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den gesamten zwanzigjährigen Druck der koalierten Herrschaft des ostelbischen Junkertums und des kartellierten Großkapitals.

      Ist aber einmal der Stein ins Rollen gekommen, so kann er, ob es die Sozialdemokratie will oder nicht, nicht mehr zum Stillstand gebracht werden. Die Gegner des Massenstreiks pflegen die Lehren und Beispiele der russischen Revolution, als für Deutschland gar nicht mßgebend, vor allem deshalb abzuweisen, weil ja in Rußland erst der gewaltige Sprung aus einer orientalischen Despotie in eine moderne bürgerliche Rechtsordnung gemacht werden mußte. Der formelle Abstand zwischen der alten und der neuen politischen Ordnung soll für die Vehemenz und die Gewalt der Revolution in Rußland als ausreichender Erklärungsgrund dienen. In Deutschland haben wir längst die notwendigsten Formen und Garantien des Rechtsstaats, weshalb hier ein so elementares Toben der sozialen Gegensätze unmöglich ist. Die also spekulieren, vergessen, dß dafür in Deutschland, wenn es einmal zum Ausbruch offener politischer Kämpfe kommt, eben das geschichtlich bedingte Ziel ein ganz anderes sein wird, als heute in Rußland. Gerade weil die bürgerliche Rechtsordnung in Deutschland längst besteht, weil sie also Zeit hatte, sich gänzlich zu erschöpfen und auf die Neige zu gehen, weil die bürgerliche Demokratie und der Liberalismus Zeit hatten, auszusterben, kann von einer bürgerlichen Revolution in Deutschland nicht mehr die Rede sein. Und deshalb kann es sich bei einer Periode offener politischer Volkskämpfe in Deutschland als letztes geschichtlich notwendiges Ziel nur noch um die Diktatur des Proletariats handeln. Der Abstand aber dieser Aufgabe von den heutigen Zuständen in Deutschland ist ein noch viel gewaltigerer, als der Abstand der bürgerlichen Rechtsordnung von der orientalischen Despotie, und deshalb kann diese Aufgabe auch nicht mit einem Schlag, sondern gleichfalls in einer langen Periode gigantischer sozialer Kämpfe vollzogen werden.

      Liegt aber nicht ein krasser Widerspruch in den von uns aufgezeichneten Perspektiven? Einerseits heißt es, bei einer eventuellen künftigen Periode der politischen Massenaktion werden vor allem die zurückgebliebensten Schichten des deutschen Proletariats, die Landarbeiter, die Eisenbahner, die Postsklaven, erst ihr Koalitionsrecht erobern, die ärgsten Auswüchse der Ausbeutung erst beseitigt werden müssen, anderseits soll die politische Aufgabe dieser Periode schon die politische Machteroberung durch das Proletariat sein! Einerseits ökonomische, gewerkschaftliche Kämpfe um die nächsten Interessen, um die materielle Hebung der Arbeiterklasse, anderseits schon das äußerste Endziel der Sozialdemokratie! Gewiß, das sind krasse Widersprüche, aber nicht Widersprüche unseres Raisonnements, sondern Widersprüche der kapitialistischen Entwicklung. Sie verläuft nicht in einer hübschen, geraden Linie, sondern im schroffen blitzähnlichen Zickzack. Ebenso wie die verschiedenen kapitalistischen Länder die verschiedensten Stadien der Entwicklung darstellen, ebenso innerhalb jedes Landes die verschiedenen Schichten derselben Arbeiterklasse. Die Geschichte wartet aber nicht geduldig, bis erst die zurückgebliebenen Länder und Schichten die fortgeschrittensten eingeholt haben, damit sich das Ganze wie eine stramme Kolonne symmetrisch weiter bewegen kann. Sie bringt es bereits in den vordersten exponiertesten Punkten zu Explosionen, sobald die Verhältnisse hier dafür reif sind, und im Sturme der revolutionären Periode wird dann in wenigen Tagen und Monaten das Versäumte nachgeholt, das Ungleiche ausgeglichen, der gesamte soziale Fortschritt mit einem Ruck in Sturmschritt versetzt.

      Wie in der russischen Revolution sich die ganze Stufenleiter der Entwicklung und der Interessen der verschiedenen Arbeiterschichten in dem sozialdemokratischen Programm der Revolution und die unzähligen partiellen Kämpfe in der gemeinsamen großen Klassenaktion des Proletariats vereinigen, so wird es, wenn die Verhältnisse dafür reif sind, auch in Deutschland der Fall sein. Und Aufgabe der Sozialdemokratie wird es alsdann sein, ihre Taktik nicht nach den zurückgebliebensten Phasen der Entwicklung, sondern nach den fortgeschrittensten zu richten.

       Inhaltsverzeichnis

      Das wichtigste Erfordernis in der früher oder später kommenden Periode der großen Kämpfe, die der deutschen Arbeiterklasse harren, ist, neben der vollen Entschlossenheit und Konsequenz der Taktik, die möglichste Aktionsfähigkeit, also mögliche Einheit des führenden sozialdemokratischen Teils der proletarischen Masse. Indes bereits die ersten schwachen Versuche zur Vorbereitung einer größeren Massenaktion haben sofort einen wichtigen Übelstand in dieser Hinsicht aufgedeckt: die völlige Trennung und Verselbständigung der beiden Organisationen der Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften.

      Es ist klar aus der näheren Betrachtung der Massenstreiks in Rußland sowie aus den Verhältnissen in Deutschland selbst, dß irgend eine größere Massenaktion, wenn sie sich nicht bloß auf eine einmalige Demonstration beschränken, sondern zu einer wirklichen Kampfaktion werden soll, unmöglich als ein sogenannter politischer Massenstreik gedacht werden kann. Die Gewerkschaften würden an einer solchen Aktion in Deutschland genau so beteiligt sein wie die Sozialdemokratie. Nicht aus dem Grunde, weil, wie die Gewerkschaftsführer sich einbilden, die Sozialdemokratie angesichts ihrer viel geringeren Organisation auf die Mitwirkung der 1-1/4 Million Gewerkschaftler angewiesen wäre und ohne sie nichts zu stande bringen könnte, sondern aus einem viel tiefer liegenden Grunde: weil jede direkte Massenaktion oder Periode offener Klassenkämpfe zugleich eine politische und ökonomische sein würde. Wird es in Deutschland aus irgend einem Anlß und in irgend einem Zeitpunkt zu großen politischen Kämpfen, zu Massenstreiks kommen, so wird das zugleich eine Ära gewaltiger gewerkschaftlicher Kämpfe in Deutschland eröffnen, wobei die Ereignisse nicht im mindesten danach fragen werden, ob die Gewerkschaftsführer zu der Bewegung ihre Zustimmung gegeben haben oder nicht. Stehen sie auf der Seite oder suchen sich gar der Bewegung zu widersetzen, so wird der Erfolg dieses Verhaltens nur der sein, dß die Gewerkschaftsführer, genau wie die Parteiführer im analogen Falle, von der Welle der Ereignisse einfach auf die Seite geschoben und die ökonomischen wie die politischen Kämpfe der Masse ohne sie ausgekämpft werden.

      In der Tat. Die Trennung zwischen dem politischen und dem ökonomischen Kampf und die Verselbständigung beider ist nichts als ein künstliches, wenn auch geschichtlich bedingtes Produkt der parlamentarischen Periode. Einerseits wird hier, bei dem ruhigen, »normalen« Gang der bürgerlichen Gesellschaft, der ökonomische Kampf zersplittert, in eine Vielheit einzelner Kämpfe in jeder Unternehmung, in jedem Produktionszweige aufgelöst. Anderseits wird der politische Kampf nicht durch die Masse selbst in einer direkten Aktion geführt, sondern, den Formen des bürgerlichen Staates entsprechend, auf repräsentativem Wege, durch den Druck auf die gesetzgebenden Vertretungen. Sobald eine Periode revolutionärer Kämpfe eintritt, d. h. sobald die Masse auf dem Kampfplatz erscheint, fallen sowohl die Zersplitterung des ökonomischen Kampfes wie die indirekte parlamentarische Form des politischen Kampfes weg; in einer revolutionären Massenaktion sind politischer und ökonomischer Kampf eins und die künstliche Schranke zwischen Gewerkschaft und Sozialdemokratie als zwei getrennten, ganz selbständigen Formen der Arbeiterbewegung wird einfach weggeschwemmt. Was aber in der revolutionären Massenbewegung augenfällig zum Ausdruck kommt, trifft auch für die parlamentarische Periode als wirkliche Sachlage zu. Es gibt nicht zwei verschiedene Klassenkämpfe der Arbeiterklasse, einen ökonomischen und einen politischen, sondern es gibt nur einen Klassenkampf, der gleichzeitig auf die Einschränkung der kapitalistischen Ausbeutung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und auf die Abschaffung der Ausbeutung mitsamt der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet ist.

      Wenn sich diese zwei Seiten des Klassenkampfes auch aus technischen Gründen in der parlamentarischen Periode voneinander trennen, so stellen sie doch nicht etwa zwei parallel verlaufende Aktionen, sondern bloß zwei Phasen, zwei Stufen des Emanzipationskampfes der Arbeiterklasse dar. Der gewerkschaftliche Kampf umfßt die Gegenwartsinteressen, der sozialdemokratische Kampf die Zukunftsinteressen der Arbeiterbewegung. Die Kommunisten, sagt das kommunistische Manifest, vertreten gegenüber verschiedenen Gruppeninteressen (nationalen, lokalen Interessen) der Proletarier die gemeinsamen Interessen des gesamten Proletariats und in den verschiedenen Entwicklungsstufen des Klassenkampfes das Interesse der Gesamtbewegung d. h. die Endziele der Befreiung des Proletariats. Die Gewerkschaften vertreten nun die Gruppeninteressen und eine Entwicklungsstufe der Arbeiterbewegung. Die Sozialdemokratie vertritt die Arbeiterklasse und ihre Befreiungsinteressen im ganzen. Das Verhältnis der Gewerkschaften zur

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