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Kate Maggie kannte, fest zum Inventar von Maggies Häuschen in Pacoima gehört hatte und ständig in Maggies Reichweite gewesen war. Er gehörte zu den wenigen Dingen, die Maggie in ihr letztes Domizil mitgenommen hatte.

      »Ich sehe dich da stehen«, sagte Maggie mit dünner Stimme, ohne den Kopf zu wenden.

      Kate war die außergewöhnliche Wahrnehmung, über die Maggie seit einiger Zeit verfügte, inzwischen vertraut. Sie hielt die Starbucks-Tüte hoch. »Ich habe dir deinen guten alten Freund Frappuccino mitgebracht.«

      Nun wandte Maggie ihr den Kopf zu, und die durchscheinende Haut über ihrem ausgezehrten Gesicht straffte sich über ihren Wangenknochen, als sie lächelte, und schimmerte weiß. Mit einer leichten Kopfbewegung wies sie auf das zweite Bett. »Das ist Alice. Sie ist gestern hier im Todestrakt angekommen.«

      Das Hospiz beherbergte zehn Menschen, zwei in jedem Zimmer, und ein Bett war stets nur kurze Zeit nicht belegt. Maggie hatte keine Familie – man hatte die Tochter, die unbeirrt als Butch ihren Weg ging, schon Jahrzehnte zuvor verstoßen. Kurz nach der Diagnose ›Krebs im Endstadium‹ hatte Kate recherchiert, Silverlake Haven entdeckt und unter die Lupe genommen – ein wichtiges Kriterium war die Aufgeschlossenheit gegenüber LGBT-Menschen – und Maggie auf die Warteliste setzen lassen. Als irgendwann klar wurde, dass Palliativbetreuung rund um die Uhr alles war, was man noch für Maggie tun konnte, stand ihr Name bereits oben auf der Liste, und Kate hatte sie mit einem privaten Krankentransport herbringen lassen.

      Kate füllte den Frappuccino in den Keramikbecher, steckte den biegsamen Strohhalm aus Maggies Wasserglas hinein und servierte ihn ihr. Maggie hob den Kopf und trank genießerisch einen Schluck. »Gut. Das hier auch.« Sie hob das Buch hoch, einen Roman von KG MacGregor. »Patton hat mir gestern das letzte Kapitel vorgelesen.«

      Kate nickte. »Ich bringe dir morgen etwas von einer deiner Lieblingsautorinnen mit – den neuen Roman von Karin Kallmaker.« Sie holte einen Blaubeermuffin aus der Tüte. »Wie geht’s dir?«, fragte sie pflichtschuldig und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett.

      »Ging mir nie besser. Iss du den Muffin«, sagte sie zu Kate. »Ich will ihn nicht – es sei denn, er enthält die Pillen, um die ich dich gebeten habe.«

      Kate warf einen raschen Blick auf die neue Zimmergenossin, die aufzuwachen schien, und schüttelte den Kopf. »Fang nicht wieder davon an, Maggie.«

      »Warum nicht? Ich habe eine neue Idee, die all deine Gewissensbisse ausräumen wird. Wie wär’s, wenn du das nächste Mal zwei Revolver mitbringst, mir den einen gibst und mich dann in Notwehr erschießt?«

      Kate musste wider Willen laut auflachen, und von Alice aus dem anderen Bett ertönte ein Schnauben, das keineswegs wie Schnarchen klang.

      Maggie sprach mit leicht pfeifendem Atem und einiger Mühe, aber immerhin ohne zu husten. Das war vermutlich den neuen Medikamenten zu verdanken, die sie über den Sauerstoffschlauch inhalierte und die die Atemwege heute freizuhalten schienen.

      Kate wusste, dass Maggie möglicherweise nicht an Lungenversagen sterben würde. Im vierten Stadium hatte der Lungenkrebs bereits Tochtergeschwülste in die Leber gesetzt. Man hatte Kate gesagt, dass es nur eine Frage von Wochen, wenn nicht gar Tagen war, bis eine oder mehrere Vitalfunktionen ausfallen würden.

      »Kate, als Audie Schlaftabletten genommen hat, fandst du das in Ordnung. Du warst der Meinung, sie habe das Recht zu tun, was sie getan hat, als ihr Krebs –«

      Kate runzelte die Stirn. Aber sie hat es selbst getan. Und Audies Leichnam zu finden hat beinahe auch noch Raney umgebracht.

      »Kate, wie kannst du deiner besten Freundin wünschen, wochenlang dahinzusiechen?«

      Weil ich nicht einmal den Gedanken ertrage, dich zu verlieren.»Darüber haben wir schon gesprochen.«

      »Sei froh, dass du das Rauchen schon vor langer Zeit aufgegeben hast, Kate.«

      »Wenn Anne nicht gewesen wäre …« Sie brachte den Satz nicht zu Ende, denn sie mochte nicht sagen, dass sie dankbar war. Wenn Anne sie nicht dazu gebracht hätte aufzuhören, wäre sie wahrscheinlich dumm genug, immer noch zu rauchen. »Ich glaube, das kommt vom jahrelangen Passivrauchen in der Nightwood Bar.«

      »Du meinst also, dass meine lesbischen Schwestern mich umgebracht haben?«

      Kate lächelte sie an.

      »Vielleicht nur diejenigen, die du verführt und dann abserviert hast.«

      »Sind Sie die Freundin von der Polizei?«, rief die Frau aus dem zweiten Bett zu ihr herüber. Ihre Stimme klang zittrig und quengelig. »Ich brauche Ihre Hilfe.«

      Kate sah Maggie mit gerunzelter Stirn an. Maggie zuckte die Achseln. »Ich habe ihr von dir erzählt. Ich habe ihr gesagt, dass du nicht mehr im Dienst bist.«

      »Miss Police Detective, kann ich mit Ihnen reden?«

      Kate sah Maggie an und verdrehte die Augen. Dann stand sie auf und ging zu dem anderen Bett hinüber. »Hallo, Alice. Ich heiße Kate. Ich kann Ihnen nicht behilflich sein. Ich bin aus dem Polizeidienst ausgeschieden.«

      Alice musterte Kates Khakihosen und das gelbe Poloshirt mit einem Hauch von Anerkennung in den wässrigen blauen Augen. Dann heftete sie ihren Blick auf Kates Gesicht. »Sie müssen jemanden für mich finden. Jonathan Philip Souza. Wie John Philip Sousa, nur dass er Jonathan heißt und dass Souza sich mit Z schreibt.«

      »Haben Sie denn keine Familie –«

      »Meine Familie will nichts mit ihm zu tun haben. Ich muss ihn aber sehen. Ich muss ihm unbedingt sagen …« Tränen füllten ihre Augen, quollen über und liefen ihr die runzeligen Wangen hinunter. »Ich liebe diesen Jungen. Bitte finden Sie ihn! Sagen Sie ihm, dass seine Tante Alice ihn sehen möchte.«

      »Alice, es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte Kate sanft.

      Alice wischte ihren Einwand mit einer klauenartigen Hand verächtlich fort. »Was sind Sie denn für eine Detektivin?« Der Ton machte klar, dass sie Kate eigentlich fragte, was für ein Mensch sie war. Sie drehte sich um, wandte Kate den Rücken zu und schaute an die Wand.

      »Kate …« Maggie winkte Kate zu sich.

      Kate kehrte zu ihr zurück und beugte sich auf Maggies Geheiß zu ihr hinunter. »Bauchspeicheldrüsenkrebs«, flüsterte Maggie ihr ins Ohr. »Sei nachsichtig mit ihr – wer weiß, was für Medikamente sie kriegt.« Maggie legte ihr die Hand auf die Schulter, damit Kate sich noch nicht aufrichtete, und fuhr fort: »Dieser Junge – er ist kein Junge mehr. Er ist fünfunddreißig, und er ist schwul. Seine Familie hat sich von ihm losgesagt, genau wie meine damals – vor vielen, vielen Jahren.«

      »Ich weiß nicht, was ich tun –«

      »Red keinen Unsinn«, keuchte Maggie. Sie schob Kate mit schwachen Kräften von sich. »Tu’s einfach.«

      Kate seufzte.

      »Du siehst ziemlich fertig aus«, fuhr Maggie fort und inspizierte sie näher. »Verkatert?«

      »Ein bisschen«, gab Kate zu. Dank Tylenol fühlte sie sich schon besser.

      »Aimee war gestern Abend hier.«

      Kate nickte. Aimee besuchte Maggie, wenn Kate sie nicht besuchte. Einige Tage zuvor war Kate aus dem Hospiz gekommen und hatte gesehen, wie Aimee davonfuhr, als sie bemerkt hatte, dass Kates Focus vor dem Silverlake Haven stand.

      »Wenn du das Trinken nicht lässt –«

      Kate hob entschieden die Hände. Nicht nötig, dass Maggie ihre Tirade erneut losließ. »Ich muss gehen«, sagte sie. »Ich habe um halb zwölf einen Termin.« Sie tätschelte Maggie die Hand.

      Maggie ergriff Kates Hand. »Bitte, Kate, ich möchte, dass das hier zu Ende geht. Bring mir einfach ein paar Pillen. Das ist alles, worum ich dich bitte.«

      »Maggie, ich kann das nicht.«

      »Du kannst das.«

      Kate zog ihre Hand fort und stand auf. Traurig

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