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wissen wir alle«, mischte sich Quinto mit seiner hohen Stimme ein. »Die einen nehmen der Union die Tatsache übel, dass sie es nicht geschafft hat, Plophos von Iratio Hondro zu befreien. Die anderen sehen in ihm einen Freiheitskämpfer, der sich erfolgreich vom Joch der Erde gelöst und einen eigenen Weg eingeschlagen hat.«

      Rhodan verstand, warum Quinto dieses Thema anschnitt. Die Rolle des ehemaligen Obmanns Hondro war Quinto ein besonderer Dorn im Auge, weil die Abteilung III den Kerl einfach nicht zu fassen bekommen hatte; nicht mal seine besten Agenten, die zufällig Rhodans Söhne waren. Thomas und Farouq Rhodan da Zoltral wirkten angemessen betreten. Für die beiden war Hondro ebenfalls ein frustrierendes Thema, weil er ihnen schon so oft durch die Finger geschlüpft war.

      »Sir, wir sollten mit der CREST II nach Epsal fliegen und die Suche nach Hondro dort fortsetzen«, wandte sich Thomas an seinen direkten Vorgesetzten Quinto. »Ich habe das Gefühl, dass dieser Mistkerl auch da seine Finger im Spiel hat.«

      »Soso, ein Gefühl? Wenn es Sie tröstet, mein Instinkt sagt mir etwas ganz Ähnliches. Und er hat mich selten in meinem Leben getäuscht.« Nike Quinto grinste breit. »Von meiner Seite aus haben Sie den Befehl, auf Epsal nach Hondro zu suchen. Sofern die CREST II zufällig ebenfalls diesen Weg einschlägt, können Sie gern mitfliegen.«

      »Das wird sie auf jeden Fall.« Rhodan blickte auffordernd in die Runde. »Oder sieht das jemand anders? Mir ist klar, dass die politische Situation sensibel ist, John. Aber das Letzte, was wir von Epsal empfangen haben, ist ein Notruf. Das können wir nicht ignorieren.«

      »Selbstverständlich nicht«, stimmte Stella Michelsen zu. Sie wandte sich an Thora Rhodan da Zoltral. »Die CREST II sollte so schnell wie möglich nach Epsal aufbrechen – nicht nur wegen des Notrufs, sondern auch wegen der Möglichkeit einer dort aktivierten Planetenmaschine. Vielleicht können Sie die Epsaler davon überzeugen, dass es durchaus sinnvoll ist, weiterhin Teil der Solaren und Terranischen Union zu sein.«

      3.

      Im Rechenherz

      »Kaffeepause!«, rief Jonas Göller fröhlich quer durch das sogenannte Rechenherz – ein sechseckiger Glaskasten inmitten der Positronikzentrale der CREST II, in dem das neunköpfige SENECA-Spezialistenteam seine Arbeitsplätze hatte.

      Grundsätzlich war ein fähiger Informatiker, Positronikpsychologe, IT-Techniker oder Programmierer von fast jeder Stelle des Raumschiffs aus in der Lage, mit SENECA zu arbeiten. Die Komponenten der Schiffspositronik waren dezentral überall an Bord verteilt; auf diese Weise würde selbst der komplette Ausfall mehrerer Untereinheiten nicht den Gesamtrechner lahmlegen.

      Aber irgendwo muss jede Spezialeinheit ihr Hauptquartier haben – da ist die primäre Positronikzentrale der CREST II wohl für uns angemessener als eine verstaubte Nebenstelle auf einem der unteren Decks, dachte Donna Stetson.

      Rechenherz – der Name gefiel ihr. Denn so fühlte sie sich in dem mit Bedienpulten und Holokonsolen vollgestopften Glaskasten: nicht nur rein örtlich in der Mitte der positronischen Bordaktivitäten, auch intuitiv nah beim Herzen von SENECAS Hauptkomponenten.

      Sie sah zu Göller auf – er war Mitte vierzig und ein netter Kerl, der sie von Anfang an freundlich im Team aufgenommen hatte. Ihm zuliebe wäre sie gern mit zu der kleinen Kaffeepause gegangen, die sich die Spezialistengruppe etwa alle zwei Stunden gönnte. Doch sie wusste, dass sie derzeit keine gute Gesellschaft abgeben würde. »Dieses Mal ohne mich – ich muss noch etwas fertig machen«, sagte sie. »Ich halte hier die Stellung.«

      Es war zwar nicht so, dass unbedingt jemand im Rechenherz zurückbleiben und Dienst schieben musste. In der Positronikzentrale arbeiteten zahlreiche weitere Fachleute, die ständig mit der Verbesserung der Basisroutinen und einer Anpassung der Grundprogrammierung beschäftigt waren. Denn auch ein selbstlernendes neuronales System wie SENECA benötigte Wartung und Kontrolle, damit seine Abermillionen, von elektrischen Impulsen gesteuerten Elemente getreulich das taten, was sie tun sollten.

      Das SENECA-Team stellte lediglich eine Eliteeinheit unter diesen Fachleuten dar, die in drei Schichten arbeiteten. Sie waren diejenigen, die auf die eine oder andere Weise besonderen Zugang zu SENECAS Routinen und Funktionen fanden und versuchten, sein Wachstum nachzuvollziehen, zu dokumentieren und wenn möglich zu lenken. Sei es wie bei Jonas Göller, dem Programmierer, der ein spezielles Gespür für die binären Komplexitäten des Grundcodes hatte, oder wie bei Gina Rossi mit ihrem tiefgreifenden Verständnis für die neuronalen Strukturen, die sie als Biologin auf eine ganz andere Weise wahrnahm.

      Dass Stetson seit einigen Wochen ebenfalls zu dieser illustren Runde gehörte, konnte sie noch immer nicht ganz glauben.

      Rossi auch nicht, und das ließ sie Stetson wieder einmal spüren. »Unser Nerd-Girl ist wohl mit den Hausaufgaben nicht fertig geworden.« Rossis Stimme klang, als ob sie einen Witz machen wollte; wieder einmal bemerkte Stetson, dass die Augen ihrer Kollegin nicht mitlachten. Im Gegensatz zu »Rechenherz« war Nerd-Girl eine Bezeichnung, die Stetson nicht mochte. Rossi hatte ihn ihr am ersten Tag verpasst, nachdem Stetson auf speziellen Wunsch von SENECA in das Team berufen worden war. Rossi hielt hartnäckig an dem spöttischen Spitznamen fest, obwohl ihn keiner außer ihr benutzte.

      Stetson senkte den Blick und erwiderte nichts, während Gina Rossi und Jonas Göller den Glaskasten verließen. Als die Türen hinter ihnen zuglitten, sperrten sie das eifrige Raunen und Tuscheln des umliegenden Großraumbüros aus und schlossen Stetson in Stille ein.

      »Warum hat Miss Rossi diese Bemerkung gemacht?«

      Als SENECAS Stimme urplötzlich in die Ruhe des Glaskastens hallte, wäre sie beinahe vor Schreck vom Sessel ihrer Arbeitsstation gefallen. Sie hatte eine halb liegende Sitzposition eingestellt, obwohl sie lieber im Stehen arbeitete. Doch derzeit fühlte sie sich erschöpft, und wahrscheinlich reagierte sie deshalb schreckhaft auf SENECAS Äußerung.

      Eigentlich sollte Stetson mittlerweile daran gewöhnt sein, denn SENECA hatte sie bereits mehrfach angesprochen, wenn sie allein im Rechenherz war. Und soweit sie wusste, war sie die Einzige, der SENECA so viele Fragen stellte.

      »Du meinst Gina Rossi?« Stetson zog ihre Holotastatur wie einen Schutzschild näher an sich heran. »Ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht in der Lage, in ihrer Feindseligkeit mir gegenüber einen Sinn zu erkennen.«

      SENECA und Donna Stetson hatten zwei Dinge gemeinsam: ihr Problem, die Logik menschlichen Verhaltens zu durchschauen, und ihren Willen, diesen Umstand durch Nachforschungen zu verbessern.

      »Ist sie wütend, weil Sie nicht mit in die Kaffeepause gegangen sind?«

      »Ich weiß es nicht. Aber ich denke, sie ist eigentlich ganz froh, dass ich hiergeblieben bin. Und ich bin es auch.«

      »Wie meinen Sie das?«

      Sie tippte ein paar Zahlen ein, um eine Subroutine neu zu parametrisieren. SENECA hatte festgestellt, dass in jüngster Zeit gegen Mitte der Freischichten vermehrt Eiswürfel im Freizeitzentrum benötigt wurden, was die KI auf ein neues Modegetränk namens »Sagittarius-Sternenzauber« zurückführte. Deshalb wollte die Positronik die Produktion entsprechend umstellen, um energieeffizienter zu arbeiten. Solche minimalen Korrekturen waren im Grunde keine Aufgabe für das SENECA-Team; Stetson hatte sich einfach etwas gegriffen, um eine Ausrede zu haben. Sie überlegte, wie sie SENECA ihr Dilemma verständlich machen konnte. Sie begriff es selbst nicht gänzlich.

      »Ich habe das Gefühl, heute keine angenehme Gesellschaft zu sein, selbst wenn Gina Rossi kein Problem mit mir haben sollte. Ich hatte ein irritierendes Erlebnis und möchte lieber für mich sein, um darüber nachzudenken.«

      »Das bedauere ich.« Eine programmierte Floskel. Natürlich konnte eine emotionslose KI kein Bedauern empfinden. »Soll ich die Unterhaltung mit Ihnen beenden?«

      »Nein, schon gut.«

      Stetson konnte es nicht recht erklären: Sie genoss die Unterhaltungen mit SENECA – sie hatten etwas Reinigendes, Beruhigendes. Es erinnerte sie an die Therapiesitzungen, zu denen ihre Mutter sie geschleppt hatte, als Donna fünfzehn gewesen war. Der Psychologe hatte zwar

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