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hast du hier mehr als genug«, murmelte Robert und hob seinen eigenen Koffer aus dem Auto. Er warf einen raschen Blick auf die Fassade des großen Hauses und stellte überrascht fest, wie gepflegt sie aussah. Der weiße Anstrich konnte nur wenige Jahre alt sein, die Fenster waren neu und fügten sich perfekt in das alte Umfeld ein. Neben der zweiflügeligen Haustür, die einladend geöffnet war, standen zwei große, kobaltblaue Pflanzkübel mit weißen Hortensien.

      »Wer ist denn für diese Deko verantwortlich?«, fragte er. »Soviel Stil hatte ich hier nicht erwartet.«

      Daniel schaute ihn seltsam an. »Das sind Mamas Pflanztöpfe, und sie stehen seit vierzehn Jahren neben der Haustür. Erinnerst du dich nicht daran?«

      Nein, das tat Robert nicht. Er zuckte gleichgültig die Achseln und trat in die Eingangshalle mit dem klassischen, schwarz-weißen Fliesenboden. Hier war es angenehm kühl, aber keineswegs feucht und muffig. Das Sonnenlicht ließ die Holzfußböden der angrenzenden Zimmer aufleuchten.

      Überrascht musste Robert zu­geben, dass der erste Eindruck, den er vom Haus hatte, ganz anders als ­erwartet war. Alles wirkte geschmackvoll und wohnlich, das Haus war im Laufe der Zeit sehr gekonnt renoviert worden. Robert als Architekt konnte den Wert der geleisteten Arbeit gut einschätzen und er erkannte, wie sehr ihm dieses Anwesen nützen würde. In seinem Kopf erwachten ganz neue Gedanken.

      Nachdem das Paar sein Gepäck ins Zimmer gebracht und sich eingerichtet hatte, erwartete Rautende sie im Garten, wo im Schatten eines alten Walnussbaums einige Erfrischungen vorbereitet waren.

      »Habt ihr Lust zu einem Rundgang?«, fragte Daniel. »Ich habe mir heute frei genommen, und wir könnten uns zusammen alles ansehen. Es hat sich einiges verändert, seitdem du zum letzten Mal hier gewesen bist.«

      »Das sehe ich«, antwortete Robert. »Wie ist es dazu gekommen? Hier war man doch sonst nicht so offen für Veränderungen und Neuerungen.«

      »Alles zu seiner Zeit«, erwiderte Daniel ruhig. Er hatte beschlossen, sich von Robert nicht aus der Fassung bringen zu lassen. »Papas Krankheit und der Aufbau der Firma haben Kraft und Zeit in Anspruch genommen. Wir wollten ›Silberwald‹ in seiner ursprünglichen Form erhalten, nicht nur hier und dort einige halbherzige Modernisierungen durchführen.«

      Robert runzelte irritiert die Stirn. »Welche Firma meinst du?«

      »Unsere Tischlerei«, antwortete Daniel mit ehrlichem Stolz in der Stimme.

      »Den Zwei-Mann-Betrieb?«, winkte Robert geringschätzig ab.

      Rautende schnappte empört nach Luft und wollte widersprechen, aber Lilly kam ihr zuvor. »Ich glaube kaum, dass ein Zwei-Mann-Betrieb die Glaskuppel über dem Festsaal in der Burgruine hätte bauen können«, sagte sie ruhig.

      Unwillkürlich schoss Daniel das Blut in die Wangen. Berechnung und Bau dieser Glaskuppel waren ein Meisterwerk gewesen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Lilly dieses Projekt kannte. »Woher weißt du von den Arbeiten an der gläsernen Kuppel über der Burg?«, fragte er interessiert.

      Sie schaute ihn kühl an. »Ich studiere Architektur und habe darüber eine Semesterarbeit geschrieben.«

      »Davon weiß ich ja gar nichts«, ging Robert eifersüchtig dazwischen.

      Lilly lächelte ihn an. »Es war, bevor wir uns kennenlernten«, antwortete sie beschwichtigend, »und bis vor Kurzem habe ich nicht gewusst, dass dieser Fensterbauer dein Bruder ist.«

      »Mei, worüber redet ihr zwei denn miteinander?«, wunderte sich Rautende. »Du bist Architekt, Robert, und wirst von der Leistung deines Bruders erfahren haben. Bist du denn gar nicht stolz auf das, was Daniel erschaffen hat?«

      »Meine berufliche Aufmerksamkeit liegt bei vielem«, erwiderte Robert von oben herab. »Das, was in Bergmoosbach gebaut wird, ist dabei nicht von großem Interesse.«

      »Aber der Daniel ist doch …«, rief Rautende empört, wurde aber von dem jüngeren Bruder unterbrochen.

      »Ist schon in Ordnung, Rautende«, glättete Daniel die Wogen. Er wollte nicht schon am Ankunftstag eine Auseinandersetzung haben. »Deine geeiste Limonade und die Brezel waren köstlich wie immer, vielen Dank. Wollen wir dann jetzt unseren Rundgang machen?«

      »Ja, gern; nach dem Sitzen im Flieger und im Auto mag ich mich jetzt bewegen«, antwortete Lilly und stand sofort auf. Sie schob ihre Hand in die von Robert. »Kommen deine Hunde auch mit?«

      »Was denkst denn du? Daniel ist doch nichts ohne seine Lassie«, sagte Robert spöttisch.

      »Du hast einen der Collies tatsächlich Lassie genannt?«, fragte Lilly erstaunt.

      »Nein«, antwortete Daniel ruhig. »Mein erster Collie hieß Bonnie und diese beiden hier sind Athos und Alamea.«

      Beim vertrauten Klang ihrer Namen stellten sich die beiden klugen Hunde neben ihren Herrn und warteten auf sein Kommando. Daniel brauchte nur leicht den Kopf zu bewegen, und die Collies liefen in die Richtung, die er angezeigt hatte.

      »Du hast sie sehr gut erzogen«, sagte Lilly, wider Willen beeindruckt.

      »Wir können uns aufeinander verlassen«, antwortete Daniel schlicht. »Kommt, beginnen wir unseren Rundgang im Garten.«

      Während sie durch das üppige Grün gingen, spürte Lilly, wie einiges ihrer inneren Anspannung von ihr abfiel. Der unbekannte Bruder war weit weniger unangenehm und fordernd, als Robert ihn beschrieben hatte. Im Gegenteil, aus seinem Verhalten sprach kein Besitzerstolz, sondern vielmehr eine tiefe Liebe zum ›Silberwald‹, die ihr den Mann unmerklich sympathisch machte.

      Auch Robert erkannte, dass er sich von etlichem ein falsches Bild gemacht hatte. Weder war das Gutshaus heruntergekommen, noch das dazugehörige Land vernachlässigt.

      ›Silberwald‹ war immer ein landschaftlicher Betrieb gewesen, mit dem Ausbau der Tischlerei hatte erst Daniel begonnen. Jetzt waren die umliegenden Ländereien, die Ställe und Scheunen verpachtet, vom Gutshof wurden nur noch die Gärten und eine große Streuobstwiese bewirtschaftet. Daniels kleine Tischlerei hatte sich zu einem großen, gut gehenden Betrieb entwickelt, der sich an einer anderen Stelle des Dorfes befand.

      »Ich habe mich auf Altbausanierung spezialisiert und baue Fenster, Türen und Treppen nach alten Mustern oder restauriere sie, aber ich bin auch Möbeltischler«, erklärte Daniel. »In unserem ehemaligen Pferdestall ist die Werkstatt für den Möbelbau und Restaurierungen untergebracht.«

      Robert und seine Freundin schauten sich sehr aufmerksam um. »Ihr habt früher auch Pferde gehabt? Reitest du gern?«, fragte Lilly interessiert und lugte zur Sattelkammer hinüber, die immer noch nach Leder und Pflegemitteln roch.

      »Ja, sehr«, antwortete Daniel mit einem kleinen Seufzer. »Aber dafür hat mir in den letzten Jahren einfach die Zeit gefehlt, und für einen Ausritt am Sonntag wollte ich kein Pferd auf der Weide oder im Stall warten lassen. Die Pferde sind an einen Nachbarn verkauft worden und haben jetzt ein schönes Leben auf dem Gestüt Brunnenhof bei Familie von Raven. Wenn ich es einrichten kann, fahre ich zum Reiten hinüber, aber leider geschieht das viel zu selten.«

      »Das sieht man, du hast ganz schön zugelegt, kleiner Bruder«, sagte Robert spöttisch. Er war stolz auf seine sportliche Figur, für die er eine Menge Zeit im Fitnessraum verbrachte. »Dir täten mehr Bewegung und etwas weniger von Rautendes Hausmannskost gut.«

      Bei dieser taktlosen Bemerkung runzelte Lilly leicht die Stirn und versetzte Robert einen diskreten Rippenstoß, aber Daniel schien die lieblosen Worte überhört zu haben. Mit ruhiger Stimme berichtete er weiter von den Arbeiten, die vorgenommen worden waren. Er zeigte seinem Bruder das, was einmal ihr gemeinsames Zuhause gewesen war, und die ganze Zeit brannte sein Herz.

      Es brannte vor Zorn, weil Robert mit keinem Wort nach den letzten Tages ihres Vaters oder der Beerdigung fragte; weil er nicht daran dachte, auf den Friedhof zu gehen; weil er ›Silberwald‹ nur mit abschätzenden Augen betrachtete wie ein kritischer Käufer; weil es ihm völlig gleichgültig schien, was die vergangenen zehn Jahre für seinen jüngeren Bruder bedeutet hatten.

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