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du wolltest das nicht.« Hannes ging unwillkürlich zum ›Du‹ über, das hier entwickelte sich ja beinahe zu einer Art ›Vater-Sohn-Gespräch‹.

      »Nein, ich wollte das nicht. Und … und ich versteh’s auch immer noch nicht. Es war echt toll mit uns, aber auf einmal sagt sie, dass Schluss ist.«

      »Und weshalb?«

      »Es würde alles nicht passen – dabei war sie meine große Liebe, und ich war ihre.«

      O je, dachte Hannes, auch noch ein Romantiker! Um Marco etwas Zeit zu geben, sich wieder zu fassen, fragte er betont sachlich: »Und was hat jetzt Tom Fröbel damit zu tun? Wieso hat er über deine Ex geredet?«

      »Weil er in sie verliebt war, aber nicht bei ihr landen konnte. Seitdem redet er schlecht über sie, wo er kann. Richtig eklig. Er nennt sie ›Schlampe‹ und sagt … sagt noch andere hässliche Dinge über sie, die alle gelogen sind.«

      »Ach, so ist das. Und da ist dir irgendwann der Kragen geplatzt.«

      Marco nickte. »Es tut mir nicht leid!«

      »Aber du erinnerst dich nicht mehr daran, dass er das Messer gezogen hat?«

      Marco schüttelte den Kopf. »Ist seine Nase gebrochen?«

      »Ja, und er hat ziemliche Schmerzen, glaub mir.«

      »Das tut mir auch nicht leid.«

      »Erhol dich, die Polizei wird bald hier sein und dir Fragen stellen. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Bleib bei der Wahrheit.«

      Der Blick, der Hannes daraufhin traf, war zutiefst verwundert. »Was denn sonst? Ich habe gar keinen Grund zu lügen. Und ich sage denen auch, dass es mir nicht leid tut, zuerst zugeschlagen zu haben.«

      »Vielleicht kommt das mit deiner Freundin ja noch wieder in Ordnung«, sagte Hannes, erfüllt von dem Wunsch, Marco Mut zu machen. »Bis später.«

      Er war gespannt auf den Fortgang dieser Geschichte.

      *

      Susie Strasser hatte tatsächlich Meningitis, aber dank der frühzeitigen Gabe von Antibiotika, die Antonia veranlasst hatte, stabilisierte sich ihr Zustand bereits.

      Als Ingo Ewert in die Klinik zurückgekehrt war, hatte Lisa Kröger bereits auf ihn gewartet und sich sofort auf ihn gestürzt, wütende Anschuldigungen gegen Antonia hervorsprudelnd. Ingo hatte das Klügste getan, was er tun konnte: Er hatte darum gebeten, zunächst einmal auch die andere Seite zu hören und sich dann nicht nur von Antonia informieren lassen, sondern auch von seinen Angestellten sowie den Eltern der kleinen Patientin. Das Ergebnis fiel für Lisa Kröger vernichtend aus, und genau so sagte er es ihr dann auch.

      »Ich hätte Sie auch dann fristlos entlassen, wenn die Diagnose anders ausgefallen wäre, Frau Kröger, denn ausnahmslos alle haben mir berichtet, wie unangemessen Ihr Auftreten gewesen ist. Sie haben nicht nur die Autorität einer Kollegin ohne Not in Frage gestellt, Sie haben auch die ohnehin verstörten und verängstigten Eltern eines sehr kranken Kindes zusätzlich verunsichert, und zu allem Überfluss haben Sie dessen Behandlung durch Ihr unsachgemäßes Eingreifen verzögert. Rechnen Sie mit einer Klage, sollte diese Verzögerung zu bleibenden gesundheitlichen Schäden bei Susie Strasser führen. Und jetzt verlassen Sie bitte auf der Stelle meine Klinik.«

      Lisa Kröger war tatsächlich gegangen, aber noch im Gehen hatte sie Drohungen ausgestoßen. Sie würde niemals eine gute Ärztin sein, weil es ihr an vielem fehlte, nicht nur am nötigen Fachwissen, trotz ihrer guten Zeugnisse, sondern auch an Einsicht in eigene Schwächen und am Einfühlungsvermögen.

      »Die Kleine wäre gestorben, wenn du nicht hier gewesen wärst«, sagte Ingo danach erschüttert zu Antonia, als sie sich zum ersten Mal von Susie Strassers Bett entfernte, um auf dem Stationsflur einen Kaffee mit ihm zu trinken. Stundenlang war sie keine Sekunde von der Seite ihrer kleinen Patientin gewichen. »Und du redest davon, dass du unsicher bist und dass dir die Praxis fehlt!«

      Sie sah ihn an und lächelte, zum ersten Mal, seit sie die Diagnose gestellt hatte. »Meine Unsicherheit war wie weggeblasen, Ingo«, sagte sie. »Ich hatte keinerlei Zweifel, was zu tun war, wie wir vorgehen mussten. Ich meine, ich war ja nicht sicher, ob die Kleine wirklich Meningitis hatte, aber ich wusste, dass die Möglichkeit bestand – und ich wusste, was in dem Fall zu tun ist.«

      »Frau Kröger wusste das offenbar nicht.«

      »Nein«, gab Antonia zu. »Es hat sie auch gar nicht interessiert. Sie wollte mich nur wieder einmal demütigen, ich glaube, in dem Moment, als sie mich sah, hat sie an das Kind überhaupt nicht gedacht. Ich frage mich, warum solche Menschen Medizin studieren. Sie war wahrscheinlich eine sehr gute Schülerin, aber sie interessiert sich nicht für ihre Mitmenschen. Warum ist sie dann Ärztin geworden?«

      »Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet. Ohne dich wäre in meiner Klinik heute etwas Schreckliches passiert, ich hätte mir das niemals verzeihen können.«

      »Du weißt nicht, was passiert wäre, Ingo.«

      »Doch, das weiß ich. Und ich weiß noch etwas: Dass du endlich mit Leon reden und ihm sagen solltest, was du planst. Und vergiss bei diesem Gespräch nicht, ihm von Susie Strasser zu erzählen.«

      »Darüber rede ich bestimmt nicht mit ihm.«

      »Vielleicht sollte ich mit ihm reden.«

      »Willst du unsere Freundschaft aufs Spiel setzen?«

      Er griff nach ihrer Hand. »Natürlich nicht. Aber denkst du nicht, dass er sich fragt, was mit dir los ist? Er bekommt doch mit, dass du jetzt viel häufiger unterwegs bist als früher. Meinst du nicht, er fragt sich, was dahintersteckt?«

      »Er bekommt nichts davon mit!«, erklärte Antonia. »Wie denn? Wenn Leon nach Hause kommt, bin ich längst wieder da. Und wenn er doch einmal Fragen stellt, habe ich immer eine Antwort.«

      »Es tut mir weh, dass du meinst, dir Lügen ausdenken zu müssen, damit er nichts von deinen Plänen erfährt.«

      »Noch nicht, Ingo. Ich rede ja mit ihm, aber erst, wenn ich mich ganz sicher fühle.«

      Ingo brach in Gelächter aus. Bis eben war er angespannt und blass gewesen, die Sache mit der kleinen Susie Strasser und das nachfolgende unangenehme Gespräch mit Lisa Kröger hingen ihm nach. Jetzt aber fiel zumindest ein Teil dieser Anspannung von ihm ab. »Weißt du was? Du wirst dich niemals ganz sicher fühlen, und wahrscheinlich bist du deshalb so eine gute Ärztin. Du suchst immer nach der Wahrheit, auch dann noch, wenn du sie schon gefunden hast.«

      »Das war sehr hübsch ausgedrückt. Aber jetzt entschuldige mich bitte, ich möchte noch einmal nach meiner Patientin sehen – und nach deren Eltern.«

      »Wolltest du nicht längst zu Hause sein?«

      »Ich habe angerufen, dass ich später komme, Kyra weiß Bescheid, und sie schafft es durchaus, einmal allein zu essen. Die anderen kommen alle später.«

      Ingo sah Antonia nach, wie sie mit langen Schritten zur Tür eilte. Schade, dass sie nicht in seiner Klinik anfangen wollte. Eine Kollegin wie sie hätte er sehr gern an seiner Seite gehabt, aber sie hatte ja andere Pläne.

      Antonia aber beugte sich schon wieder über Susie Strasser. Das Fieber war zurückgegangen, die Medikamente schlugen an. »Es geht ihr schon besser«, sagte sie zu Susies Eltern.

      Sönke Strasser erhob sich und ergriff mit beiden Händen Antonias rechte Hand. »Wir werden Ihnen nie vergessen, was Sie für Susie getan haben, Frau Dr. Laurin.«

      »Ich bin sehr froh, dass sie auf dem Weg der Besserung ist, Herr Strasser«, erwiderte Antonia.

      Anke Strasser hatte Tränen in den Augen, als auch sie sich bedankte.

      Antonia blieb noch eine Weile bei ihnen, weil sie merkte, dass es auch ihr selbst gut tat, noch bei dem kleinen Mädchen zu sitzen, für das sie sich eingesetzt und dem sie vielleicht das Leben gerettet hatte. So würde es nicht immer sein. Manchmal konnten Ärzte ein Leben nicht retten, obwohl sie alles dafür taten. Aber wenn es gelang,

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