chöre mit 30 bis 50 Sängerinnen und Sängern – meist in einem schönen, homogenen und gepflegten Chorklang, samt guter

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