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      Dr. Aydin musterte den Klinikchef erstaunt.

      »Heißt das, Sie übernehmen den Fall?«

      »Wollen Sie?«

      Schnell schüttelte Milan den Kopf.

      »Nein. Ich bin froh, wenn Sie das tun.«

      *

      »Und? Wie sieht es aus?« Eine halbe Stunde später stand Dr. Weigand wieder am Bett seiner Patientin Anette Pastor.

      Statt einer Antwort reichte Benjamin Gruber ihm das Tablet.

      »Vor ein paar Minuten hat das Labor die aktuellen Werte geschickt.«

      »Oh.« Matthias griff nach dem Gerät und scrollte sich durch die Zahlenkolonnen. »Das Antiserum schlägt gut an.«

      Dr. Gruber wagte ein schüchternes Lächeln.

      »Ich weiß.«

      Auch Matthias lächelte.

      »Dann wissen Sie sicher auch, dass Frau Gruber die Krise überstanden hat.« Er nickte anerkennend. »Gute Arbeit, Gruber. Und jetzt gehen Sie bitte und informieren Sie Herrn Pastor.«

      »Gern.« Benjamin machte sich sofort auf den Weg. Er fand Hartmut Pastor im Aufenthaltsraum für die Angehörigen. Als der Arzt auftauchte, sprang Hartmut vom Stuhl auf. Tee schwappte über den Rand der Tasse.

      »Kruzifix!«, schimpfte er. »Ist denn heute nicht schon genug passiert!« Dankend griff er nach der Serviette, die Benjamin ihm reichte.

      »Halb so wild. Das trocknet wieder. Und Ihre Frau befindet sich auch auf dem Weg der Besserung.«

      Pastor hielt in der Bewegung inne. Er sah den Assistenzarzt mit großen Augen an.

      »Und das erzählen Sie mir so nebenbei?« Seine Mundwinkel zogen sich hoch. Er stellte die Tasse weg und fasste Benjamin an den Schultern. »Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin. So eine Aufregung wegen ein bisschen Forelle! Davon stirbt man doch nicht gleich, oder?«

      »Nein … ich meine … doch.« Benjamin schluckte. Er war nicht so der direkte Typ. Eher schüchtern und zurückhaltend. Noch immer fiel es ihm schwer, den Menschen die Wahrheit mitten ins Gesicht zu sagen. Aber auch das gehörte zu einem guten Arzt. Das musste er sich jeden Tag wieder ins Gedächtnis rufen. Er trat einen Schritt zurück. Hartmuts Hände fielen ins Leere.

      »Ja, an dem bisschen Forelle hätte Ihre Frau sterben können.«

      Pastor verging das Lachen.

      »Das kann sie doch nicht einfach so machen.« Seine Augen suchten Dr. Grubers Blick. »Sie wissen ja sicher, wie das in einer langen Ehe so ist.«

      Benjamin knetete die Hände.

      »Ich … Ich bin nicht verheiratet.« Er hatte noch nicht einmal eine Freundin. Aber das musste Herr Pastor nicht unbedingt wissen.

      »Ach ja, natürlich. Sie sind ja noch so jung.« Hartmut fuhr sich über die Stirn. »Ich fürchte, ich bin manchmal ganz schön ungeduldig mit Anette. Dabei will ich doch nur, dass alles wieder so wird, wie es früher zwischen uns war.«

      Benjamin trat von einem Bein auf das andere. Er wusste, dass er der völlig falsche Ansprechpartner für Beziehungsfragen war.

      »Dann ist ja jetzt vielleicht eine gute Gelegenheit, um in aller Ruhe darüber zu reden. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen. Ich muss wieder an die Arbeit.« Er nickte dem reuigen Ehemann zu und trat die Flucht an, bevor Hartmut auch nur Luft holen konnte.

      *

      An diesem Abend ging es hoch her in der Behnisch-Klinik. Dr. Weigand wollte eben in sein Büro abbiegen, als das Tablet unter seinem Arm klingelte. Die Kollegen aus der Radiologie hatten Nina Schöns Aufnahmen eingespielt. Sie standen zum Abruf bereit. Kurzentschlossen änderte er seine Pläne und machte sich auf den Weg zu ihr. Und zu Sophie! Dieser Gedanke ließ sein Herz höher schlagen. Doch Nina war allein im Behandlungszimmer. Sie lag auf der Liege und döste vor sich hin. Als sie die Schritte im Zimmer hörte, blinzelte sie ins Licht der Deckenleuchte. Sie erwiderte Matthias’ Lächeln.

      »Wie fühlst du dich?«, fragte er.

      »Als hätte mich ein Regal angefallen.« Sie las in seiner Miene. »Sophie ist übrigens heimgegangen. Sie will die Nachbarin nicht so lange einspannen. Ich soll dich schön grüßen.«

      Matthias spürte die Hitze im Gesicht. Schnell konzentrierte er sich auf den eigentlichen Grund seines Besuchs. Er griff nach dem Tablet. Auch die Kollegen, die sich anfänglich gegen die Einführung dieses elektronischen Hilfsmittels gesperrt hatten, waren zunehmend begeistert angesichts der vielen Vorteile, die es bot. Dass die lästige Aktensuche weitgehend der Vergangenheit angehörte, war nur einer der Vorzüge. Viele Informationen konnten die Ärzte direkt am Krankenbett erfassen und mit der eingebauten Kamera Fotos für die Wunddokumentation aufnehmen. Änderungen der Medikation eines Patienten flossen unmittelbar in die digitale Patientenakte und waren dort für alle Beteiligten abrufbar. Genau wie die Bilder aus anderen Abteilungen.

      »Wie ich vermutet habe. Du hast dir eine vordere Schulterluxation angelacht, aber keine Fraktur. Man könnte sagen, du hattest Glück im Unglück.« Er wischte noch ein paar Mal über den Bildschirm, als traute er seiner eigenen Diagnose nicht.

      Nina sah ihm dabei zu.

      »Bist du sicher? So weh, wie es tut?«

      »Das ist ganz normal bei dieser Art von Verletzung.« Matthias drückte auf die Klingel am Kopfende der Behandlungsliege. »Du wirst sehen: Wenn alles wieder an seinem Platz ist, geht es dir besser.«

      »Dein Wort in Gottes Ohr.« Sie sah ihm zu, wie er eine durchsichtige Flüssigkeit aus einer Plastikkanüle in den Zugang in ihrem Arm drückte. Sein Blick ruhte auf dem Überwachungsmonitor. In schönster Regelmäßigkeit eilten die Linien über den Bildschirm.

      Vom Flur wehten Schritte herüber und kamen schnell näher. Schwester Astrid und ihre Kollegin Josepha betraten das Zimmer. Ausgerechnet die Lästerschwestern! So konnte er sicher sein, dass alles, was im Zusammenhang mit diesem Fall passierte, blitzschnell die Runde in der Klinik machte. Innerlich rollte Dr. Weigand mit den Augen. Äußerlich blieb er völlig ruhig. Nickte den beiden zu und erklärte den Fall. Im nächsten Augenblick konzentrierte er sich schon wieder auf Nina.

      »Jetzt zählst du bitte langsam von zehn rückwärts.«

      »Zehn? Glaubst du, das reicht? Also schön. Zehn. Neun. Acht …« Ihre Stimme verstummte.

      Matthias lächelte. Er kannte dieses Phänomen aus eigener Erfahrung. Fast jeder Patient dachte, vor Aufregung nicht einschlafen zu können. Um sich schneller als gedacht den mächtigen Medikamenten geschlagen zu geben.

      Nachdem er sich versichert hatte, dass Nina tief und fest schlief, trat er auf die andere Seite der Liege.

      »Ich werde jetzt die Schulter reponieren. Ziehen Sie bitte das Tuch straff und halten Sie es ganz fest.« Er drückte Astrid die beiden Enden eines grünen Tuchs in die Hand, das er zuvor unter Ninas Mitte geschoben hatte. »Sie übernehmen bitte den Sauerstoff«, wies er Josepha an. Anschließend klemmte er ein Handtuch unter Ninas Achsel. Er griff nach ihrem Arm. »Abduktion. Außenrotation. Elevation.« Ein Ruck, und die Kugel rutschte zurück ins Gelenk. Im selben Moment klopfte es. In seinem Rücken öffnete sich die Tür. Eine Kollegin kam herein und drückte Josepha ein Klemmbrett in die freie Hand. Sie warf einen Blick auf das Formular.

      »Glukose bei 2,8«, stieß sie hervor.

      Als Krankenschwester wusste sie um die Bedeutung dieses Wertes.

      Genau wie Matthias Weigand. Er legte den Arm der Patientin zurück auf die Liege und nahm das Klemmbrett, das Josepha ihm hinhielt.

      »Unterzuckerung?« Er kratzte sich am Kinn. »Ich wusste nicht, dass Nina Diabetikerin ist.«

      »Sie kennen die Patientin?«, fragte Astrid scheinheilig.

      »Sie ist eine Freundin von Sophie … Ich meine, von Dr.

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