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ein unbeschwertes gemeinsames Leben führen können.«

      Der Alarm ging so plötzlich los, dass Leon erschrocken zusammenfuhr. Er sah auf den Monitor über dem Bett des Patienten und begann umgehend mit einer Herzmassage. Im nächsten Moment kam der diensthabende Arzt mit Schwester Sofie herein.

      »Herzstillstand«, sagte Leon. »Wir brauchen einen Defibrillator, schnell!«

      Schwester Sofia stürzte aus dem Raum und kehrte gleich darauf mit dem Elektroschockgerät zurück.

      *

      Ella betrat die Kayser-Klinik. Intensivstation, hatte Dr. Laurin gesagt. Sie folgte den Schildern und hatte die Station bald erreicht, doch eine verschlossene Tür verwehrte ihr den Eintritt. Sie klingelte, plötzlich von namenloser Angst erfüllt. Ich komme ja, Florian, dachte sie, ich bin schon fast bei dir.

      Eine Schwester erschien. »Ja, bitte?«

      »Ich bin Ella Ammerdinger, mein Mann liegt hier. Herr Dr. Laurin hat mich angerufen und gesagt, dass ich dringend kommen muss.«

      Die Schwester zögerte, öffnete dann aber die Tür, aus einem der Räume waren aufgeregte Stimmen zu hören.

      »Sie müssen Schutzkleidung anziehen, hier bitte.«

      »Wie geht es meinem Mann?«, fragte Ella, während sie sich die Plastikkleidung überstreifte. »Bitte, sagen Sie es mir.«

      »Sprechen Sie mit Dr. Laurin, aber Sie müssen einen Augenblick hier warten – und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.«

      Die Schwester eilte zu dem Raum, aus dem Ella die Stimmen gehört hatte. Wie eine Schlafwandlerin folgte sie ihr, dass sie warten sollte, hatte sie bereits vergessen.

      Sie sah Dr. Laurin, einen ihr unbekannten Arzt und zwei Schwestern. Und sie sah ihren Mann, bleich und still in seinem Bett, an zahlreiche Geräte angeschlossen. Dr. Laurin rief: »Achtung!«, und presste Florian zwei Platten auf die Brust, woraufhin sein Körper sich aufbäumte.

      Unwillkürlich schrie Ella: »Florian! Florian!«

      Vier Köpfe wandten sich erschrocken zu ihr um und gleich wieder dem Patienten zu. Ein leises Piepsen war zu hören, Dr. Laurin sagte: »Wir haben wieder einen Puls. Guten Abend, Frau Ammerdinger, bitte, treten Sie doch näher.«

      Ella ließ ihren Mann nicht aus den Augen. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten näherte sie sich dem Bett. Der ihr unbekannte Arzt und die beiden Schwestern verließen den Raum, nur Dr. Laurin blieb.

      »Was ist passiert?«, fragte sie. »Jetzt eben, meine ich?«

      »Ihr Mann hatte einen Herzstillstand. Es war bereits der zweite, während der Operation ist das schon einmal passiert, aber dieses Mal war es schlimmer. Sie sind zur rechten Zeit gekommen. Ich glaube, er hat Sie gehört.«

      Sie stand jetzt direkt neben dem Bett, streichelte zärtlich Florians linken Arm. »Flo«, sagte sie, »ich bin ja jetzt da, hörst du mich? Ich bin hier, und ich bleibe auch hier. Also schlaf ruhig und ruh dich aus.« Sie küsste ihn auf die Stirn und die Wangen.

      Es wunderte Leon nicht, dass sich in der nächsten Stunde Florian Ammerdingers Werte stabilisierten. Er blieb trotzdem in der Klinik, um zur Stelle zu sein, falls es noch einmal zu einer Krise kam. Aber diese blieb aus. Er fand sogar ein paar Stunden Schlaf, obwohl er regelmäßig nach seinem Patienten sah und bei der Gelegenheit auch immer mit dessen Frau sprach.

      Unter anderem erzählte er ihr, dass seine Frau und ihr Mann gemeinsam einem Jungen zu Hilfe gekommen waren, der von einer Gruppe größerer Jungs bedrängt worden war – er versäumte es nicht, darauf hinzuweisen, wie besonders einfühlsam sich Florian Ammerdinger bei dieser Gelegenheit verhalten hatte. Ella hörte ihm aufmerksam zu, er konnte sehen, wie seine Worte ihr zu denken gaben.

      Sie blieb, wie versprochen, die ganze Nacht wach und sprach mit ihrem Mann.

      *

      Florian hörte Ellas Stimme, er bildete sich sogar ein, dass sie ihn berührte. Aber hatte sie ihn nicht verlassen? Er meine jedenfalls, sich daran zu erinnern. Und wenn es so war, hieß es, dass er träumte. Ein schöner Traum, der zerplatzen würde, sobald er die Augen öffnete. Also hielt er sie lieber geschlossen.

      »Flo«, hörte er Ellas leise, zärtliche Stimme, »ich liebe dich doch, obwohl ich weggelaufen bin. Und ich weiß, dass du mich auch liebst. Wir beide müssten es doch schaffen können, glücklich miteinander zu werden, denkst du nicht auch? Hab Vertrauen zu mir und rede mit mir – über alles, was du bis jetzt für dich behalten hast. Ich will ja gar nicht ohne dich sein, ich habe nur keinen anderen Ausweg gesehen, als wegzugehen, damit ich in Ruhe nachdenken kann. Verstehst du das? Ich bin nicht gegangen, weil ich dich nicht mehr liebe, das musst du mir glauben.«

      War es vielleicht doch kein Traum? Ihm kam das alles so real vor, und er spürte ja ganz deutlich ihre Hand, die über seinen Arm und auch über sein Gesicht strich. Jetzt küsste sie ihn sogar, ganz zart, auf die Stirn.

      Er beschloss, das Wagnis einzugehen und öffnete die Augen. Ella saß neben ihm, schön wie immer, wenn auch sehr blass und ängstlich aussehend. Ihre Augen waren voller Liebe, so wie ihre Stimme, die er die ganze Zeit gehört hatte, voller Liebe gewesen war. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie seinem Blick begegnete, ihre Lippen begannen zu zittern. »Guten Morgen, Liebster«, flüsterte sie.

      »Ella«, sagte er, mehr brachte er nicht heraus, nur diese beiden Silben, und die kosteten ihn schon enorme Anstrengung. Aber er sagte sie gleich noch einmal: »Ella.«

      Wieder küsste sie ihn, dieses Mal auf den Mund. Ihm war, als durchströmte ihn neue Kraft, und schlagartig erkannte er, dass er alles tun wollte, um Ella nicht zu verlieren. Ihr zuliebe würde er sogar über die Vorfälle reden, die aus ihm den Mann gemacht hatten, der sich geschworen hatte, niemals Kinder zu zeugen

      *

      Leon fuhr in den frühen Morgenstunden nach Hause, um zu duschen und wenigstens mit seiner Familie zu frühstücken. Er sah natürlich übernächtigt aus, aber ihm war zugleich eine Last von der Seele gefallen: Florian Ammerdinger würde überleben, und es sah danach aus, als bekäme seine Ehe doch noch eine Chance. Wenn er sich nicht täuschte, war der junge Mann endlich bereit, seiner Frau das Geheimnis anzuvertrauen, das er bis jetzt so sorgfältig vor ihr gehütet hatte.

      Wie üblich ging es beim Frühstück turbulent zu, so lange die Kinder noch im Haus waren. Ihm fiel auf, dass Kyra erstaunlich vergnügt wirkte, während Kaja blass und niedergeschlagen aussah. Die Jungen kamen ihm vor wie immer, sie alberten herum und schienen guter Dinge zu sein.

      Sie fragten, warum er nicht nach Hause gekommen war, und er gab ihnen allgemeine Antworten, ohne auf Einzelheiten einzugehen, wie immer, wenn es um seine Patienten ging.

      Er konnte erst mit Antonia reden, als sie unter sich waren. Es tat ihm gut, ihr zu erzählen, was in der Nacht geschehen war. »Frau Ammerdinger ist also doch noch von sich aus gekommen!«, rief sie.

      »Ja. Sie muss von ihrem Mann geträumt und daraufhin ihre Nachrichten abgehört haben. Das Verrückte ist: Sie traf ein, als wir ihn schon drei Mal geschockt hatten und beim vierten Mal hat sie seinen Namen gerufen. Daraufhin hat sein Herz wieder angefangen zu schlagen.« Leon schwieg einen Moment. »Ich habe so etwas noch nie erlebt, es hat mir beinahe ein bisschen Angst gemacht.«

      »Weil es wie Zauberei gewirkt hat?«

      »Ja, wahrscheinlich. Dabei ist ja allgemein bekannt, dass Menschen, auch wenn sie bewusstlos sind oder im Koma liegen, mitbekommen können, was um sie herum geschieht. Dass sie hören, was man zu ihnen sagt, dass sie spüren, wenn ein geliebter Mensch bei ihnen ist. Und so war das sicher bei Herrn Ammerdinger: Er hat die Stimme seiner Frau gehört, und im selben Moment ist sein Lebenswille wieder erwacht. Aber wenn man es miterlebt, ist es zunächst ein wenig unheimlich.«

      »Aber auch schön, oder?«

      »Ja, natürlich, ich war unglaublich erleichtert, als ich merkte, dass sein Herz wieder schlug.«

      »Wie gut, dass du in der Klinik geblieben bist. Hättest du nicht gleich mit

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