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haben mich auch andere schon gesehen und sich gefragt, was ich da zu suchen habe? Am Ende sogar Leon? Sie war froh, dass sie schon saß, denn ihr wurden die Knie weich. Wieso war ihr nie der Gedanke gekommen, ihre Heimlichkeiten könnten entdeckt werden, bevor sie bereit war, darüber zu reden? Hatte sie sich tatsächlich eingebildet, sie allein hätte den Gang des Geschehens in der Hand? Wie sagte ihr Schwager Andreas manchmal? ›Kommissar Zufall hat uns in die Hände gespielt.‹

      Was nun? Weiter lügen? Oder ihre Jüngste einweihen und sie so zur Mitwisserin machen, während Leon nach wie vor nichts ahnte? Unmöglich! Antonia fasste einen schnellen Entschluss.

      »Stimmt, ich war nicht bei Frau Lehmann«, sagte sie. Irgendwie schaffte sie es, äußerlich ruhig zu bleiben, dabei klopfte ihr Herz so heftig, dass es schmerzte.

      Kyras Stimme klang mit einem Mal ganz piepsig, als sie fragte: »Bist du in Herrn Ewert verliebt?«

      Diese Frage kam so unerwartet, dass Antonia beinahe gelacht hätte. Aber als sie die ängstlichen Augen ihrer jüngsten Tochter sah, verging ihr das Lachen schnell. »Aber nein, wo denkst du denn hin? Ich hatte etwas mit ihm zu besprechen. Etwas, das für mich wichtig ist.«

      »Aber warum hast du dann gelogen und gesagt, dass du zu Frau Lehmann gehst?«

      »Weil ich über das, worüber ich im Augenblick nachdenke, noch nicht reden wollte. Ich wollte es erst für mich klären, bevor ich darüber spreche. Hätte ich aber die Wahrheit gesagt, hätte ich auch alles andere sagen müssen, das wollte ich nicht.«

      »Weiß Papa auch nichts davon?«

      »Nein, Mäuschen, er weiß auch nichts davon. Aber heute ist sowieso etwas passiert, das mir gezeigt hat, dass ich jetzt reden sollte, und das werde ich auch tun. Zuerst mit Papa, dann mit euch. Das kann noch ein paar Tage dauern, aber nicht länger, das verspreche ich dir. Einverstanden?«

      »Aber du bist nicht in Herrn Ewert verliebt?«, vergewisserte sich Kyra noch einmal. »Du willst dich nicht scheiden lassen und ihn dann heiraten?«

      »Ganz bestimmt nicht! Wie kommst du denn nur auf diese Idee?«

      »Hast du ihn öfter getroffen?«

      »Ja«, gab Antonia zu, »aber das hatte andere Gründe. Mit Liebe hat das nichts zu tun.«

      Tiefe Falten erschienen auf Kyras glatter Kinderstirn. »Ich glaube, Papa weiß, dass du ihn auch angeschwindelt hast. Er hat manchmal so komisch geguckt. Vielleicht hat er dich auch mal mit Herrn Ewert gesehen, als du gesagt hast, dass du zu Frau Lehmann gehst.«

      »Hoffentlich nicht«, sagte Antonia. »Das wäre ja ein wirklich zu dummes Missverständnis.«

      Kyra nickte ernsthaft. »Deshalb soll man ja auch immer die Wahrheit sagen, Mama.«

      Nun lachte Antonia doch, obwohl ihr ein wenig ängstlich zumute war. Was, wenn Leon sie wirklich einmal mit Ingo gesehen hatte? Unmöglich war das nicht. Aber, beruhigte sie sich gleich darauf selbst, er hätte sie sicherlich danach gefragt.

      Sie drückte Kyra an sich. »Ich gelobe Besserung«, sagte sie. »Und ich rede mit Papa, so bald wie möglich.«

      »Und dann mit uns!«

      »Ja, dann mit euch. Kannst du dich bis dahin noch gedulden?«

      »Du meinst, ob ich den anderen verrate, dass du geschwindelt hast?« Kyra schüttelte den Kopf. »Ehrenwort, Mami, ich sage nichts.«

      »Das habe ich zwar nicht gemeint, aber mir soll es recht sein, wenn du warten kannst, bis ich euch alles erkläre.« Antonia stand auf. »Und jetzt sollte ich mich wohl besser ums Essen kümmern. Hilfst du mir?«

      Kyra warf einen bedauernden Blick auf das Puzzle, nickte dann aber und folgte ihrer Mutter in die Küche.

      *

      »Und was jetzt?«, fragte Leon, nachdem Schwester Marie und er ihre Informationen ausgetauscht und ein paar Vermutungen angestellt hatten.

      »Überlassen Sie das mir, Chef«, schlug Marie vor. »Ich bin die ganze Nacht in der Klinik, und nachts reden die Menschen leichter als tagsüber. Eva Maischinger hätte sich mir schon letzte Nacht gerne anvertraut, das habe ich genau gespürt, aber es war noch zu früh.«

      »Marco Friedrich ist also der Vater von Frau Maischingers Kind«, sagte Leon nachdenklich, »und sie liebt ihn noch immer.«

      »Ich habe die Wahrheit gestern schon geahnt«, gestand Marie. »Die Art und Weise, wie sie reagiert hat, als der Name ›Marco‹ fiel, war eindeutig.«

      »Und ich könnte mir vorstellen, dass es zwischen den beiden einfach … wie sagt man? Dass es dumm gelaufen ist. Ein paar Missverständnisse zu viel. Ich glaube nämlich, Herr Friedrich liebt Frau Maischinger auch immer noch. Er macht mir nicht gerade den Eindruck eines großen Draufgängers.«

      »Dazu kann ich nichts sagen, ich habe ihn ja bislang noch nicht kennengelernt«, sagte Marie nachdenklich. »Aber …«

      Es klopfte, Hannes Baumgarten erschien im Türspalt. »Oh, Entschuldigung, Chef, ich wollte nicht stören, aber ich hätte Sie gern gesprochen, wegen Marco Friedrich. Ich hatte da vorhin ein Gespräch mit ihm …«

      »Kommen Sie doch herein, Hannes. Zufällig reden wir gerade über Herrn Friedrich. Über ihn und Eva Maischinger.«

      Hannes trat ein und schloss die Tür hinter sich. »Wer ist Eva ­Maischinger? Ach so, die Patientin, die …« Hannes brach ab und starrte erst Leon an, dann Schwester Marie. »Soll das etwa heißen, dass die beiden sich kennen?«

      »Nicht nur das, sie kennen sich sogar sehr gut. Aber erzählen Sie doch mal, worüber Sie mit mir reden wollten.«

      Hannes gab also sein Gespräch mit Marco Friedrich wieder. Schwester Marie und Leon Laurin lauschten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit. Hannes hatte seine Ausführungen gerade beendet, als es erneut klopfte. Dieses Mal war es Sascha Buder, der sich für die Störung entschuldigte und dann erklärte: »Ich komme wegen Marco, es gibt da ein paar Fragen. Aber wenn es jetzt nicht passt, kann ich später …«

      »Nein, nein, kommen Sie nur herein«, forderte Leon den jungen Mann auf. »Ich glaube, wir wissen schon, worum es geht, und Sie können uns vielleicht noch ein paar offene Fragen beantworten. Aber im Großen und Ganzen wissen wir schon ganz gut Bescheid.«

      Also trat auch Sascha Buder ein und schloss die letzten Wissenslücken der anderen drei, die sich daraufhin schnell darüber verständigen konnten, wie es nun weitergehen sollte.

      Eine Stunde später machte sich Leon bereit, die Klinik zu verlassen. Flora Müthen und ihren Zwillingen ging es gut, auch dem kleinen Mädchen, das heute ziemlich munter gewesen war und sich im Arm seiner glücklichen Mutter offensichtlich wohl gefühlt hatte. Nun musste nur die Sache mit Eva Maischinger und Marco Friedrich noch in Ordnung kommen, aber dafür würde Schwester Marie schon sorgen.

      »Ach, da bist du ja noch«, sagte Eckart Sternberg. »Ich dachte schon, ich hätte dich verpasst.«

      »Hättest du auch beinahe.«

      »Ich hoffe, ich muss dich heute Nacht nicht wieder aus dem Schlaf klingeln.«

      »Soll ich dir was verraten? Am liebsten würde ich hierbleiben, es werden sich große Dinge tun, schätze ich.«

      »Große Dinge? Was willst du damit sagen?«, fragte Eckart erstaunt

      »Warte es ab.« Die Geheimnistuerei machte Leon Spaß. »Wir haben heute Nachmittag ein paar Informationen zusammengetragen, Schwester Marie, Hannes, Herr Buder und ich.«

      »Herr Buder? Wieso tragt ihr mit dem Informationen zusammen? Oder hat sich herausgestellt, dass doch er es war, der mit dem Messer zugestochen hat?«

      »Nein, nein, wo denkst du hin? Aber hör auf, mir weitere Fragen zu stellen, mehr sage ich nicht. Warte einfach ab, was passiert. Einen Tipp immerhin kann ich dir geben: Halte dich an Schwester Marie.«

      »Man sollte nicht meinen, dass du diese Klinik leitest, Leon. Du kannst ein richtiger Kindskopf

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