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verwandelt.

      Einer gebärenden Frau zu befehlen, ihrem Preßdrang nicht nachzugeben, widerspricht ebenso der Natur, wie die Lava zwingen zu wollen, im Schoße des Vulkans zu bleiben. Es ist unmöglich, ich kann es nicht zurückhalten!«

      »Nein!« stöhne ich, wieder hilft mir Paul dabei, zu hecheln, hecheln, hecheln am Rande zum Hyperventilieren. Und als ich endlich auf der Liege drapiert bin mit den Beinen in den Bügeln, geschieht es mit unsagbarer Erleichterung, daß ich der enormen Kraft nachgeben darf, die den kleinen Astronauten auf die letzte Etappe schicken soll.

      »Prima!« feuert die Hebamme mich von ihrer Position zwischen meinen Schenkeln an. »Ich kann die schwarzen Haare sehen!«

      »Ja?« keuche ich ermattet und drehe mich zu Paul, aber der lächelt nicht. Ganz im Gegenteil ist er grau im Gesicht, als wäre er kurz vor der Ohnmacht. Die Hebamme bemerkt das offenbar auch, denn sie blinzelt ihm zu und schlägt ihm vor, sich umzudrehen, während sie die Pudendusblockade legt.

      »Mir geht es ausgezeichnet«, behauptet er mit gezwungenem Lächeln, und also sticht die Hebamme die Nadel in den Damm, was unglücklicherweise mit der nächsten Preßwehe zusammenfällt. Das läßt mich wieder laut und tierisch aufbrüllen, der Schmerz von der Nadel ist wie eine brennende Hautabschürfung und die Wehe wie eine Flutwelle, die mir die Beine unter dem Körper wegreißt und mich gegen die Klippen schleudert.

      Ich verdrehe die Augen, bis nur das Weiße zu sehen ist, und liege halb tot und naß vom Schweiß da und schnappe nach Luft, als die Welle sich zurückgezogen hat. Das muß jetzt reichen, ich träume sicher nur. Das kann nicht ich sein, die hier als jammernde Gebärende in ihrer Not liegt. Das ist einfach unmöglich. Und ganz gleich, was Randi mich glauben lassen will, ich weiß, daß das hier schiefgeht.

      »Ich habe Angst!« murmle ich zu Paul, und das hat er auch, wie ich sehen kann, auch wenn er meine Hand preßt und mir versichert, daß alles in Ordnung sei. Aber die Schwester, die still ein Plexiglasbettchen zum Empfang bereitgemacht hat, nickt weiterhin aufmunternd, als wäre das alles Routine.

      »Ihr braucht euch nicht zu beunruhigen«, Randis Radar hat unsere Unruhe geortet, auch wenn sie ihr Ohr am Holzstethoskop hat. »Eurem Kind geht es gut. Die Herztöne sind die ganze Zeit kräftig! Aber wir wollen lieber zusehen, daß wir es im Laufe der nächsten paar Wehen herauskriegen!«

      Erpicht darauf, Randis Erwartungen zu erfüllen, presse ich, bis mir die Augen aus den Höhlen treten und mir das Haar am Gesicht klebt. Ich gebe auch nur einen kleinen Mucks von mir, als ich geschnitten werde, aber es ist eher das Geräusch der Schere im Damm als der eigentliche Schmerz, wogegen ich aufmucke. So nah am Ziel bin ich fit for fight, als würden erst jetzt die Kampfressourcen, die ich immer noch mobilisieren kann, freigegeben.

      »Ja!« tönt es triumphierend vom Fußende. »Jetzt kommt der Kopf! Der Schädel ist fast draußen! Versuche, es so zu halten! Nicht zu schnell!«

      Paul fängt mit Hundewelpengehechel an, und ich folge ihm, um dann aber trotzdem ein frustriertes »O nein!« zu hören.

      Der Kopf ist wieder hineingerutscht, und so geht es die ganze nächste Stunde weiter. Raus und wieder rein. Ich kämpfe buchstäblich so verbissen, daß meine Kiefer festgeschraubt sind und mein Schädel kurz vorm Zerbersten ist. Ich lasse mich fügsam auf alle viere umdrehen, um mehr Hilfe von der Schwerkraft zu bekommen, ich versuche meine Energie vom Kopf in den Unterleib umzulenken, und als auch Randis Beschwörungen nicht helfen, nehme ich ohne Widerstand einen wehenstimulierenden Tropf. Meine eigenen Wehen sind dabei, auszuebben, ich bin völlig ausgepowert, und Pauls unbewußte Art, meine Hand zu pressen, als Randi mich wieder abhorcht und dann die Schwester bittet, die Ärztin zu holen, läßt mein Blut zu Eis erstarren.

      Die Gynäkologin, ein Mannweib, das sich nicht damit aufhält, mich oder Paul zu begrüßen, wird kurz informiert, hört ein paar Sekunden zu und erklärt dann, daß das Kind SOFORT raus muß!

      »Wann haben Sie das letzte Mal was gegessen?« werde ich schroff gefragt, und auch wenn es mir vorkommt, als wenn das in prähistorischen Zeiten gewesen sein muß, kann ich matt murmeln, daß das wohl gestern so gegen drei gewesen sein muß.

      »Gut! Wir machen alles fertig zum Kaiserschnitt!«

      Das Wort läßt alles vor mir im Nebel verschwinden, und Paul dreht sich weg wie jemand, der eine Backpfeife bekommen hat. Er ist kurz vorm Heulen.

      »Können wir es nicht zunächst mit der Saugglocke versuchen?« schlägt Randi vor.

      »Bei den Herztönen? Dazu haben wir keine Zeit!« erwidert die Ärztin, schon mit dem Rücken zu ihr. »Warum sind keine Elektroden angelegt?«

      »So schlecht sind die ja nun auch nicht!« protestiert Randi. Sie wollen sich gerade heftig streiten, als Paul plötzlich dazwischenfährt.

      »Nun tut doch etwas!« ruft er mit einem Anflug von Panik, der die Leute aufhören läßt.

      Randi bekommt ein CTG in die Hand, und trägt ein wenig kalte Creme auf meine Bauchdecke auf und fährt mit dem CTG herum. Alle stehen wie erstarrt da, während wir auf die Herztöne warten. Schließlich hören wir sie als schwaches, allzu schwaches Signal aus dem Weltraum. Randi leckt sich angestrengt die Lippen und gibt der Ärztin kleinlaut recht.

      »Wir müssen uns beeilen!«

      Paul reagiert hysterisch, indem er sich prompt ins Waschbecken übergibt, während ich gegenteilig reagiere: Meine Seele verläßt den Körper, der sich aufs Sterben vorbereitet, während das Zimmer sich mit mich nicht interessierenden Menschen füllt, die alle zu mir kommen und sich vorstellen. Guten Tag, ich heiße Soundso und Soundso, ich bin der Narkosearzt, Kinderarzt, die Krankenschwester ... Ich winke sie irritiert weg. Meinetwegen könnte die gesamte medizinische Fakultät mit dem Professor an der Spitze aufmarschieren und mein entblößtes, fruchtwasserklammes Geschlecht betrachten, während mir mit einem Katheder die Blase entleert wird, ich rasiert und mit einem sterilen Tuch gewaschen werde. Und ich lasse sie auch passiv meinen Körper anonymisieren, als sie mir meine Swatch und den Art-Nouveau-Ring abnehmen, den Paul mir einmal bei einem Trödler in der Ryesgade gekauft hat. Sie können mit mir machen, was sie wollen, wenn sie mich nur verflucht noch mal von den Schmerzen befreien und ich endlich meine Ruhe habe! Und wenn sie ewig währen sollte.

      Paul sieht aus, als gäbe er mir den Todeskuß, als er mit Augen, schwarz wie japanische Tusche, seine Lippen auf meine preßt und ein belegtes tschüs flüstert, bevor ich im Laufschritt in den Operationsraum gefahren werde, wo man mich mit einem maskierten Team unter grellen Lampen allein läßt. Trotz der pädagogischen, beruhigenden Worte der Ärztin, erinnert mich die ganze Inszenierung an die Alptraumvision, die ich in der Nacht hatte, bevor mein Kind als geplante, eingeleitete Fehlgeburt enden sollte. Es war der Anblick der scharfen Messer und des glitzernden Metalls, der mich zurückhielt, und ich muß fast über die Ironie des Schicksals lächeln – jetzt haben sie mich doch gekriegt –, als mir ein Schlauch in den Hals geschoben wird.

      »Wir leeren nur den Mageninhalt«, sagt die Krankenschwester und lobt mich aufmunternd, als ich ihr alles in der Schale darbiete.

      Ihr Gerede ist wie Supermarktmusik, auf der ich dahinschwebe. »Prima! Und jetzt bekommen Sie noch so ein hübsches grünes Hemd an. Ja, und nun noch Riemen um Arme und Beine, damit Sie nicht herunterfallen! Dann sind wir soweit! Jetzt bekommen Sie die Maske, und dann drehen wir die Tropfen auf, und in zwei Minuten ist Ihr Kind draußen! Schlafen Sie gut, Therese!«

      Erst läßt die Angst mich dagegen ankämpfen, und meine letzte Erinnerung, bevor ich in der Narkose untertauche, ist die Geschichte von meiner Urgroßmutter aus der Familienchronik, die im Wochenbett bei einer Zwillingsgeburt starb. Das eine Kind wurde gerettet, das andere, ein Junge, mußte Stück für Stück herausgeschnitten werden.

      »Lebe!« rufe ich meinem Astronauten von der letzten Scholle des Bewußtseins zu. Dann bin ich weg.

      Ich werde von einem scharfen Raubtiergeruch geweckt, der mich verwundert und unter Mühen die Augen öffnen läßt. Ich weiß, daß etwas Schreckliches geschehen ist, als ich das weiße Krankenhauszimmer sehe, in das durch den Spalt zwischen den vorgezogenen Gardinen Tageslicht

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