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Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн.Название Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3)
Год выпуска 0
isbn 4064066388812
Автор произведения Ricarda Huch
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
»Es ist nun auch doch zu spät,« sagte Blahel, »er haßt Euch so, daß ein Sack voll Goldstücke ihm nicht Euren Kopf aufwägen würde.«
Ein Vetter Rußworms, der sich dem Kaiser zu Füßen werfen wollte, wurde nicht vorgelassen, und ein anderer Versuch, der zu seiner Rettung unternommen werden sollte, verschlimmerte nur seine Lage. Seit nämlich im Reiche die Frage, wer Rudolfs Nachfolger werden sollte, besprochen wurde, zogen einige evangelische Fürsten in Betracht, ob Maximilian, der Herzog von Bayern, sich dazu schicken und bereit finden lassen würde. Sie berechneten, daß dadurch Bayern für immer von Österreich getrennt und die katholische Partei gespalten würde; nur fragte es sich, ob Maximilian, der das durchschauen mußte, für einen so gewagten Schritt zu gewinnen wäre. Auf vorsichtige Andeutungen antwortete der Herzog ausweichend und dachte bei sich, daß er die stachelige Krone nur dann nicht ausschlagen würde, wenn er dabei von österreichischer Seite keine Gefahr liefe. Er tat einige unvorgreifliche Schritte, indem er Rußworm, den ruhmvollen Feldherrn und Günstling des Kaisers, mit dessen Bewilligung in seinen Dienst nahm und indem er einen Gesandten nach Paris schickte, der insgeheim zu erforschen hatte, wie seine Bewerbung etwa aufgenommen werden würde. Der Kaiser war es wohl zufrieden, einen so mächtigen und angesehenen Reichsfürsten gegen seinen Bruder ausspielen zu können, andererseits erfüllte ihn die Anmaßung des Bayernherzogs, der ihm überhaupt nicht geheuer war, doch mit Widerwillen, und seine Fürbitte zugunsten Rußworms schien ihm damit im Zusammenhang zu stehen. Der von Lang angeregte Verdacht, Rußworm habe ohne Zweifel von den verräterischen Plänen des Herzogs gewußt, wohl mit daran geholfen, erbitterte den Kaiser dermaßen, daß er nicht länger zögerte, sondern den vielen Stimmen nachgab, die den Tod des unbezähmbaren Feldherrn forderten.
Ein bänglich weissagendes Gefühl beschlich Rußworm, als ihm hinterbracht wurde, daß seine Diener, die beim Tode des Belgiojoso zugegen gewesen waren, gefoltert und, obwohl man kein Geständnis von ihnen habe erpressen können, hingerichtet wären. Blahel hatte die Exekution mit angesehen und schlich sich in der Dunkelheit zu Rußworm, um ihm davon zu erzählen. Der eine habe ein freches Lied gepfiffen und deshalb von dem Jesuiten, der neben ihm gegangen sei, eine Maulschelle empfangen, was die anderen begleitenden Pfaffen getadelt hätten, so daß es unter diesen fast zu einer Schlägerei gekommen wäre; der andere wäre, seiner Meinung nach, vor Angst gestorben, als ihm die Schlinge um den Hals gelegt worden wäre; denn er hätte nicht das wenigste gezappelt. »Die haben es hinter sich,« sagte Blahel, »wenn es mit uns nur auch schon vorüber wäre.« Am folgenden Tage wurde er wegen der entdeckten Zwischenträgerei mit Rußworm verhaftet, und dieser hörte nun nichts mehr von draußen.
Daran, daß er zum Tode verurteilt werden würde, zweifelte er nicht mehr; aber daß das Urteil ausgeführt würde, das glaubte er doch nicht, im letzten Augenblick würde die Gnade des Kaisers dazwischentreten.
Es war ein dunkler Novembertag, als ihm angekündigt wurde, daß er sein Gefängnis verlassen müsse, um nach dem Rathause übergeführt zu werden: ein weiteres Zeichen des nahen Endes. Die lange Haft hatte ihn so schwach gemacht, daß er ohne Hilfe die steile Treppe nicht hinuntersteigen konnte. Das Zimmer, das ihm angewiesen wurde, war größer und luftiger als das vorige, die Tür war von Soldaten bewacht, die bloße Schwerter in der Hand und Gewehre über der Schulter hängen hatten. Im Laufe des Tages wurde ihm das Todesurteil zur Kenntnis gebracht, und gleichzeitig kam der Jesuit, der ihn vorbereiten und seine Beichte empfangen sollte. Anfänglich gebärdete sich Rußworm ungestüm entrüstet als das Opfer boshafter Ränke und tyrannischer Willkür; aber die verständnisvolle Milde des Geistlichen machte ihn allmählich zugänglicher. »Ich glaube Euch,« so etwa sagte dieser, »daß rachsüchtige Feinde die Ursache Eures Todes sind, auch mag es sein, daß jener Belgiojoso nicht von Eurer Hand gefallen ist oder daß er Euch nach dem Leben stellte; aber anstatt an Eure Feinde und ihr Unrecht zu denken, vergleicht Euch mit jenem Mercoeur, der, ein tadelloser Held, durch den Willen Gottes unter Ketzern sterben mußte, oder vergleicht Euch mit dem Herrn Christus, unserem Heiland, der zwischen Missetätern am Kreuze hing. Scheint es Euch dann noch, als ob Ihr schuldlos littet? Ist kein Flecken auf Eurem Gewissen, den mit Eurem Blute tilgen zu dürfen Euch lieb sein sollte?«
Rußworm wurde hierauf schweigsam und nachdenklich. Da der Pater ihn nach einer Weile fragte, ob er das heilige Abendmahl zu nehmen wünsche, bat er, zunächst eine Weile allein bleiben zu dürfen; er fühle das Bedürfnis, in sein Inneres einzukehren und sich mit Gott zu versöhnen, bevor er das Sakrament empfinge.
Dunkel zusammengeballt waren Gefühle und Gedanken in der Seele des Feldherrn emporgestiegen; es graute und gelüstete ihn zugleich, sie zu entwirren. Er trat an das Fenster und sah in die unruhige Spätherbstnacht hinaus: wie eine Herde hungriger Wölfe jagte der Wolkenhimmel über die schaudernde Stadt hin. Vor der kalten, nassen Luft, die durch die Fugen drang, zog Rußworm unwillkürlich seinen Mantel dichter über sich zusammen. Es fiel ihm auf einmal die langvergangene Zeit ein, wo er sich vor der Dunkelheit in die Arme der Mutter geflüchtet hatte. Wie hatte ihn einst ihr Kuß beseligt, mit dem sie zuweilen, wenn er fragend zu ihr aufsah, ihm die Augen schloß! An seinem Bette hatte sie das Lutherlied gesungen, und er erinnerte sich plötzlich deutlich an das trotzige Blitzen ihrer schönen Augen, das sich für ihn mit dem Gesang verknüpfte. Wie hatte er später, als Katholik, dies Lied so hassen können, daß er, wenn er es in einer Kirche singen hörte, sich kaum zurückhalten konnte, mit seinen Soldaten einzubrechen und den Ketzern mit dem Schwerte das Maul zu stopfen? Hatte er sich überhaupt immer zurückgehalten? Fast nie mehr hatte er an seine Kindheit zurückgedacht; der Tag seines Religionswechsels hatte ihn von der Wurzel seiner Vergangenheit losgerissen und den Stürmen des Schicksals preisgegeben. In die blendende Zukunft stürzte er sich, deren Gipfel er in einem Anlauf nehmen wollte, einen Gipfel des Ruhmes, des Reichtums, aller irdischen Genüsse. Wer ihm dabei im Wege stand, den betrachtete er als seinen Feind; niemals war es ihm in den Sinn gekommen, das Recht der anderen und eigenes Recht oder Unrecht abzuwägen.
Ein graues Schloß im Elsaß stieg vor ihm auf, dessen unheilvolle Schwelle seine Erinnerung nie wieder betreten hatte; nun tat er es unwillig, mit der Hand den Griff des Fensterkreuzes umklammernd. Im Auftrage seines damaligen Vorgesetzten, des Marschalls Bassompierre, hatte er es besetzt und zugleich den Schutz einer vornehmen Dame und ihrer Tochter übernommen, die sich dorthin geflüchtet hatten. Die Mutter war schöner; aber das Mädchen, fast noch Kind, hatte ihn wie einen Gesandten Gottes angesehen, dessen Beruf es sei, das Böse auf Erden zu bekämpfen, und ihr bewundernder, unbewußt sich hingebender Blick hatte ihn hingerissen. Nachdem er sie verführt hatte, schien es ihm, als habe sie schuld an der ärgerlichen Sache, und die Empörung und Verzweiflung der Mutter und das Flehen des Kindes erregten eine so grausame Lust in ihm, daß er die Geschändete in einer wilden Nacht seinen trunkenen Kameraden überließ. Er fühlte keine Reue, sondern Wut und Haß, als er die entehrenden Worte hören mußte, mit denen Marschall Bassompierre ihm seine unritterliche Tat vorwarf. Vor schmachvoller Strafe rettete ihn die Flucht, und schon wähnte er sich sicher, als ein zufälliges Abenteuer ihn wieder in die Hände des Marschalls führte, der unverzüglich das Todesurteil an ihm vollziehen wollte.
Damals